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Fehlverhalten? Vorsatz wollte Innenminister Schröter seinem Staatssekretär Feuring (im Bild) nicht vorwerfen. Vertrauen bekundete er aber auch nicht.

© dpa

Brandenburg: Anarchie im Polizeiapparat

Innenminister Schröter räumt indirekt frisierte Statistiken ein. Due Direktionen rechneten über Jahre Zahl der Straftaten herunter. Die Verantwortung dafür trägt Staatssekretär Feuring

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Potsdam - Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD), nach der Landtagswahl seit November im Amt, hat erstmals offiziell eingeräumt, dass die Polizei im Land die Zahl der Straftaten falsch erfasst hat. Zudem hat sich die Affäre um frisierte Statistiken, die Politik und Polizei seit einem Jahr beschäftigt, noch ausgeweitet. Bei den Zahlen wurde in noch größerem Ausmaß geschönt als bislang bekannt. Nicht nur in der Direktion West wurde die Statistik offenbar aufgehübscht, auch in der Polizeidirektion Süd wurde von den üblichen, bundesweit einheitlichen Standards abgewichen – und damit die Zahl der Straftaten heruntergerechnet.

Verantwortlich dafür war Innenstaatssekretär Arne Feuring noch in seiner Zeit als Polizeipräsident, der auch als Vater der umstrittenen Polizeireform mit Personalabbau und neuen Strukturen gilt. Schröter, der gerade die Reform evaluieren lässt, vermied am gestrigen Freitag bei der Vorstellung der Kriminalitätsstatistik jede Vertrauensbekundung für seinen Innenstaatssekretär. „Ich arbeite mit meinen Staatssekretär zusammen“, sagte der Minister lediglich.

Nach dem Eingreifen Schröters im Januar musste die Polizei mit hohem Personal- und Zeitaufwand mehr als 21 000 Datensätze, etwa zehn Prozent aller Fälle des Jahres 2014, komplett neu aufrollen und mit der bundeseinheitlichen Statistik-Richtlinie des Bundeskriminalamtes (BKA) abgleichen. Betroffen waren vor allem Diebstähle, Unterschlagungen, Sachbeschädigungen und Tankbetrug. Das Ergebnis: Die Kriminalitätsbelastung in Brandenburg war 2014 nach den BKA-Richtlinien zwei Prozent höher als nach den von Schröter endgültig kassierten Zählvorgaben. Nach PNN-Recherche sollte mit der umstrittenen Zählweise auch die Aufklärungsquote statistisch verbessert werden. Nach der von Schröter angeordneten korrekten Erfassung wurden 52,4 Prozent aller Straftaten von der Polizei aufgeklärt. Nach der alten, aufgehobenen Zählweise in zwei Direktionen wären es landesweit 53,1 Prozent gewesen.

Nicht mehr zu korrigieren ist die Kriminalstatistik für das Jahr 2013, als die umstrittene Zählweise in der Direktion West um Potsdam und Brandenburg/Havel eingeführt worden war. Damit ist diese Statistik auch nicht mehr vergleichbar mit anderen Jahren.

Gerade bei Einbruchsdiebstählen, die immerhin 43 Prozent aller 2014 in Brandenburg erfassten 196 000 Straftaten ausmachten, ist die Abweichung zwischen korrekten BKA-Vorgaben und dem nach PNN-Recherchen bundesweit einmaligen Brandenburger Weg noch höher: Beim Diebstahl aus Kellern fällt die Kriminalität nach der bundesweit einheitlichen Erfassung um 16 Prozent höher aus, bei Diebstahl aus Gärten um 14 Prozent, aus Bungalows und Lauben um 15 Prozent, bei Diebstahl aus Garagen um mehr als 10 Prozent. Insgesamt erhöhte sich die Zahl der erfassten Straftaten um knapp 4000. In der Direktion West fällt der Unterschied noch höher aus: Dort ist die Kriminalität nach korrekter Erfassung um 3,26 Prozent höher als nach der kassierten Zählweise, in der Direktion Süd sind es 2,75 Prozent.

Im Zentrum der Affäre steht Innenstaatssekretär Feuring. Als er noch Polizeipräsident war, gab die Direktion West mit seinem Wissen im August 2013 eine Dienstanweisung heraus, nach der generell bei Einbrüchen, bei Sachbeschädigung von Autos oder beim Diebstahl aus Autos mehrere Fälle zu einem Fall zusammengefasst wurden – obwohl BKA und Landeskriminalamt dies wenige Wochen später für unzulässig erklärten. Der Effekt: weniger erfasste Fälle und eine bessere Aufklärungsquote. Verfasst hatte die Anweisung in der Direktion West ein Vertrauter Feurings, den er später in seinen Stab ins Polizeipräsidium holte. Feuring hatte die Anweisung stets verteidigt: Ein Fehler sei es gewesen, dass die Anweisung nicht landesweit eingeführt wurde. Das sagte er auch noch, als die Anweisung Ende April 2014 gekippt wurde. Dennoch wurden weiter im Sinne der nicht mehr gültigen Anweisung Straftaten erfasst, wie Landeskriminaldirektor Roger Höppner, der als Referatsleiter im Innenministerium die Fach- und Dienstaufsicht führt, am Freitag bei der Bilanzkonferenz Schröters erklärte.

Und er offenbarte noch viel mehr über die Zustände in der Brandenburger Polizei. Die Polizeiführung in Cottbus verfügte zwar eigens, dass die umstrittene Anweisung der Direktion West nicht in der Direktion Süd gelten sollte. Die Kriminalkommissariate in der Direktion Süd hielten sich jedoch nicht an die Weisung aus Cottbus und zählten eigenmächtig einfach wie ihre Kollegen in der Direktion West. Der CDU-Innenpolitiker Björn Lakenmacher sprach von „Anarchie im Polizeiapparat“.

Lakenmacher glaubt auch den korrigierten Zahlen für 2014 nicht. Es stelle sich grundsätzlich die Frage, wie belastbar die Zahlen von 2014 überhaupt seien „Vielmehr steht zu befürchten, dass die Zahlen noch schlechter sind, als die Statistik ausweist“, sagte Lakenmacher. „Wenn einmal falsch vor Ort erfasst wurde, ist eine restlose rückwirkende Heilung schlicht nicht mehr möglich.“ Der Aufwand an Personal, Mehrarbeit und Kosten für die Prüfung und Nacherfassung seien eine Folge des Missmanagements des damaligen Polizeipräsidenten Feuring.

Dessen Rolle in der Affäre ist jedenfalls für Beobachter – auch in der Polizei selbst – klar. Erst hat er die Polizeireform mit konzipiert und die neuen Strukturen durchgesetzt – samt Stellenabbau und der Prognose, dass die Kriminalität in Brandenburg im Zuge des Bevölkerungsrückgangs bis zum Jahr 2020 um zehn Prozent sinkt. Dann wurde er Polizeipräsident. In der Polizei selbst glauben zahlreiche Beamte, mit der umstrittenen Dienstanweisung zur Erfassung der Straftaten, die Feuring gern landesweit durchgesetzt hätte, sollte die Statistik passend gemacht werden – für die Polizeireform. Überdies hat die Polizeiführung in der Statistikaffäre das Ministerium völlig übergangen.

Die Reaktionen fallen nun entsprechend aus. Die Grünen-Innenexpertin Ursula Nonnemacher sagte: Feurings Einflussnahme auf die Kriminalitätsstatistik „muss vollständig aufgeklärt und solches Fehlverhalten für die Zukunft ausgeschlossen werden“. CDU-Innenexperte Lakenmacher geht noch weiter und forderte, Feuring von der Evaluation der Polizeireform fernzuhalten. Am Ergebnis der Evaluation entscheidet sich, ob die Zahl der Beamten von derzeit 8100 auf – wie von Rot-Rot vereinbart – 7800 sinkt oder nicht.

Ein erster Bericht, erarbeitet auf Basis von Empfehlungen mehrerer Arbeitsgruppen, denen Experten, Beamte und Staatsanwälte angehören, liegt bereits im Innenministerium. Lakenmacher forderte, Schröter müsse jetzt durchgreifen. „Die Evaluation sozusagen als Insichgeschäft von Arne Feuring und den Vätern der Reform durchführen zu lassen und auf deren Ergebnisse und Berichte blind zu vertrauen, ist ein Irrweg“, sagte Lakenmacher.

nbsp;Alexander Fröhlich

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