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Brandenburg: Braune Welle

DVU sabotiert Landtagssitzung: Rechtsextreme stellen 98 Anträge und wollen namentliche Abstimmung – über jeden einzelnen

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Potsdam - Von wegen „die da oben“ tun nichts: Brandenburgs Landtag könnte zum Jahresende einen neuen Sitzungsrekord aufstellen – zwangsweise. Denn die rechtsextreme DVU – bisher eher durch Inaktivität aufgefallen – versucht mit einer in der brandenburgischen Parlamentsgeschichte einmaligen Antragsflut, die letzte Landtagssitzung des Jahres zu sprengen: Für die Beratungen zum Landeshaushalt 2008/09 in der kommenden Woche wurden 98 Änderungsanträge eingereicht und für jeden Antrag namentliche Abstimmung für die 88 Abgeordneten beantragt. Weitere wollen die Rechtsextremen noch nachreichen – am Ende könnten es mehr als 100 Anträge allein zum Haushalt sein, über die in einer langwierigen Auszählungs- und Verkündungsprozedur namentlich abgestimmt werden müsste. Damit würde sich allein die Haushaltsdebatte um mehr als 20 Stunden verlängern.

Nach PNN-Informationen will die DVU-Fraktion am Montag auch noch zur neuen Kommunalverfassung mehr als 20 Änderungsanträge zur namentlichen Abstimmung einbringen.

Aus Kreisen des Landtagspräsidiums verlautete, dass die für die Haushaltsdebatte eingeplanten drei Sitzungstage am Mittwoch, Donnerstag und Freitag nicht ausreichen könnten – selbst, wenn die Abgeordneten auch nachts tagten.

Am Montag berät das Landtagspräsidium auf einer Sondersitzung, wie mit der Antragsflut umgegangenen werden soll. Sollte sich kein juristisch völlig unbedenklicher Weg finden, die Dauersitzung zu verhindern, müsste entweder schon ab Dienstag getagt werden oder bis ins Wochenende hinein, hieß es am Freitag.

Die Landesregierung bereitet sich darauf vor, dass von Montag bis Samstag getagt werden könnte. Zur Haushaltsdebatte gilt ohnehin verschärfte Anwesenheitspflicht für Minister. Sollte die Sitzung nun mehr als drei Tage dauern, müssten viele Termine der Regierungsmitglieder und von Regierungschef Matthias Platzeck (SPD) abgesagt werden. Die SPD-Fraktion rechnet mit bis zu zwei zusätzlichen – also dann insgesamt fünf Sitzungstagen.

Sollte das Landtagspräsidium am Montag die namentliche Abstimmung über alle DVU-Anträge ablehnen, wird nicht ausgeschlossen, dass die DVU vor das Landesverfassungsgericht zieht und so gar noch „Nachsitzungen“ vor dem Jahreswechsel nötig werden könnten.

Die braune Antrags-Welle wird im Landtag als Rache der DVU interpretiert. Die hatte zuvor mit fünf so genannten Großen Anfragen an die Landesregierung (etwa zur Globalisierung) die halbe Landesverwaltung lahm gelegt. Die jeweils seitenlangen Antworten wollte die DVU nicht in einer Landtagssitzung von der Regierung vorgetragen bekommen, sondern über fünf Monte verteilt.

Doch im Landtagspräsidium war die DVU damit gescheitert. Auf Vorschlag der SPD einigte sich das Gremium, in dem neben Landtagspräsident Gunter Fritsch (SPD) und dessen Vize Gerlinde Stobrawa (Linke) noch die Fraktionschefs sitzen, darauf, alle Großen Anfragen der DVU in einem Abwasch im Landtag beantworten zu lassen. Kurz nach diesem Beschluss rollte dann die braune Antragswelle an.

Die Fraktionsvorsitzenden von SPD, CDU und Linke warfen der DVU vor, ihre demokratischen Rechte zu missbrauchen. Die DVU betreibe mit den Anträgen „billige Heuchelei“ und demaskiere sich selbst, erklärte der SPD-Fraktionsvorsitzende Günter Baaske. So werde von den Rechtsextremen unter anderem die Abschaffung des Programms „Tolerantes Brandenburg“, der Landeszentrale für politische Bildung und des Verfassungsschutzes beantragt.

Die Anträge seien ein „übler Missbrauch parlamentarischer Regeln“ mit dem Ziel, die parlamentarische Arbeit „lahm zu legen“, kritisierte der CDU-Fraktionsvorsitzende Thomas Lunacek. Die DVU zeige damit deutlich, dass sie weder von der Demokratie noch vom Parlament etwas halte. „Wir werden einen Weg finden, um den Schaden zu begrenzen und den Landeshaushalt dennoch rechtssicher und zügig zu verabschieden.“ Die CDU will überprüfen, ob die Geschäftsordnung des Landtages so geändert werden kann, dass kein Missbrauch der namentlichen Abstimmung mehr möglich ist.

Die Oppositionsführerin im Landtag, Kerstin Kaiser (Linke) sagte, mit ihrer „gezielten Provokation“ bremse die DVU die Arbeit des Parlaments aus. Die Haushaltsanträge strotzten vor Nationalismus. So fordere die DVU, dass die Stiftung „Hilfe für die Opfer der NS-Willkürherrschaft“ 300 000 Euro weniger bekommt. Der Haushaltsvermerk „lesbisch-schwule Interessenvertretungen“ solle gestrichen werden. Das Geld dürfe „nicht für Randgruppen ausgegeben werden“, habe die DVU geschrieben.

Während die Fraktionschefs von SPD, CDU und Linke auf Medienanfragen am Freitag politisch hart reagierten wurde hinter den Kulissen versucht, die ganze Sache etwas gelassener anzugehen, um der DVU nicht noch mehr öffentliche Aufmerksamkeit zu bescheren. „Wir sollten das entspannt angehen, Schlafsäcke und Zahnbürste mitbringen und gucken, ob nicht die DVU-Abgeordneten als erste ermattet Nachtruhe beantragen“, sagte ein Mitglied des Landtagspräsidiums.

Denn im Gegensatz zu den sechs DVUlern, die für ihre eigenen Abstimmungen immer präsent sein müssten, könnten die anderen Fraktionen im Schichtdienst sitzen. Es müssten zumindest von den Regierungsfraktionen SPD (33 Abgeordnete) und CDU (26) immer nur mehr Abgeordnete da sein als von der Opposition. Einigt man sich mit der Linken (29), müssten immer nur so viele nicht DVUler im Plenarsaal sein, dass das Parlament beschluss- und die DVU nicht mehrheitsfähig ist. Auch auf der Regierungsbank könnten Minister mit Staatssekretären rotieren.

Ein Landesminister, der am Freitag hektisch versuchte, seine Termine für die kommende Woche neu zu ordnen, war zumindest froh, dass seit einigen Monaten im Landtag auch Laptops zugelassen sind: „Da kann man wenigstens noch ein wenig arbeiten und abends nebenbei einen spannenden Film gucken.“ Sollte die DVU-Taktik der Massen-Anträge in Brandenburg Schule machen, so der Minister, müsse man das Raumkonzept für den Landtagsneubau überarbeiten: „Dann brauchen wir auch Schlafzimmer.“

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