Brandenburg: Berlins dunkles Schloss
Der BND will bald auch soziale Netzwerke überwachen. Aber wie überwacht fühlt er sich selbst? Die Zentrale mit ihren 14 000 Fenstern gibt geheime Antworten. Ein Rundgang bei Tag und in der Nacht
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Mitten in der Metropole Berlins: die Fantasy-Burg. Das Maschinenhaus. Die abstrakte Skulptur. Das Speicher-Gehäuse. Kameras an Bauzäunen aus Pressholz. Dutzende Meter dahinter Büroblöcke, steinerne und matt glänzende aluminiumverkleidete Fassaden, grau, schwarz, klinkerrot, Hunderte von Metern lang. Ein menschenleerer Stadtteil. Die Meldung, der Bundesnachrichtendienst komme leibhaftig „in die Mitte der Hauptstadt“ (BND-Chef Gerhard Schindler), erschließt sich dem neugierigen Passanten nur schwer: während er das Stein- und Betongebirge BND samt 14000 Fensterhöhlen weiträumig umschreitet.
„Ein BND zum Anfassen“ war zur Eröffnung vor zwei Monaten versprochen worden. Durch eine Konzentrierung auf Berlin werde man künftig viele Dienstreisen, Hotelbuchungen oder Überstunden einsparen, freute sich Bauherr Schindler am 31. März, als er die ersten 174 Mitarbeiter begrüßte. Man wolle hier als „moderner Dienstleister“ transparenter werden – „im vertretbaren Rahmen“.
Diese spezifische Transparenz erschließt sich allerdings erst unter Hinzuziehung des Schlüsselbegriffs „Ironie“ (griech.: Vortäuschung). Architektur-Kritiker hatten dem Monumentalbau beim Betrachten seiner beiden über 20 Meter hohen grünmetallenen Palmen an der Rückfront so etwas unterstellt: Die Kunstbäume simulierten getarnte Sendemasten, lautete der Kommentar des zuständigen Künstlers. Doch das Täuschungsspiel beginnt vielleicht schon beim tautologischen Namen Chausseestraße, der so viel besagt: Deutschlands größtes Regierungshaus für maximal 6500 Agenten inklusive Verwaltung liegt an einer befestigten Straße, die eine Straße ist.
Das Umrunden des No-Go-Bezirks, wofür der Passanten-Reporter einen schwarzen Trenchcoat mit grauem Filzhut anlegt, beginnt bei spätem Nachmittagslicht Ecke Wöhlert- / Chausseestraße. Die Wöhlertstraße – rechts das Abwasserpumpwerk Mitte, links der Geheimdienst-Koloss – endet nach wenigen Schritten am Bauzaun, der die Stichstraße quert. Aus einer Tür im Zaun entweichen zum Feierabend Allerwelts-Angestellte mit Drahtesel. Auf ein paar Metern sind hier („Achtung Videoüberwachung“) sechs Kameras installiert. Vor dem BND-integrierten Altbau Chausseestr. 96 liegen Kabelschlingen. Dann versperrt der Zaun mit dem Graffitti-Teekesselchen „BeEnDe“ die Sicht auf endlose Fensterhöhlenfassaden, teilweise. An Warnschildern, die auf Bildaufzeichnung hinweisen, wird zur Nachfrage eine 01888-Rufnummer angeboten.
Nah dem U-Bahn-Abgang Schwartzkopfstraße stehen zwei gewaltige Eisentore als Einfahrt, mit Dutzenden Briefkästen, und als Ausfahrt für die Versorgung der Baustelle offen. Von fern sind vereinzelte Personen in den Winkeln des Geländes zu erkennen. Auf dem großen Schild, das der Öffentlichkeit die schmucke Anlage als Modellsimulation präsentiert, flanieren adrette Schattenmenschen (Bürger? Agenten? Androide?) über ein breites Trottoir, neben Eisenstäben einer formschönen Sperranlage. Real flaniert hier nur der Nord-Süd-Verkehr.
Die Botschaft der Klötze mit Gitterstruktur lautet: Masse plus Unverwüstlichkeit. Doch je länger der Passant im Trenchcoat das Metall- und Stein-Massiv betrachtet, desto weniger nimmt er es wahr. Das gelangweilte Auge findet keinen Anhaltspunkt. Wird sich dieser Tarnkappen-Trick für das Häuser-Haus in der Straßen-Straße verflüchtigen, wenn erst Tausende BNDler die Büros „mit Leben füllen“? Müssen sie alle in die Kantine – oder dürfen sie den Pizzaservice bestellen? Absorbiert Berlin den BND, oder verändert dieser seine Umgebung? Was treiben Geheimnisträger mit oder ohne falschen Bart bei der Weihnachtsfeier? Ist ein Schwarzes Brett für interne Tauschangebote erlaubt? Dürfen 6500 Kollegen untereinander anbandeln? Wo verstecken sie ihre geheimen Laster? Im Asphalt-Reich der tausend Videoaugen wartet ein müder Malocher an der autoleeren Seitenstraße aufs Ampelgrün, für den korrekten Übergang. Auf keines der Dixiklos, die in diesem Baustellen-Viertel am Straßenrand stehen, würde jemand wagen, „Pullach“ zu kritzeln.
Vor dem Abbiegen der Umrundungs-Route in die Habersaathstraße beginnt hinterm Bauzaun eine weitere Konstruktions-Variation: der rote Klinkerbau. In seinen blinden Fensteraugen spiegelt sich bewegter Wolkenhimmel. Habersaath, ein Werkzeugmacher der Schwartzkopf-Werke, war beim Demonstrieren am 9. November 1918 von Soldaten erschossen worden. Andere Straßenpatrone, die das Mega-Karree als Namensgeber umringen, sind der Lokomotiv-Fabrikant Wöhlert, der Militärreformer Scharnhorst und Kriegsminister Boyen. Die Habersaathstraße gibt sich als gemütliche Lage mit Bäckerei, einer Werkstatt für Stuhlgeflecht-Erneuerung und blühenden Kastanien. Das BND-Terrain rückt hier etwas zurück hinter Altbauten, ist nur noch aus der intimen Nachbarschaftsperspektive, via Hof und Garten, zu erspähen. Dann knickt die Route rechts um zum Pankepark. Neue Gehwegplatten aus weißem Stein leuchten, die schwarzgrüne Schmuddelgrütze des Rinnsaals bildet den Kontrast. An der Böschung drüben führt ein vergitterter Tunnel ins Erdreich, Richtung Agentennest. Darüber: Busch und Wiese, der hohe Zaun aus Eisenstäben. Dahinter: Sandhaufen, die ironischen Palmen, das dunkle Kastell der Verschlusssachen.
Am Sackgassen-Ende des Parks führt ein Brett über das Rinnsaal, man stapft zwischen Disteln hohe Erdhaufen hinauf, blickt von dort ungehindert über Sperranlagen – auf Baugruben, Sandhügel, Metall- und Naturstein-Fassaden. Die Kulisse eines gigantischen Computerspiels, in Panorama-Augenhöhe. Spätestens an diesem Aussichtspunkt müssen alle Kameras den Passanten als verdächtig erfasst haben.
Für die Mitternachts-Patrouille sieht der BND ähnlich und anders aus. Bei eingeschränkter Wahrnehmung wächst die Bedeutung dessen, was man investigativ erkennt. Der Geheimnisträger entpuppt sich als Projektionsfläche. Baustellentore sind nun geschlossen. In einigen der 14 000 Fenster leuchten Neonröhren oder Notausgangspiktogramme. Kabel hängen von der Decke. Das Giga-Gehäuse, aus dem bald auch die sozialen Netzwerke per „Echtzeitanalyse von Streaming-Daten“ überwacht werden sollen, döst im Stand-by-Modus und zeigt dabei ein paar Innereien. Manche Fluchten sind stockweise hell oder halbdunkel; Überstunden dürften ja keine mehr anfallen. Oder geht’s hier nachts erst richtig los? Der Mond schiebt sich zwischen tiefhängende Wolken. Nur eine ironische Palme wird bestrahlt. Zur Geisterstunde tarnt sich der BND als Höhlenzoo ohne Fauna, als Horror-Set zur „Unendlichen Geschichte“.
Auf seiner Homepage bekennt der Dienst, es gehöre zu seiner Aufgabe, hinter Fassaden zu blicken: Er arbeite „dabei oft im Geheimen und Verborgenen, nur selten treten seine Erfolge offen zu Tage“. Den letzten Bogen zur Umwanderung schlägt der Passant wegen Baustellensperrung über die Scharnhorst- in die Boyenstraße; vorbei am Komplex des Bundeswehrkrankenhauses. Hier avisiert der „Kasernenkommandant“ auf Warnschildern, das Objekt sei videobewacht, unbefugtes Betreten werde verfolgt. Die Nachbarschafts-Institution des BND liegt an der Idi-Amin-Straße, bei genauem Hinsehen an der Ida-von-Arnim-Straße: gewidmet einer unverdächtigen Oberin des vormaligen Kaiserin-Augusta-Hospitals. Ein kaum besetzter Linienbus und ein verdächtiger Nachtbus auf „Betriebsfahrt“ rollen vorbei an Häusern, in denen arglose Bürger schlummern.
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