Brandenburg: Berliner U-Bahn-Schläger verurteilt
Richter sahen „niedrige Beweggründe“ der 15- bis 18-jährigen Täter
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Berlin - Die vier U-Bahn-Schläger von Berlin-Lichtenberg nahmen das Urteil regungslos auf: Ein Jugendgericht sprach sie des versuchten Mordes schuldig. Der 18-jährige Kenianer Jefeth W. erhielt sechs Jahre Haft, der Deutsch-Iraker Nazeh S. (17) fünf Jahre und sechs Monate, der Kosovare Etrit C. (18) vier Jahre und neun Monate, ein 15-jährigen Bosnier vier Jahre Freiheitsstrafe. Die Täter griffen aus Sicht der Richter „aus purer Lust an der Gewalt“ zwei Malergesellen an und traten einen der Männer fast zu Tode. Anders als die Ankläger sah das Gericht aber keinen Nachweis für eine Tat aus „Hass gegen Deutsche“.
Einen Monat dauerte der Prozess, der zum Schutz der Angeklagten unter Ausschluss der Öffentlichkeit lief. Die Schüler hatten ihre Beteiligung an der Prügelorgie am 11. Februar zugegeben, Tötungsvorsatz aber bestritten. Sie hätten auch nicht aus „Deutschenfeindlichkeit“ gehandelt. Drei der Jugendlichen hofften auf eine Bewährungsstrafe. Nur für Jefeth W., der sich auch für zwei weitere Angriffe vor dem Gewaltexzess und einen in der Untersuchungshaft verantworten musste, hatte seine Anwältin maximal fünf Jahre Haft gefordert. Alle Verteidiger plädierten auf einen Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung. Einige kündigten bereits Rechtsmittel an. Die Staatsanwaltschaft hatte Strafen von sechs bis knapp acht Jahren verlangt.
Die Bilder des Gewaltexzesses hatten bundesweit Entsetzen ausgelöst. Überwachungskameras hatten die brutalen Szenen aufgezeichnet. Es gab erst einen kurzen Wortwechsel. Plötzlich droschen die Jugendlichen los. Der 30-jährige Marcel R. ging zu Boden. Weitere Tritte trafen ihn gegen Kopf und Oberkörper. Anschließend jagten sie das zweite Opfer. Steffen O. war bereits auf der Straße, als die Täter ihn erreichten. Sie schlugen ihn, bis ein Mann, couragiert und kräftig, eingriff.
Marcel R. war Zeuge und Nebenkläger. Zur Verhandlung kam er nur an jenem Tag, als er aussagen sollte. Der Gang ins Gericht fiele ihm schwer. Vier Wochen lang hatte er mit schwersten Kopfverletzungen im Koma gelegen, nur mit Glück hatte er überlebt. Nach drei Monaten in Kliniken konnte er wieder laufen und sprechen. Mit den psychischen Folgen aber werde er lange zu kämpfen haben, so sein Anwalt. Die Verurteilung wegen Mordversuchs sei Marcel R. wichtig gewesen.
Die Schüler aus Lichtenberg suchten Streit. Sie waren angetrunken, provozierten Passanten. Die beiden Malergesellen, die nach einem Feierabendbier auf dem Heimweg waren, reagierten. Es gab einen Wortwechsel, wohl auch ein Schubsen. Der Angriff aber, so urteilten die Richter, blieb „grundlos, ohne nachvollziehbaren Anlass“. Sie gingen von niedrigen Beweggründen als Mordmerkmal aus. So sah es auch die Anklage. Das Gericht folgte der Einschätzung des Staatsanwalts jedoch nicht, dass „Hass gegen Deutsche“ ein Tatmotiv gewesen sei. Der Verdacht stützte sich auf eine Aussage Marcel R.s, dessen Erinnerung aufgrund der Kopfverletzungen bruchstückhaft ist.
Als das Urteil gegen die Täter gesprochen wurde, verließ eine der Mütter weinend den Saal. Die Mutter eines weiteren Täters brach zusammen. Warum die Schüler mit Migrationshintergrund an jenem Abend in einen derartigen Gewaltrausch geraten waren, blieb ungeklärt. Alkohol war zwar im Spiel, der aber führte nur im Falle des jüngsten Angeklagten zu einer verminderten Schuldfähigkeit.
Gewalt im öffentlichen Nahverkehr beschäftigt in Berlin immer wieder Polizei und Justiz. Bei dem bisher schlimmsten Vorfall starb im September ein junger Italiener, als er auf der Flucht vor U-Bahn- Schlägern auf dem Kaiserdamm vor ein Auto lief. Ein Verdächtiger sitzt in Untersuchungshaft. Anklage sei noch nicht erhoben worden, hieß es am Mittwoch.
Drei der Lichtenberger Schläger bleiben weiter in Untersuchungshaft. Der 15-Jährige ist frei. „Das Urteil ist sehr hart“, sagte einer der Verteidiger. Für einen anderen U-Bahnprügler war im September die Strafe niedriger ausgefallen. Der 18-jährige Torben P., der auf dem Bahnhof Friedrichstraße einem Handwerker mehrfach gegen den Kopf getreten hatte, wurde wegen versuchten Totschlags zu zwei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt.
Kerstin Gehrke
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