Von Fatina Keilani: Canisius: Missbrauchsopfer wollen Entschädigung
Anwälte bereiten Klagen vor – auch gegen den Vatikan. Immer mehr Betroffene äußern sich
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Berlin - Nachdem das Schweigen über den sexuellen Missbrauch am Berliner Canisius-Kolleg gebrochen ist, wollen die Opfer eine Entschädigung erreichen – notfalls per Klage. Mittlerweile sind es zwei Rechtsanwälte, die damit an die Öffentlichkeit gegangen sind. Rechtsanwalt Lukas Kawka erwägt eine Sammelklage in den USA und will notfalls auch den Vatikan verklagen. „Vonseiten des Vatikans wurde uns ein telefonischer Gesprächstermin zugesichert“, teilte Kawka mit. Der Heilige Stuhl als oberster Dienstherr des Jesuitenordens könne sich angesichts der gegen die sexuelle Selbstbestimmung gerichteten Straftaten nicht auf die Staatsimmunität berufen.
Rechtsanwältin Manuela Groll vertritt drei Mandanten; sie hofft noch auf eine außergerichtliche Einigung. „Die Opfer können nicht verzeihen und hätten sehr gern eine Genugtuung“, sagte sie gestern dieser Zeitung. Der Rektor des Canisius-Kollegs, Pater Klaus Mertes, habe auch Andeutungen gemacht, dass er sich eine Entschädigung vorstellen könne.
Mertes wollte sich dazu gestern nicht äußern. Er bezeichnete den Wunsch nach Entschädigung als „in der Logik der Opfer verständlich“, sagte aber: „Es steht mir zum gegenseitigen Zeitpunkt nicht zu, mich dazu öffentlich zu äußern.“ Auch zum Wunsch der Anwältin nach Einsicht in die Akten des Ordens sage er nur der Anwältin etwas.
Von den drei Mandanten Grolls wollen zwei anonym bleiben; deswegen würden sie sich im Falle einer Klage dem dritten anschließen. Es handele sich um Menschen in exponierten Positionen, so Groll; wenn von ihnen bekannt würde, dass sie missbraucht wurden, wäre das schädlich.
Die Last, in ihrer Jugend missbraucht worden zu sein, beschäftigt viele frühere Schüler des Canisius-Kollegs. Etliche von ihnen schreiben unter Pseudonym im Internetblog Spreeblick.de; dort stieg die Zahl der Kommentare und veröffentlichten Erlebnisse gestern weiter an. Der Beauftragte für die Untersuchung sexuellen Missbrauchs durch Geistliche im Erzbistum Berlin, Stefan Dybowski, rechnet deshalb auch mit dem Bekanntwerden weiterer Fälle: „Wenn einmal jemand den Mut findet, darüber zu sprechen, dann macht das auch anderen Mut“, sagte er.
So liest es sich auch in dem Internetforum. „Der blaue Klaus“ etwa war von 1972 bis 1980 auf der Schule und schildert seine Erlebnisse mit Peter R. – also jenem der drei Beschuldigten, der bis heute leugnet. „Der blaue Klaus“ beschreibt auch seine Hilflosigkeit: „Ich war 13 (glaube ich ...), R. war ein Lehrer, ein Pater, der Leiter der Jugendarbeit. Mit meinen Eltern reden? Was soll ich denn sagen? Das Vokabular, das ich hätte benutzen sollen, führte entweder zu Stottern („I, pfui!) oder zu hochroten Ohren oder war mir gar nicht bekannt.“
Berlins Kardinal Georg Sterzinsky verurteilte den Umgang der Kirche mit sexuellem Missbrauch durch Geistliche nachdrücklich. In der Vergangenheit sei das Thema „offensichtlich vernachlässigt“ worden, erklärte der Berliner Erzbischof.
Zahlen der Bildungsverwaltung belegen, dass sexueller Missbrauch nicht nur ein Problem religiös geprägter Schulen ist. In den vergangenen zehn Jahren wurden 17 Lehrerinnen und Lehrer wegen Verdachts des sexuellen Missbrauchs angezeigt; in zehn Fällen bestätigte sich der Verdacht, oder es wird noch ermittelt. Laut Martin Sand, Sprecher der Bildungsverwaltung, wurden seit 2000 fünf Lehrer entlassen. Vier Disziplinarverfahren laufen noch, in zwei Fällen stehen Gerichtsverfahren aus.
Fatina Keilani
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