Brandenburg: „Ausfluss der Nazi-Ideologie“
Brandenburgs Justizminister Schöneburg über Pläne zur Reform des Strafrechts und warum es einen minderschweren Fall von Mord geben sollte
Stand:
Herr Minister, Sie wollen den Mordparagrafen im Strafrecht reformieren. Dürfen wir bald nicht mehr Mörder sagen?
Mörder werden immer noch Mörder genannt, das ist offensichtlich üblich. Aber der Paragraf ist von den Nazis verabschiedet worden, aus einem anderen Zeitalter und Ausfluss der Tätertypenideologie, also der Lehre, wer ein Mörder ist.
Das müssen Sie uns näher erläutern. Es geht hier um einen Paragrafen, der von Roland Freisler, dem Präsidenten des Volksgerichtshofes, federführend ausgearbeitet worden ist.
In der Ideologie der Nazis gab es charakterliche Gründe, demnach ist man als Mörder geboren und vorherbestimmt. Dieses Relikt gehört abgeschafft, denn es ist unwissenschaftlich und war schon immer falsch. Es gibt keinen Menschentyp des Mörders. Schleswig-Holstein hat auf der Justizministerkonferenz vorgeschlagen, das zu ändern. Das aber wäre nur eine redaktionelle Änderung und damit nur ein symbolischer Akt. Dann gäbe es nur eine neue Beschreibung des Tatbestandes. Also wer aus bestimmten Motiven einen Menschen tötet, der wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. Das hätte aber keinen Einfluss auf die Rechtsanwendung.
Was wollen Sie darüber hinaus neu regeln?
Seit Jahrzehnten gibt es in der Strafjustiz und in der Lehre eine Diskussion, dass hier systematischer Reformbedarf besteht. Auf einer Ebene geht es um die Bestrafungen von Gehilfen und Anstiftern bei Totschlag und Mord. Das Hauptproblem ist aber, dass es im Gesetz keinen minderschweren Fall des Mordes gibt. Die lebenslange Freiheitsstrafe muss selbst dann verhängt werden, wenn diese möglicherweise der Schuld gar nicht angemessen ist.
Da gab es den Fall eines jungen Mannes aus Rathenow. Er lebte bei seinen Eltern wie in einem goldenen Käfig, wurde über Jahre gegängelt. Schließlich brach es aus ihm heraus, er brachte die Eltern um. Das Landgericht Potsdam tat sich schwer damit, musste ihn wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilen. Meinen Sie solche Fälle?
Ja, so etwas kann es sein. Ähnlich gelagert war der Tyrannenmordfall. Hier wurde eine Familie vom Ehemann in schrecklicher Art und Weise tyrannisiert. Die Frau sah keinen anderen Ausweg, als ihn im Schlaf „heimtückisch“ zu töten. Hier hielt die Rechtsprechung aufgrund der außergewöhnlichen Umstände die lebenslange Haft für nicht schuldangemessen.
Daran könnten sich doch auch andere Gerichte halten.
Das wäre aber nur im Einzelfall möglich und lediglich bei Heimtücke. Aber das eigentliche Problem ist: Das Gesetz sieht nur lebenslang vor. Beim Tyrannenmordfall haben wir es mit einer richterlichen Rechtsfortbildung in Ermangelung einer gesetzlichen Regelung zu tun. Demokratietheoretisch muss der Gesetzgeber das Problem lösen, indem er einen minderschweren Fall wieder einführt. Damit hätte man die Möglichkeit, bei allen Mordmerkmalen zu differenzieren, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen. Sogar die Regelung von 1941 hatte das noch vorgesehen. 1953 ist der minderschwere Fall im Zuge der Strafrechtsreform ersatzlos gestrichen worden. Wo die Motive lagen, ist schleierhaft. Mitte der 90er-Jahre war angedacht, das Problem zu lösen. Man konnte sich aber nicht einigen und schob es auf die lange Bank.
Was sagen denn die anderen Justizminister dazu?
Das Vorhaben von Schleswig-Holstein ist zur Kenntnis genommen worden. Man steht dem mit Abstrichen positiv gegenüber. Einige Länder sind unserer Argumentation gefolgt.
Das hört sich nicht nach Durchbruch an. Sie haben eine Mitarbeit in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe angeboten. Welche Vorbehalte gibt es? Was sagt der Bund?
Manche wollen das Thema nicht anpacken, weil es nicht populär ist. Zudem ist ein größerer Ruck nötig, man muss über Strafen nachdenken, weitere umfangreiche Gesetzesänderungen sind nötig.
Kritiker glauben nicht, dass das Reformanliegen eine Chance hat, eben weil der Mordparagraf auch dem Geist der Justiz entspricht. Deren NS-Verstrickungen nach 1945 und Karrieren von NS-Größen in der Bundesrepublik sind inzwischen wissenschaftlich belegt. Ist die Justiz also schon reif für eine Reform?
Natürlich. Die Reform ist überfällig.
Das Interview führte Alexander Fröhlich
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