Brandenburg: Auf dem Papagenomobil
Brandenburger Pastorale: „Die Zauberflöte“ bei der Kammeroper Schloss Rheinsberg
Stand:
Rheinsberg - Für solche Abende wurden Freiluftaufführungen erfunden. Im goldenen Abendsonnenlicht leuchtet die Fassade des Rheinsberger Schlosses, still und schön liegt der Grienericksee. Sofort durchströmt das Pastorale-Gefühl den Besucher: „Erwachen heiterer Empfindungen bey der Ankunft auf dem Lande“. Dabei geht es gar nicht um Beethoven an diesem Freitag, sondern um Mozart. Als letzte Premiere des Sommers wird „Die Zauberflöte“ im barocken Heckentheater gezeigt: Klug kontrapunktiert Johanna Maria Burkhardt die strenge Geometrie der Anlage, setzt in ihrer Ausstattung Expressionistisches gegen die kunstvoll zu Pyramiden und Quadern gestutzten Buchsbäume. Auf einer asymmetrischen Spielfläche agieren die jungen Sänger, die sich im Wettbewerb gegen 450 Bewerber durchgesetzt haben. Die grotesken Masken der wilden Tiere sind aus Holz, das Bildnis der Pamina zeigt eine Odaliske im Stil der Berliner Brücke-Maler.
Kay Kuntze inszeniert mit leichter Hand ein Sommermärchen, erlaubt sich Slapstick, weiß aber auch, wann es Zeit ist, die Komödie auszubremsen. Wenn Tamino auf seinem Prüfungsweg zur Weisheit ein „heilsames Schweigen“ auferlegt bekommt und darum seiner Pamina die kalte Schulter zeigen muss, inszeniert Kuntze das Schwanken des jungen Mannes zwischen Pflicht und Angst um seine Liebe so bewegend, wie man es selten sieht: Während Marija Mitic als Pamina ihr „Ach, ich fühl’s, es ist entschwunden“ singt, vermag sich Goran Cahs Tamino noch zu zügeln. Als sie dann grußlos abgeht, zerreißt es ihn innerlich fast – zu spät setzt sich sein Körper in Bewegung, um ihr nachzulaufen. Dicke Tränen quellen dem kroatischen Tenor aus den Augen, als er in der Bewegung erstarrt. Vielleicht kommt da auch einfach nur zu viel zusammen – dieser Premierenabend ist für Goran Cah nämlich gleichzeitig die Abschlussprüfung für sein Studium an der Berliner Universität der Künste.
Kay Kuntze ist ein erfahrener Rheinsberg-Regisseur, fünf Produktionen hat er hier schon gemacht – und kennt darum die Kniffe, mit denen sich im Heckentheater die Natur effektvoll ins Spiel einbeziehen lässt. Dass sich der Abendstern just blitzend zeigt, als Sarastro (Erik Ginzburg) zur „Isis und Osiris“-Arie ansetzt, ist aber ebenso ein Geschenk des Himmels wie das Gezirpe der Grillen, das dieser Sommernacht eine mediterrane Note gibt. Erinnerungen werden wach an die erste Rheinsberger Premiere, an jenen 17. August 1991, als der Komponist Siegfried Matthus an einem ähnlich lauen Sommerabend sein Förderprogramm für Nachwuchssänger startete – mit einem eigenen Werk. 350 000 Besucher haben seitdem die Aufführungen der Kammeroper erlebt, 10 000 Nachwuchskünstler konnten hier Bühnenerfahrungen sammeln.
Unter den Solisten der neuen „Zauberflöte“ wünscht man vor allem Mikhail Timoshenko eine Weltkarriere: Als „Sprecher“, der die Pforte des Weisheitstempels bewacht, hat er nur wenige Sätze zu singen – sein schlanker Bass aber ist von solch seltener Klangschönheit, kraftvoll und balsamisch zugleich, dass er noch lange im Ohr bleibt. Mit angemessener Diven-Attitüde gibt Larissa Alice Wissel die Königin der Nacht. Dass einige Koloraturspitzen nicht perfekt sitzen, ist der Premierennervosität geschuldet, in den weniger exponierten Passagen jedoch, den eindringlichen Beschwörungen der rachsüchtigen Mutter, wird klar, dass hier eine Belcanto-Könnerin heranreift. Szenisch wie vokal äußerst agil wirkt Bonko Karadjovs Monostatos, Ilona Krzywicka, Hasti Molavian und Karina Repova harmonieren bestens als Anstandsdamen der sternflammenden Königin. Dass Kay Kuntze den drei Knaben die Rolle der Spielmacher überträgt, nutzen Anna-Lena Kaschubowski, Georgia Tryfona und Eunkyoung Sul, um als androgyne Kobolde in Malerkitteln zu punkten. Der begabteste Singschauspieler der Truppe aber ist Bernhard Hansky, Absolvent des Opernstudios der Komischen Oper, ein Baritonbuffo von unwiderstehlichem Frohsinn, dem schon beim ersten Auftritt alle Herzen zufliegen. Mit sicherer Hand führt Michael Helmrath die jungen Solisten durch die Partitur – und auch den Rheinsberger Festivalchor, der sich aus musikbegeisterten Laien zusammensetzt. Helmrath, Generalmusikdirektor der Brandenburger Symphoniker, war Solo-Oboist der Münchner Philharmoniker, bevor es ihn aufs Dirigentenpult zog.
Am 31. August, wenn die letzten Sänger abgereist sind, wird der 80-jährige Siegfried Matthus die Leitung der Kammeroper Schloss Rheinsberg an seinen Sohn Frank übergeben, einen Schauspieler in den besten Jahren, der seit 1996 im benachbarten Netzeband einen eigenen „Theatersommer“ organisiert. Als Freiluftproduktion für 2015 hat er bereits Giuseppe Verdis „La Traviata“ angekündigt. Eine abwegige Wahl? Immerhin spielt der zweite Akt des Pariser Kurtisanendramas draußen auf dem Lande, en plein air, vor den Toren der französischen Hauptstadt.Frederik Hanssen
„Die Zauberflöte“, wieder am 12., 13., 15. und 16. August, Informationen: www.kammeroper-schloss-rheinsberg.de
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: