Mehr Inklusion: Alles ohne Gewähr
Behindertenverband lehnt Finanzierungsvorbehalte beim rot-roten „Inklusions-Paket“ ab
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Potsdam – Der Besuch eines Museums oder eines Theaters etwa ist ein Menschenrecht, egal ob jemand im Rollstuhl sitzt oder nicht. Das klingt nicht nur selbstverständlich, sondern steht auch geschrieben – und zwar in der UN-Behindertenrechtskonvention. 2009 hat auch Deutschland den völkerrechtlichen Vertrag ratifiziert, der erstmals die Rechte für behinderte Menschen verbindlich regelt. Ziel ist die sogenannte Inklusion, die uneingeschränkte gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit einem Handicap. Gerade erst hat die brandenburgische Landesregierung einen 136 Projekte umfassenden Maßnahmekatalog vorgestellt, der auch im Land Brandenburg zu mehr Inklusion führen soll. Während der Landesbehindertenbeauftragte Jürgen Dusel den Katalog als „Meilenstein“ bezeichnet, kritisiert die Vorstandsvorsitzende des Allgemeinen Behindertenverbandes Land Brandenburg, Andrea Peisker, das Paket als „enttäuschend“.
Insgesamt umfasst das rot-rote Inklusionspaket 136 Projekte. Unter anderem soll der Zugang zu Arztpraxen verbessert, der paralympischen Leistungssport stärker gefördert und vorhandener Wohnraum an die Ansprüche von Menschen mit schwersten Behinderungen angepasst werden. Ebenfalls sollen Rollstuhlrampen für die Staatskanzlei angeschafft und die Anbringung von Hinweisschildern in Blindenschrift am Sitz der Landesregierung geprüft werden. Das Archäologische Landesmuseum in Brandenburg/Havel soll um Spezialangebote wie „Hörbars“ und einen interaktiven Videoguide in Gebärdensprache erweitert werden.
Peisker allerdings ist skeptisch. Bei „einer hohen Zahl“ der genannten Maßnahmen verweise das Land bei deren Umsetzung auf die „verfügbaren Haushaltsmittel“, kritisiert die Verbandsvorsitzende. Diese Verweise wirkten wie eine „vorausschauende Entschuldigung für die mögliche Nichtumsetzung vorgesehener Maßnahmen aufgrund einer anderen Prioritätensetzung der Landesregierung“. Da die Landesregierung den Landeshaushalt aber selbst verantwortet, sei eine Umsetzung keine Frage der „höheren Gewalt, sondern eine bewusste Entscheidung der Landesregierung bei der Verteilung finanzieller Ressourcen“, betont Peisker. Zudem handele es sich um Menschenrechte und diese könne es nicht „nach Kassenlage“ geben.
Ohnehin enthält der Katalog nach Auffassung des Verbandes zu viele Maßnahmen, die nicht in der Kompetenz des Landes liegen. Zu finden seien etwa Vorhaben, für die etwa die Bundesarbeitsagentur, der Rehaträger, der Landessportbund, die Krankenkassen oder sogar die Deutsche Bahn zuständig seien. Weite Teile kommunaler Bereiche blieben aber ausgespart, beklagt Peisker.
Von der Grünen-Fraktion im brandenburgischen Landtag wurde das Maßnahmenpaket bereits als nicht weitreichend genug abgelehnt. Insbesondere fehle die angekündigte Neufassung des Brandenburgischen Behindertengleichstellungsgesetzes, monierte die sozialpolitische Sprecherin der Grünen, Ursula Nonnemacher. Laut FDP-Experte Andreas Büttner weise das Programm in die richtige Richtung, allerdings fehle es dem Paket an der nötigen finanziellen Untersetzung.
Wie die Grünen kritisiert auch Peisker, dass Rot-Rot das Gleichstellungsgesetz noch nicht überarbeitet hat. Dies bedeute die Abkehr von den eigenen Zielen. „Die Landesregierung hat in der Vergangenheit wiederholt erklärt, die Novellierung und die Erarbeitung des Maßnahmepakets dürften nicht voneinander entkoppelt werden“, erinnert die Verbandsvorsitzende. Nun würden die Betroffenen auf das Frühjahr 2012 vertröstet.
Angaben des Sozialministeriums zufolge leben in Brandenburg derzeit etwa 335 000 Menschen mit Behinderung, rund 220 000 davon gelten als schwerbehindert. Deren Anteil sei von 2001 bis 2009 um rund 20 Prozent gestiegen.
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