Von Alexander Fröhlich: Acht Schüsse in 30 Sekunden
Schönfließ-Prozess: Urteil wird heute erwartet
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Neuruppin – Wenn nichts dazwischen kommt, wird die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Neuruppin am heutigen Sonnabend ein mit Spannung erwartetes Urteil fällen. Das könnte für Reinhard R. das Ende seiner Karriere als Polizist bedeutet. Sollte der Zivilfahnder wegen des tödlichen Schusses auf einen Intensivtäter zu einer Haftstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt werden, wäre er seinen Beamtenstatus los.
Doch was genau an jenem Silvesterabend 2008, eine Viertelstunde nach 18 Uhr in brandenburgischen Schönfließ geschah, das blieb auch nach den bisher neun Verhandlungstagen unklar.
Befinden muss die Schwurgerichtskammer darüber, ob es Notwehr und Nothilfe war – oder Totschlag. Letzteres wirft die Staatsanwaltschaft dem Polizisten vor. Selbst die Anklagebehörde geht entgegen ersten Annahmen inzwischen davon aus, dass der mit mehreren Haftbefehlen gesuchte Dennis J. an jenem Abend seinen gestohlenen Wagen gestartet hatte und Reinhard R. dann acht Mal schoss, bis das Magazin seiner Waffe leer war. Dabei hatte sich die Staatsanwaltschaft schon früh nach dem Vorfall festgelegt und mit der Ansicht Aufsehen erregt, schon der erste Schuss sei tödlich gewesen.
Doch daran halten nur doch die vier Nebenklage-Anwälte der Angehörigen des Opfers fest. Tatsächlich haben sich die Zeugen in ihren Aussagen widersprochen. „Der Motor war aus, als der Schuss fiel“, sagte etwa eine 15-Jährige vor dem Gericht. Eine Anwohnerin hingegen erklärte, der Motor des Wagens sei gestartet, erst dann habe sie einen Knall gehört.
Fest steht nur: Der damals 26-jährige J. wartete in der Jaguar-Limousine auf seine Freundin, aus deren Familie ein Tipp an die Berliner Fahnder kam. Der bei Vollstreckung von Haftbefehlen äußerst erfolgreiche Reinhard R. war dem Neuköllner da schon seit Wochen auf der Spur. Mit zwei weiteren Kollegen, denen vor dem Landgericht versuchte Strafvereitelung im Amt vorgeworfen wird, fuhr er nach Schönfließ. Was dann in lediglich 30 Sekunden ablief, konnten auch die Gutachter nicht genau erhellen. Zumindest ein Experte hat festgestellt, Reinhard R. stand höchsten eineinhalb Meter vom Wagen entfernt, als er durch die Türscheibe feuerte und auf Dennis J. traf.
Alles andere – die Position des Wagens und des Schützen, selbst welcher Schuss der tödliche war – bliebt unklar.
Ursache dafür sind wohl auch die zahlreichen Ermittlungspannen der Polizei am Tatort etwa bei der Zeugenvernehmung oder bei der Spurensicherung. Zwei der acht Patronenhülsen wurden erst Tage später entdeckt, als die Ermittlern den Hergang rekonstruieren ließen. Die Hülsen waren am Heck und in der Scheibenwischermulde am Polizeiwagen festgefroren. Staatsanwaltschaft Kai Clement geht davon aus, dass J. zwar losgefahren war, aber keineswegs die Polizisten verletzten wollte. Daher forderte Clement in seinem Plädoyer eine Haftstrafe von dreieinhalb Jahren wegen Totschlags – allerdings nur im minderschweren Fall. Denn R. habe sich wegen einer „gewissen Bedrängnis“ in einem „affektnahen Zustand“ befunden.
Für Walter Venedey, den Verteidiger des Schützen, handelte der Beamte aus Notwehr, um seinen Kollegen zu retten. Denn der ging zu Boden, als die Limousine losfuhr. Ob der Kollege – wie es die Verteidiger darstellen – nun angefahren wurde oder stürzte, auch das ist nicht belegt.
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