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Brandenburg: Ab der 2. Klasse auffällig brutal

Nach dem Zehlendorfer Kindsmord: Die Polizei kritisiert die Justiz / Wurde bei Ken M. zu spät reagiert?

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Nach dem Zehlendorfer Kindsmord: Die Polizei kritisiert die Justiz / Wurde bei Ken M. zu spät reagiert? Berlin - Erstmals hat einer der derzeit 367 jugendlichen, die in Berlin als Intensivtäter erfasst sind, einen Menschen auf dem Gewissen . Ken M.(Name geändert), der wie gestern berichtet am Samstag in Berlin-Zehlendorf den siebenjährigen Christian Sch. erschlagen hat, ist erst seit wenigen Tagen in die Kartei besonders brutaler Jugendlicher bei der Staatsanwaltschaft eingetragen. Nach einer brutalen Attacke gegen einen Soldaten in einer Tankstelle am 17. Juni war Ken, der erstmals in der 2. Klasse aufgefallen war, ins Visier der Spezialisten der Intensivtäter-Abteilung 47 der Berliner Polizei geraten. Bereits am 30. Juni waren die Polizeiakten bei der Justiz, am 25. August stand fest: Ken wird als Intensivtäter geführt. Er wusste davon nichts. Zwei Tage später beging er den Mord. In die Kartei aufgenommen wurde er wegen der Brutalität vom 17. Juni. So viele Taten seien es bislang ja nicht gewesen, hieß es bei der Justiz. Dass der Haftrichter den Jugendlichen nach dem 17. Juni nicht in Untersuchungshaft geschickt habe, sei normal, hieß es bei der Staatsanwaltschaft – denn bei einer Einzeltat käme keine Wiederholungsgefahr als Haftgrund in Betracht. Fluchtgefahr scheide aus, da der Junge bei seinen Großeltern wohne. Dennoch hätte es im Ermessensspielraum des Richters gelegen, die Haft anzuordnen. Die Kripo hat deshalb kein Verständnis für die Entscheidung: „Das kann man nicht nachvollziehen“, sagt ein Ermittler. Ken M. erfüllte die Meldeauflagen. Ein Staatsanwalt hatte auf dem Polizeiabschnitt sogar eine sofortige Benachrichtigung erbeten, falls der Jugendliche eine Meldung versäume. „Dann hätten wir ihn sofort verhaftet“, hieß es. Verärgert ist die Justiz über die Jugendbehörden, die den Großeltern das „Aufenthaltsbestimmungsrecht“ nicht entzogen hatten – obwohl sie nach Erkenntnissen der Behörden mit Ken überfordert waren und zudem Alkoholprobleme hätten. Wäre das geschehen, hätte der Haftrichter den Jungen schon im Juni in U-Haft geschickt, hieß es. Christian Sch. könnte noch leben. Die zuständige Jugendstadträtin Anke Otto (Grüne) sagt, in früheren Jahren habe man auch erwogen, den Jungen aus der Familie zu nehmen. Dazu habe es aber seinerseits keine Bereitschaft gegeben. Der Junge habe eine enge Bindung zu seinen Großeltern gehabt und an sich in stabilen Verhältnissen gelebt. Dabei hatte die kriminelle Karriere Kens schon früh begonnen – mit Körperverletzung. Da war Ken in der 2. Klasse der Zehlendorfer Süd-Grundschule. Es gibt den ersten von sieben schriftlichen Tadeln in der Schule. Auch die folgenden Fälle, Prügeleien, Drohungen, Beschimpfungen, werden nicht polizeibekannt. Als Ken im November 1999 – er geht in die 4. Klasse – wiederholt einen Mitschüler schlägt, reagiert dessen Vater. Erstmals ermittelt die Polizei gegen das Kind, das noch nicht strafmündig ist. Schon im Frühjahr 1999 hatte die Grundschule Ken einen Verweis angedroht, Ende 1999 schicken die Großeltern ihren Zögling „freiwillig“ in die benachbarte Buschgraben-Grundschule. Nicht nur der Klassenlehrerin fiel damals ein Stein vom Herzen – sie war von Ken längere Zeit immer wieder telefonisch bedroht und beschimpft worden. Rektor Michael Joachim von der Süd-Grundschule sagt: „Er fiel durch sehr starke Aggressionen gegen Mitschüler und Lehrer auf.“ Und: „Er hatte mangelnde soziale Bindungen und zeigte wenig Einsicht. Doch Kens kriminelle Karriere ging weiter: 2001 gibt es je zwei Anzeigen wegen Körperverletzung und Beleidigung, 2002 zwei wegen Körperverletzung. Erst 2003 wird Ken strafmündig, nach der ersten „gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil eines Mitschülers“ wird er erstmals verurteilt. „Kaum dass er strafmündig war, haben wir reagiert“, heißt es bei der Justiz. Wünschenswert wäre ein härteres Durchgreifen schon im Kindesalter gewesen. „Der Junge hätte in ein geschlossenes Heim gehört“, heißt es weiter – doch die gibt es nicht mehr in Berlin. So macht Ken weiter – mit Sachbeschädigungen, Diebstahl, Beleidigung und weiteren Körperverletzungen. Im Frühjahr 2004 stiehlt er in einem Laden Bierdosen, wird erwischt und schlägt die Verkäuferinnen. Das Urteil: Sechs Monate Haft, auf zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Die Bewährung läuft noch, als Ken in einer Tankstelle einen Bundeswehrsoldaten zusammenschlägt und schwer verletzt. Da er in „geordneten Verhältnissen“ bei den Großeltern lebt, wird die U-Haft ausgesetzt gegen die Auflage, sich dreimal wöchentlich bei der Polizei zu melden. Das erfüllt Ken brav – zuletzt zwei Stunden nach dem Mord. Warum er seinem Opfer die Kleidung auszog, ist weiter unklar. Vermutlich wollte Ken nur Spuren beseitigen. Doch der 16-Jährige hinterließ ein Haar. Eine DNA-Analyse überführte ihn. Ha/sik

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