Brandenburg: „Änderung des Grundgesetzes nötig“
Landtagspräsident Gunter Fritsch: Statt Kita-Debatte besser um vernachlässigte Kinder kümmern
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Immer wieder gibt es spektakuläre Fälle von vernachlässigten Kindern, ob Dennis in Cottbus oder jüngst in Blankenfelde. Ist der Staat hilflos?
Das nicht. Aber es zeigt sich deutlich, dass die gesetzliche Schwelle, ab wann Jugendämter eingreifen dürfen, in Deutschland zu hoch ist. Es passiert immer wieder, dass Mitarbeiter von Jugendämtern nicht in Wohnungen von Familien gelassen werden, bei denen ein solcher Verdacht besteht.
Worin könnte der Ausweg bestehen?
Vielleicht ist zur Lösung des Problems sogar eine Änderung des Grundgesetzes nötig, in dem dort das Kindeswohl stärker verankert wird. Bislang ist es so, dass das Erziehungsrecht der Eltern höher gewertet wird.
Was könnte vorher konkret getan werden?
Ich denke, dass Reihenuntersuchungen alle Kinder eines Jahrgangs zur Pflicht werden müssen, unabhängig davon ob sie eine Kita besuchen. Das wäre ein Weg, auch Problemfälle früher zu erkennen. Drauf sollte sich Politik vorrangig konzentrieren.
Die Parteien diskutieren derzeit eher über eine Ausweitung der Kita-Betreuung in Brandenburg. Sehen Sie dafür eine Notwendigkeit?
Außer, dass sich die Parteien zur Zeit gegenseitig überholen wollen, besonders familienfreundlich zu sein, gibt es dafür keinen Grund. Brandenburg hat im Vergleich zu anderen Bundesländern ein gutes Betreuungsnetz an Kindertagesstätten, 95 Prozent der Kinder gehen dort hin.
Das heißt, sie sind gegen ein beitragsfreies letztes Kita-Jahr, wie es CDU-Generalsekretär Sven Petke, die PDS und Teile der SPD fordern?
Ich denke, wir sollten die vorhandene Kraft und die immer geringeren Mittel von Land und Kommunen zum einen darauf konzentrieren, erkennbaren Problemfällen zu helfen. Und zum anderen, wie wir die vorschulische Bildung in den Kitas verbessern, damit weniger Kinder mit Sprachdefiziten eingeschult werden.
Sollte die 2003 beschlossene Einschränkung des Rechtsanspruchs auf einen Kita-Platz für die Kinder arbeitsloser Eltern rückgängig gemacht werden?
Man sollte das alles sachlicher diskutieren. Zunächst einmal betrifft es nur die Kleinstkinder unter drei Jahren. Ich bezweifle, ob es das Problem lösen würden. Mein Ansatz ist, dass wir uns vorrangig um die Problemfälle, um besonders vernachlässigte Kinder, kümmern. Es ist sicher zu befürchten, dass ein Teil davon nicht die Kita besucht. Nur, dass auch ein beitragsfreies letzten Kita-Jahr und ein hundertprozentiger Rechtsanspruch daran wohl kaum etwas ändern würden. Denn es beabsichtigt ja niemand, die Kita für alle Kinder zur Pflicht zu machen.
Es ist ruhig geworden, um den beschlossenen Neubau des Parlamentsgebäudes auf dem Alten Markt, dass äußerlich wie das in den 50er Jahren abgerissene Stadtschloss aussehen soll. Klemmt das Projekt?
Nein, überhaupt nicht. Wir sind im Zeitplan, den Grundstein 2008 zu legen, das Gebäude 2011 fertig zustellen. Mitte Februar wird eine Machbarkeitsstudie zur Frage vorgelegt, ob und wie das benötigte Raumprogramm in dem Gebäude untergebracht werden kann. Die Signale sind gut. Auf dieser Grundlage können dann Architekten und Investoren gesucht werden. Die Stadt Potsdam arbeitet auf Hochtouren daran, dass Bauareal rechtzeitig freizumachen, also die Kreuzung zu verlegen.
Ist das Projekt den Brandenburgern zu vermitteln?
Ich denke, dass die Akzeptanz im Lande größer ist, als wir manchmal denken. Ich denke, man kann den Brandenburgern erklären, dass ihre Repräsentanten nicht länger in einem von der Bauaufsicht bedrohten Gebäude agieren können und gleichzeitig in der Landeshauptstadt das Problem der brachliegenden Stadtmitte gelöst wird. Trotzdem sollten wir, wenn das Gebäude errichtet wird, Maß halten, bei den Standards nicht übertreiben und die Bevölkerung einbeziehen.
Für März haben Rechtsextreme den nächsten Aufmarsch am Soldatenfriedhof in Halbe angekündigt. Innenminister Jörg Schönbohm plädiert dafür, diesmal die Neonazi-Demo zu ignorieren, nicht zu versuchen, sie durch zivilen Ungehorsam von Demokraten zu blockieren. Teilen Sie seine Ansicht?
Ich halte es nach wie vor für sinnvoll, dass sich Demokraten finden, die deutlich machen: Wir sind mehr als die Rechtsextremen. Es müssen nicht immer Großveranstaltungen sein. Aber es wäre ein Fehler, gar nichts zu tun.
Also Demonstrieren, aber nicht Blockieren?
Wir sollten innerhalb der zulässigen Spielregeln die Aktionsräume nutzen. Aber wenn Demokraten versuchen, mit ungesetzlichen Mitteln gegen Rechtsextreme vorzugehen, wäre das kein Musterbeispiel für die Demokratie. Damit würde das demokratische System, das auch seinen Gegnern Rechte einräumt, unglaubwürdig.
Das Interview führte Thorsten Metzner
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