Brandenburg: Berlin: 35 000 Jugendliche außerhalb der Gesellschaft
Sie wollen keinen Job und keine Ausbildung, auch wenn es sie das Arbeitslosengeld kostet
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Berlin - Sie kommen, um zu kassieren. Aber sie verschwinden, wenn sie dafür etwas leisten müssen. Dabei sind sie höchstens 25 Jahre jung. Und sie müssten sich nur mit Rollenspielen oder Computerkursen fit machen für den Arbeitsmarkt. Doch auch das wollen sie nicht. Sie gelten als Totalverweigerer. „Wir können niemanden dazu zwingen, sich selbst zu helfen“, sagt der Bezirksstadtrat für Soziales im Berliner Stadtteil Neukölln Michael Böge. Deshalb überlasse man die jungen Leute sich selbst.
Auch in der Berliner Sozialsenatsverwaltung klingt die Ansage klar: „Wenn Jugendliche nicht dazu bereit sind, durch eigene Arbeit ihren Lebensunterhalt zu verdienen, dann haben sie keinen Anspruch auf staatliche Unterstützung“, sagt Behördensprecherin Roswitha Steinbrenner. Landesweit lehnen über 35 000 Jugendliche unter 25 Jahren die Teilnahme an Job- oder Bildungsangeboten ab. Verwunderlich ist das deshalb, weil die Betroffenen eigentlich ihre „Bedürftigkeit“ bewiesen hatten, bevor sie das Arbeitslosengeld II zum ersten Mal bekamen. Doch so schlecht, wie sie es dem Amt glaubhaft machten, ist es um sie offenbar nicht bestellt: „Diese Jugendliche bedürfen der Leistungen nicht“, sagt Sozialstadtrat Böge.
Auch die Zahl der Verweigerer beim jüngsten Projekt des für Neukölln zuständigen Jobcenters ist alarmierend: Von den 284 Jugendlichen, die an einem berufsqualifizierenden Programm teilnehmen sollten, erschienen 160 erst gar nicht. Auch nachdem die Verweigerer Post vom Jobcenter erhielten, das ihnen die Streichung des Arbeitslosengeldes II ankündigte, kamen nur 30 Teilnehmer reumütig zurück. Die große Mehrzahl aber, 116 Jugendliche, rührte sich nicht. „Diese Jugendlichen wollen sich nicht unterordnen“, sagt der Leiter des Neuköllner Jugendamtes Arnold Mengelkoch. Die fehlenden Mittel würden vom Lebenspartner oder durch kleine Geschäfte mit der Beschaffung von Waren ausgeglichen, „die vom LKW runtergefallen sind“. Auch der Verkauf von leichten Drogen komme vor. In den meisten Fälle helfen aber wohl die Eltern. Besonders leicht hätten es Einzelkinder allein erziehender Mütter, die besonders offen für die Wünsche ihrer Söhne seien.
Dass die Eltern den Weg in die Selbstständigkeit ihrer Kinder nicht mit sanften Druck vorbereiten, liegt nach Erfahrungen des Jugendamtes oft daran, dass die „gar nicht mitkriegen, was in der Realität los ist“. Bei Kindern mit Migranten-Hintergrund sei die Sprachbarriere ein Grund dafür, dass die Eltern den Ausflüchten ihrer Kinder Glauben schenkten – „auch wenn die Jugendlichen von angeblich unzumutbaren Anforderungen der Ämter oder gar rassistischen Umgang fabulieren“, so der Leiter des Jugendamtes.
Ratlos sind Politiker und Beamte deshalb auch darüber, wie dieser abgespaltene Teil der Gesellschaft wieder integriert werden kann: „Es gibt eine ganze Unterstützungskultur mit Angeboten für jede Minderheit, mit Berufsberatungsprogrammen, Streetworkern und Netzwerken“, sagt Mengelkoch. Doch es gebe eben auch diese Gruppe von Jugendlichen, die nicht gerne früh aufstehe und sich nicht unterordne. „Und an die heranzukommen, ist sehr schwierig“, sagt der Jugendamtsleiter.
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