Brandenburg: Ärzte im Ausstand
Zehntausende Mediziner protestieren in Berlin / „Anständige Bezahlung“ für erbrachte Leistung gefordert
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Berlin - Rund 30 000 niedergelassene Ärzte aus ganz Deutschland haben am Freitag in Berlin gegen Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen protestiert. Nach Veranstalterangaben war es die größte Ärztedemonstration der vergangenen Jahrzehnte. Viele Demonstranten trugen Transparente mit Aufschriften wie „Gesundheit erhalten, statt Mangel verwalten“ und „Tatü Tata! Kein Arzt mehr da“.
Auch Patientenvertreter nahmen teil. Nach einer Kundgebung am Roten Rathaus zogen die Ärzte zum Brandenburger Tor, wo am Nachmittag die Abschlusskundgebung stattfand.
Die Mediziner wollten nicht länger „hochqualifizierte Leistungen zu Dumpingpreisen erbringen und auch nicht länger als Erfüllungsgehilfen staatlicher Rationierung missbraucht werden“, sagte Bundesärztekammerpräsident Jörg-Dietrich Hoppe. Auch die Patienten spürten, dass „die permanente Ausbeutung der ärztlichen Leistungsbereitschaft ihre Grenzen“ habe. 81 Prozent der Deutschen hätten einer Umfrage zufolge Verständnis für die Ärzte-Proteste.
Das Arzneimittel-Rationierungsgesetz sei ein neuerlicher Versuch, „mit einem politischen Machwerk ärztliche Therapievielfalt zu zerstören“. Wer für den Staat spare, solle „wie ein Vertreter mit Boni belohnt werden, wer die Medizin zur Grundlage seines ärztlichen Handels macht, dem drohen Strafzahlungen", sagte Hoppe.
Anlässlich des Protesttags sagte der Vorsitzende des Ärzteverbandes Marburger Bund, Frank Ulrich Montgomery: „Unsere Probleme sind hausgemacht, nicht die Globalisierung, nicht die Demographie und schon gar nicht der Fortschritt sind die Ursache.“ Handlungsunwillige, handlungsunfähige, nur auf den Wähler schielende Politiker seien der Kern des Problems. Die Politik bekomme die Pharmaindustrie „nicht in den Griff“ und dafür sollten nun die Ärzte bezahlen, sagte er und fügte hinzu: „Wir haben Lust auf Arbeit, wir haben Lust auf Leistung, aber wir wollen anständig bezahlt werden.“ Unter Buhrufen und Pfiffen betonte der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Köhler, dass die kassenärztlichen Vereinigungen zu „Erfüllungsgehilfen“ staatlicher Sparpolitik gemacht worden seien. Die Vertreterversammlung habe ein Referendum beschlossen, bei dem Ärzte befragt werden sollen, „was für eine KV sie wollen“.
Nach Darstellung des Präsidenten der Freien Ärzteschaft, Martin Grauduszus, spielt die Politik Patienten und Ärzte gegeneinander aus. Er warnte davor, die Entschlossenheit der Mediziner zu unterschätzen. Seine Forderung, Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) zu entlassen, löste bei den Demonstranten breiten Beifall aus. Viele trugen Aufkleber mit der Aufschrift „Ulla, es reicht!“ Die Politik habe das Verständnis für Zusammenhänge im Gesundheitssystem verloren, sagte Grauduszus.
Bundesweit blieben am Freitag viele Praxen geschlossen. Eine Notfallversorgung war nach Veranstalterangaben aber gewährleistet. Bereits am 18. Januar waren über 20 000 Ärzte in Berlin auf die Straße gegangen. Für den 19. Mai ist ein weiterer Protesttag geplant.
Aus Brandenburg beteiligten sich mehr als 2000 Ärzte, Psychotherapeuten und Praxismitarbeiter am bundesweiten Protesttag in Berlin. Zahlreiche Praxen blieben geschlossen, sagte eine Sprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung. Genaue Zahlen konnte sie nicht nennen. Die Mediziner wollten vor allem gegen die „erdrückende Bürokratie“ und die chronische Unterfinanzierung der ambulanten Versorgung protestieren. Scharfe Kritik üben die märkischen Ärzte unter anderem am dem geplanten Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz. Mit seinem Zwang, nur noch die preiswertesten Medikamente zu verschreiben, schränke es die Therapiefreiheit des Arztes massiv ein. In Brandenburg gibt es nach Angaben der KV rund 3700 ambulant tätige Ärzte.
Auch in Berlin blieben gestern viele Praxen geschlossen. Aufgerufen zu dem Protest hatten rund 50 ärztliche und zehn Patientenverbände. Vertreter von niedergelassenen Ärzten hatten am Morgen vor Journalisten von einer Bedrohung ihres Grundrechts auf freie Berufsausübung gesprochen, weil freiberufliche Ärzte „fertig gemacht“ würden. Ohne weitere Zugeständnisse der Politik wäre auch Protest während der Fußball-WM denkbar.
(mit dpa)
Judith Csaba, Marion Schierz
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