Von Alexander Fröhlich: Anklage fordert Gefängnis für Polizisten
Zivilfahnder soll dreieinhalb Jahre in Haft Urteil wird am Samstag verkündet
Stand:
Neuruppin - Im Prozess um die tödlichen Schüsse auf einen Kleinkriminellen hat die Staatsanwaltschaft eine Haftstrafe von dreieinhalb Jahren wegen Totschlags im minderschweren Fall für den Berliner Polizisten gefordert. Die Verteidiger des Zivilfahnders Reinhard R. (36) plädierten vor der Schwurgerichtskammer des Neuruppiner Landgerichts dagegen auf Notwehr und forderten für ihren Mandanten einen Freispruch. Für die beiden mitangeklagten Beamten, die sich wegen versuchter Strafvereitelung im Amt verantworten müssen, beantragte Staatsanwalt Kai Clement Haftstrafen von neun Monaten, mit Bewährung auf drei Jahre, sowie eine Geldstrafe von 1000 Euro. Auch hier plädierten die Verteidiger auf Freispruch. Am Samstag will das Gericht sein Urteil in dem Fall verkünden, der deutschlandweit Aufsehen erregt hat.
Es geht um das Geschehen am Silvesterabend 2008 im brandenburgischen Schönfließ, weniger Kilometer hinter der nördlichen Stadtgrenze Berlins. Drei Zivilfahnder waren dem mit mehreren Haftbefehlen gesuchten Dennis J. auf der Spur. Der damals 26-Jährige saß in einer gestohlenen Jaguar-Limousine und wartete auf seine Freundin. Die eigentliche Tat spielte sich binnen 30 Sekunden ab, bei der Dennis J. durch einen Lungensteckschuss starb. R. stand höchstens 1,50 Meter entfernt und schoss mit seiner Dienstwaffe durch die Türscheibe des Wagens „dem Mann quasi Aug in Aug in die Brust“, wie es Clement formulierte.
Der Staatsanwalt fand in seinem Plädoyer deutliche Worte für R. und sprach von einer „Schussorgie“. „Er hat aufgrund seiner übersteigerten Motivation jegliches Maß verloren. Der Jagdtrieb ist mit ihm durchgegangen.“ Aus Sicht der Anklage waren die gesamten acht Schüsse aus dem Magazin der Dienstwaffe keinesfalls gerechtfertigt, unverhältnismäßig und ein Verstoß gegen das Polizeigesetz, das hätte R. als erfolgreicher Zivilfahnder mit überdurchschnittlicher Festnahmequote wissen müssen. Der Kommissar habe nicht aus Notwehr geschossen, sondern aus übermäßigem Verfolgerehrgeiz, um den Gesuchten an der Flucht zu hindern. Dabei habe er dessen Tod billigend in Kauf genommen. Denn neben dem tödlichen Schuss habe R. zwei weitere Male durch die Beifahrertür gefeuert, ein Projektil verfehlte J. nur knapp und blieb in der Mittelkonsole stecken. „Es handelte sich um eklatante Verstöße gegen die Regeln des Schusswaffengebrauchs.“ Trotz des umfangreichen Vorstrafenregisters des Neuköllners sei der Schusswaffengebrauch völlig überzogen, J. sei kein „Massenmörder, sondern eine ziemlich kleine Figur“ im Bereich der „mittleren oder unteren Kriminalität“. Dieser habe nur flüchten wollen und nicht die „Absicht gehabt, die Beamten zu verletzten“. Zumindest geht die Anklage von einem minderschweren Fall aus, weil der Fahnder wegen einer brenzligen Situation in einem „affektnahen Zustand“ gewesen sei. „Das war eine wilde Ballerei in einem Wohngebiet.“
In einem Punkt wich Clement nach acht Verhandlungstagen von der ursprünglichen Anklageschrift ab. Für den Staatsanwalt steht fest, dass das Auto nicht mehr stand, sondern Dennis J. bereits losgefahren war und den Wagen gegen eine Mauer gesetzt hatte.
Verteidiger Walter Venedey entwarf dagegen ein Notwehrszenario. Der per Haftbefehl gesuchte Intensivtäter sei mit der Limousine auf die Polizisten R. und Heinz S. zugefahren. Beim Zurücksetzen des Autos sei S. gestürzt, der Hauptangeklagte sei von einem Angriff ausgegangen, habe nicht gesehen, ob der Kollege neben oder unter dem Auto lag. Der Neuköllner sei zudem mit einem Messer und zwei Reizgasflaschen bewaffnet gewesen und habe sich bereits einmal mit Gas gegen eine Festnahme gewehrt. „Wo ist der Unterschied, ob ich mir mit der Sprayflasche den Weg frei mache oder mit dem Auto. Das ist ein Einsatz des Fahrzeugs als Waffe“, sagte Venedey. Zumal J. aufgeputscht war und erhebliche Mengen Kokain konsumiert hatte. Eskaliert sei die Lage, „weil sich der Gesuchte nicht wollte festnehmen lassen, um keinen Preis“, sagte Anwalt C. Mark Höfler. „Es war ein reiner Verteidigungsschuss. Wir müssen von einem extrem dynamischen Geschehensablauf ausgehen.“
Den beiden mitangeklagten Beamten, die R. nach dem Vorfall gedeckt haben sollen, warf die Staatsanwalt vor, gelogen zu haben. Dreimal beklagte Clement in seinem mehr als eine Stunde dauernden Plädoyer den Korpsgeist unter den Beamten, was bei hochrangigen Vertretern der Berliner Polizei, die den Prozess beobachten, Unmut auslöste. Die beiden Fahnder Heinz S. und Olaf B. haben sich bislang darauf berufen, wegen heftiger Silvesterknallerei kaum Schüsse bemerkt zu haben. Die Verteidiger betonten am Montag, beide hätten sich von Beginn an offen geäußert und seien von den Ermittlern unter Druck gesetzt worden.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: