zum Hauptinhalt
Beim Alter getrickst? Zentrale Ausländerbehörde in Eisenhüttenstadt.

© dpa

Eisenhüttenstadt: Ausländerbehörde soll beim Alter getrickst haben

Wurden in der Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Eisenhüttenstadt (Oder-Spree) Asylsuchende pauschal als volljährig erklärt, um Geld zu sparen und ihre spätere Abschiebung zu ermöglichen?

Von Matthias Matern

Stand:

Eisenhüttenstadt - Der Vorwurf, den 14 junge Somalier gegen die brandenburgische Ausländerbehörde erheben, wiegt schwer. Einem Bericht der „Taz“ zufolge handelt es sich um Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland Somalia, die während der vergangenen vier Monate ohne ihre Eltern über die italienische Insel Lampedusa nach Deutschland geflohen waren. Obwohl zumindest einige somalische Geburtsurkunden hatten vorlegen können, die sie als Minderjährige ausweisen, hätte die Behörde ihnen Ausweise ausgestellt, die sie durch ein fiktives Geburtsdatum zu Volljährigen erklärt, so der Vorwurf. Die Grünen im brandenburgischen Landtag forderten am Dienstag das Landesinnenministerium auf, den Anschuldigungen nachzugehen und kündigten an, den Fall am heutigen Mittwoch im Parlament zur Sprache zu bringen.

Im Innenministerium jedoch wies man am Dienstag jede Schuld von sich. Die Zentrale Ausländerbehörde in Eisenhüttenstadt stelle gar keine Personalpapiere, sondern lediglich Heimausweise für die Erstaufnahmeeinrichtung aus, teilte Ministeriumssprecher Wolfgang Brandt auf PNN-Anfrage mit. Für die Aufenthaltsgestattung, die den Aufenthaltsstatus während des Asylverfahrens absichert, sei dagegen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zuständig. Bei den in der „Taz“ geschilderten Fällen handele es sich zudem bis auf eine Person um Flüchtlinge, die die aus anderen Ländern – und zwar Bayern und Hamburg – nach Brandenburg verteilt worden seien. Die von den dortigen Behörden ermittelten Altersangaben seien in die Heimausweise übernommen worden, so Brandt. Nur bei einer Person habe es sich um einen Direktzugang gehandelt. „In diesem Fall wurde das Jugendamt des Landkreises Oder-Spree eingeschaltet. Hier liegt noch kein Ergebnis der Altersfeststellung vor“, erklärte der Ministeriumssprecher. Allerdings habe Innenminister Ralf Holzschuher (SPD) hat eine umfassende Überprüfung angeordnet.

Der Vorteil der Feststellung einer Volljährigkeit aus Perspektive der Behörden liegt auf der Hand. Zum einen haben Flüchtlinge unter 18 Jahren Anspruch auf einen Platz in einer Jugendhilfeeinrichtung, werden also in der Regel zusammen mit anderen minderjährigen Asylsuchenden in einer Wohngemeinschaft untergebracht und können zur Schule gehen. Im Vergleich zur Unterbringung erwachsener Flüchtlinge eine teure Angelegenheit für das Land. Zum anderen – aus Sicht der Betroffenen wohl der folgenreichste Unterschied – dürfen minderjährige Flüchtlinge nicht abgeschoben werden.

Flüchtlingsorganisationen und christliche Hilfeeinrichtungen kristisieren schon länger in Deutschland Missstände im Umgang mit sogenannten unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen, also unter 18-jährigen Migranten, die ohne ein oder beide Elternteile einwandern. der Bundesfachverband Unbegleiteter Minderjähriger Flüchtlinge aus München etwa, wirft den deutschen Behörden vor, die von den Vereinten Nationen vorgegeben Mindeststandards nicht einzuhalten. Demnach dürfe bei der Altersbestimmung nicht nur das äußere Erscheinungsbild ausschlaggebend sein, sondern eine wissenschaftlich fundierte Untersuchung müsse erfolgen. Teilweise würden Minderjährige in Deutschland systematisch für volljährig erklärt, um sie als Erwachsene unterbringen zu dürfen und um sie leichter abschieben zu können. Erst im Juli hatte das christliche Hilfswerk Innere Mission einige solcher Fälle in Bayern aufgedeckt. „Wann immer es möglich ist, dass es sich um ein Kind handeln könnte, muss es auch als solches behandelt werden und umgehend das Jugendamt eingeschaltet werden“, betonte am Dienstag auch Ivana Domazet vom Flüchtlingsrat Brandenburg.

Zweifel hatte man in Eisenhüttenstadt offenbar nur in einem Fall. Bei den anderen Somaliern hat man sich lieber auf die Einschätzung der Kollegen anderer Länder verlassen. Doch selbst in dem einen verbleibenden Fall ist wohl mit einer kompetenten Einschätzung des Alters nicht zu rechnen. Im zuständigen Jugendamt fühlt man sich überfordert und gar nicht zuständig: „Für die Altersbestimmung sind wir gar nicht zuständig und fachlich auch nicht qualifiziert“, sagte Kreissprecher Dietmar Materne den PNN.

Die Grünen-Innenexpertin im brandenburgischen Landtag, Ursula Nonnemacher, forderte eine erneute Überprüfung. „Sollten Zweifel hinsichtlich des Alters der Jugendlichen bestehen, muss zugunsten der Schutzsuchenden entschieden und nicht nach Belieben ihre Volljährigkeit angenommen werden, die vergleichsweise weniger Rechte für sie bedeutet. Ein anderes Vorgehen wäre eines Rechtsstaates nicht würdig“, sagte Nonnemacher.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })