Land setzt auf Quereinsteiger: Bis zu 40 Prozent unter Tarif in Ostdeutschland
Wickeln, spielen, füttern – und dazu noch auf die individuellen Bedürfnisse eines jeden Kindes eingehen. Nirgendwo in Deutschland ist die Belastung für Erzieher in Kindestagesstätten so groß wie im Land Brandenburg.
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Potsdam - Der Bertelsmann-Stiftung in Gütersloh zufolge kommen bei der Betreuung der Unterdreijährigen im Land auf eine pädagogische Fachkraft mehr als sechs Kinder. Zudem erhalten Erzieher in Ostdeutschland häufig deutlich weniger Geld als ihre Kollegen im Westen. Von Löhnen, die bis zu 40 Prozent unter Tarif liegen, ist die Rede. Um den absehbaren Bedarf an pädagogischen Fachkräften dennoch abdecken zu können, fordert die Erziehergewerkschaft GEW daher, die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung der Kita-Erzieher zu verbessern.
Laut Bertelsmann-Stiftung werden derzeit in Brandenburg 62 Prozent der Einjährigen in einer Kindereinrichtung betreut, davon knapp 70 Prozent ganztägig. Auch wenn sich auf absehbare Zeit nichts am Erzieherschlüssel ändern wird, werden in Brandenburg dennoch neue Pädagogen gebraucht. Der Grund: Knapp 20 Prozent der 15 700 Erzieher sind 55 Jahre und älter und scheiden innerhalb der nächsten zehn Jahre aus . „Wegen des hohen Altersdurchschnitt haben wir langfristig einen Bedarf“, bestätigt Antje Grabley, Sprecherin im Landesbildungsministerium.
Eine gute Perspektive aber sei der Erzieherjob für Schulabsolventen nicht, findet Bernhard Eibeck, Kita-Experte bei der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW). Nach wie vor sei der Beruf nicht attraktiv genug. Die Abbrecherquote liege bei 30 Prozent. „Es wird immer mehr erwartet, von der frühkindlichen Bildung bis zur Sprachförderung, die Gehälter sind aber nur mäßig gestiegen, liegen immer noch rund 1000 Euro unter denen eines Grundschullehrers“, berichtet Eibeck. Derzeit stünden Berufsanfängern tariflich rund 2100 Euro zu. Nach einem Jahr steige das Gehalt auf rund 2300 Euro. Doch gerade im Osten sollen oft bis zu 40 Prozent weniger gezahlt werden, sagen Insider. „Das ist uns auch bekannt“, bestätigt Eibeck: „Vor allem bei kleineren Trägern. Besonders katastrophal soll es in Mecklenburg-Vorpommern sein.“
Potenzial in Brandenburg sieht die Bertelsmann-Stiftung in den vielen Teilzeit-Erziehern des Landes. Immerhin 80 Prozent arbeiten nur halbtags. Die Politik und die Träger müssten Anreize schaffen, damit mehr Vollzeitstellen daraus geschaffen würden, regen die Gütersloher Autoren an. Zurückzuführen sei dieser hohe Anteil auf die Zeit nach der Wende, erläutert Ministeriumssprecherin Grabley. Um möglichst vielen DDR-Erziehern trotz des Geburtenknicks nach der Wende nicht kündigen zu müssen, seien Verträge in Teilzeitbeschäftigung umgewandelt worden. Daraus wieder Vollzeitstellen zu machen, sei Aufgabe der Kommunen und der freien Träger. Das Ministerium habe drauf keinen Einfluss, meint Grabley. Eibeck dagegen hält das Argument der historischen Altlast für überholt. „Die meisten DDR-Erzieher sind mittlerweile schon in Rente.“
Im brandenburgischen Bildungsministerium dagegen setzt man neben dem regulären Erziehernachwuchs auf Quereinsteiger aus der Arbeitslosigkeit. Seit 2010 können Umschüler die staatliche Prüfung absolvieren, ohne vorher eine vom Land zertifizierte Ausbildung durchlaufen zu müssen. Die Fähigkeiten sollen sie während der Arbeit und in Kursen bei freien Trägern erlangen. Mittlerweile aber zeigt sich, dass diese berufsbegleitende Qualifikation offenbar nicht ausreicht. Laut Grabley sind allein in diesem Jahr von insgesamt 150 Prüflingen 106, also rund 70 Prozent, durchgefallen. Vorwürfe, die sogenannten Nicht-Schüler würden als Prüflinge zweiter Klasse absichtlich durchfallen gelassen, weist die Ministeriumssprecherin zurück. „Wir freuen uns über jeden, der sich für den Beruf entscheidet. Aber er muss die gleiche Qualifikation vorweisen wie jemand, der eine staatliche Ausbildung absolviert.“ Dennoch beweise das große Interesse, wie sinnvoll das Programm sei, so Grabley.
Die nicht bestandenen Prüfungen sollen nun nochmals begutachtet werden. Eibeck aber hält das Projekt für gescheitert. „Das ist offenbar kein gangbarer Weg. Man muss auch mal die Frage stellen, wie geeignet sind die Lehrkräfte der freien Träger.“ Letztlich führe kein Weg daran vorbei, den Beruf so auszustatten, dass die, die ihn ausüben, davon leben könnten.
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