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Brandenburg: Beim Abschied flossen Tränen

Letzter Gottesdienst in Horno / Superintendent zu Umbettung: Menschen werden nicht nur für bestimmte Zeit beerdigt

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Letzter Gottesdienst in Horno / Superintendent zu Umbettung: Menschen werden nicht nur für bestimmte Zeit beerdigt Von Bernd-Volker Brahms Horno. Die Einwohner des kleinen Niederlausitzer Dorfes Horno (Spree-Neiße) sind treue Kirchgänger. Ihre Dorfkirche, die vermutlich aus dem 15. Jahrhundert stammt, war auch am Sonntag fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Etwa 150 Menschen drängten sich in den alten Backsteinbau. Ein letztes Mal wollten die Bewohner einen Gottesdienst zusammen feiern, ehe das Gebäude - genauso wie das ganze Dorf – demnächst dem Braunkohletagebau der Lausitz weichen muss. „Für den heutigen Vorgang gibt es kein Formular und auch keine Liturgie“, sagte Superintendent Matthias Blume den Gemeindemitgliedern. „Kirchen werden nicht für eine bestimmte Zeit gebaut, genauso wenig wie man Menschen nicht für eine bestimmte Zeit beerdigt“, sagte der Cottbuser Theologe und verwies damit auf die Besonderheit der Hornoer Situation. Neben der offiziellen Schließung des Kirchengebäudes musste der Superintendent gestern auch das Ende des Friedhofes um die Kirche herum verkünden. Die Toten werden in den nächsten Wochen umgebettet. Hornos Ortsbürgermeister Bernd Siegert konnte nach dem Gottesdienst nicht sagen. Der streitbare Lokalpolitiker, der sich jahrelang für den Erhalt des Dorfes eingesetzt hatte, war sichtlich gerührt – genauso wie viele der Kirchgänger. Ältere – aber auch jüngere Menschen – mussten sich des öfteren die Tränen aus dem Gesicht wischen. „Das ist hier wie eine Beerdigung“, sagte ein Hornoer in die Runde. „Die Nerven liegen blank“, erklärt Ortspfarrerin Dagmar Wellenbrink. Die letzten Wochen seien bewegend und nervzehrend gewesen. Die verbliebenen 200 von ehemals etwa 300 Einwohnern von Horno sitzen auf gepackten Koffern. Spätestens bis Weihnachten müssen sie das Dorf geräumt haben. Die meisten von ihnen werden in das zwanzig Kilometer entfernte Neu-Horno bei Forst ziehen. Fast 25 Jahre haben die Bewohner des sorbischen Ortes für dessen Erhalt gekämpft und erst im vergangenen Jahr kapituliert, als alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft waren. Nur das Ehepaar Ursula und Werner Domain und der englische Schriftsteller Michael Gromm haben das Entschädigungsangebot von Vattenfall nicht angenommen. Gegen sie läuft jetzt ein Enteigungsverfahren. Schon zu DDR-Zeiten, nachdem 1977 die Devastierung von Horno ins Auge gefasst wurde, brachten die Einwohner den Mut auf, eine Petition an Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker zu richten. Nach der Wende beschäftigten sich Gerichte, Umwelt- und Denkmalbehörden und Politiker mit ihrem Problem. Das Schicksal des kleinen brandenburgischen Gemeinde hatte bundesweite Aufmerksamkeit bekommen. Im Sommer 2002 stellte das Bundesverwaltungsgericht endgültig die Rechtmäßigkeit der Abbaggerung des Ortes fest. Beim letzten Gottesdienst wollten die Hornoer unter sich sein. Der Gemeindekirchenrat hatte zuvor ausdrücklich den Ausschluss von Kameras beschlossen. Der Umgang mit der Presse, den die Hornoer in den letzten Jahren gelernt hatten, war ihnen bei diesem Abschied zu viel. Der bevorstehende Auszug und das Ende des gesamten Ortes wird auch an Kleinigkeiten deutlich. Bei einigen Häusern sind die Jalousien heruntergelassen, beim Supermarkt sind die Fenster leer. Auffälligstes Kennzeichen ist die fehlende Kirchturmhaube. Sie wurde bereits Anfang August entfernt. Sie wird restauriert und demnächst in Neu-Horno auf den neuen Kirchbau aufgesetzt. Beim letzten Gottesdienst kam deshalb das Glockengeläut aus dem Lautsprecher.

Bernd-Volker Brahms

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