Brandenburg: „Das Grab ist eine europäische Sensation“
Bernhard Kroener von der Uni Potsdam über das am Scharfenberg bei Wittstock entdeckte Massengrab aus dem Dreißigjährigen Krieg
Stand:
Herr Professor Kroener, Sie haben schon vor Jahren gesagt, dass es bei Wittstock ein Massengrab aus dem Dreißigjährigen Krieg geben muss. In diesem Jahr wurde ein solches gefunden und als Sensation gefeiert. Ist der Fund wirklich so spektakulär?
Ja, der Fund stellt in der Tat eine europäische Sensation dar, weil wir bisher in dieser Größenordnung noch kein Massengrab aus der Epoche des Dreißigjährigen Krieges gefunden haben. Zwar gibt es Einzelgräber und bisweilen auch ein Gruppengrab, doch ist bisher, soweit mir bekannt, noch kein Massengrab in unmittelbarer Nähe eines Schlachtfeldes dieses Krieges entdeckt worden.
Woher hatten Sie die Gewissheit, dass es bei Wittstock solch ein Massengrab geben muss?
Die zeitgenössischen Berichte überliefern sehr anschaulich, wie man mit den Opfern der Kriege verfahren ist. Die Schlachtfelder wurden beräumt, der Sieger transportierte als Kriegsbeute alles Brauchbare, Waffen, Munition und Gepäck ab. Um Seuchen vorzubeugen, wurde die Bevölkerung der umliegenden Dörfer im Rahmen von Hand- und Spanndiensten gezwungen, die Leichen zu beseitigen. Was wir aber bisher nicht wussten: wo und in welcher Form wurden die Gefallenen verscharrt? In der Regel erhielten sie kein christliches Begräbnis, das durch entsprechende Grabzeichen kenntlich wäre. So war die Forschung bisher auf Zufallsfunde angewiesen. Jetzt ist auf dem Schlachtfeld von Wittstock eine Entdeckung gelungen, die uns möglicherweise einen Anhaltspunkt liefert, an welchen Stellen eines Schlachtfeldes Massengräber angelegt wurden.
Was ist darüber hinaus so interessant an dem Fund?
Die Soldaten, die hier bestattet worden sind, gehören zu den sozialen Gruppen der frühneuzeitlichen Gesellschaft, die uns über ihr Schicksal in der Regel keine schriftlichen Zeugnisse hinterlassen haben. Mit Hilfe von Wissenschaftlern benachbarter Disziplinen können wir anhand dieser vergleichsweise großen Gruppe von etwa 100 Gefallenen grundlegende Fragen klären: Welches Durchschnittsalter hatten die Soldaten des Dreißigjährigen Krieges? Wie war es um ihrem Gesundheits- und Ernährungszustand bestellt? Vor allen Dingen erhoffen wir aber Aufschlüsse darüber wie sie zu Tode gekommen sind. Fügten in erster Linie Schuss- oder Hieb- und Stichwaffen den Soldaten die tödlichen Wunden zu? Vieles davon lässt sich an den geborgenen Gebeinen ablesen.
In diesem Grab wurden die Überreste von knapp 100 Leichen gefunden. Oft ist die Rede davon, dass bei der Schlacht bei Wittstock am 5. Oktober 1636 angeblich 40 000 Soldaten gekämpft haben und davon 6000 bis 7000 gefallen sein sollen.
Wir müssen bei Zahlenangaben der Frühen Neuzeit grundsätzlich sehr vorsichtig sein. An der Schlacht dürften etwa 30 000 Mann teilgenommen haben, ungefähr 8000 von ihnen haben den Tod gefunden. Das bedeutet, dass dieses Grab nur einen Bruchteil der insgesamt gefallenen Soldaten enthält. Es ist also zu vermuten, dass auf dem Schlachtfeld, an den Brennpunkten der Kämpfe, weitere Massengräber angelegt worden sind.
Warum sind diese Gräber so schwer zu finden?
Die Schlachtfelder wurden beräumt, das ist bekannt. Was genau mit den Leichen geschah, wissen wir nicht. Wurden sie bestattet oder verbrannt? Wurden sie entlang der über das Schlachtfeld führenden Karrenwege verscharrt, oder dort wo sie gefallen waren bestattet? Selbst die Lage des Schlachtfeldes und der Verlauf der Kämpfe im Gelände, – dessen Erscheinungsbild sich in den vergangenen 300 Jahren häufig grundlegend verändert hat –, sind recht ungenau überliefert. Wo verliefen die zeitgenössischen Feld- und Waldwege außerhalb der Siedlungen? Wo also konnten die Karren sich ihrer traurigen Fracht entledigen? Die Schachtfelder waren recht ausgedehnt, so dass man in etwa wissen muss, wo sich Gräber befinden können, bevor man systematische Sondierungsgrabungen vornimmt. Gerade in dieser Hinsicht lassen uns bisher die schriftlichen Quellen im Stich, tappen wir methodisch im Dunkeln.
Kann man sagen, wie groß ungefähr das Schlachtfeld bei Wittstock war?
Es dürfte mehrere Quadratkilometer umfasst haben, die Angeben schwanken. Es handelt sich um ein hügeliges, teilweise bewaldetes Gebiet. Nicht überall haben Kämpfe stattgefunden. Neben dem An- und Aufmarschraum der Heere, bestand die Zone der Feldlager, Feldschanzen, die Angriffszonen der Kavallerie und Infanterie. Seit einiger Zeit bemühen wir uns, ein Verfahren zu entwickeln, das es erlaubt, die idealisierten zeitgenössischen Pläne und Skizzen auf ihren tatsächlichen Informationsgehalt hin zu reduzieren und die Ergebnisse auf aktuellem Kartenmaterial festzuhalten. Auf diese Weise ließe sich für die historisch bedeutsamen Schlachtfelder Brandenburgs, etwa Fehrbellin, Großbeeren und andere ein „Schlachtfeldkataster“ erstellen.
Wie lange hat damals eine Beräumung des Schlachtfeldes gedauert?
Das war sehr unterschiedlich. Es gibt beispielsweise zeitgenössische Berichte von den Schlachten bei Höchstädt 1703 und 1704, während des Spanischen Erbfolgekrieges, nach denen noch Jahre später Gebeine auf den Feldern gefunden wurden. In der Regel wurde aber rasch beräumt, vor allem um der Seuchengefahr vorzubeugen. Wann dies geschehen konnte, hing auch davon ab, ob sich die Armeen noch in der Nähe befanden, noch mit weiteren Kämpfen gerechnet werden musste. Natürlich war die mit diesen Arbeiten betraute ärmere Landbevölkerung interessiert, noch irgendwie brauchbare Teile der Kleidung und Ausrüstung zu sammeln. Schnallen, Knöpfe, Tuch, zerbrochenes Gerät, alles war von Nutzen. Die Leichen wurden vollständig nackt in die Gruben gelegt, was das Interesse moderner Leichenfledderer erheblich reduzieren dürfte.
Sie hatten es schon angesprochen, dass man nicht weiß, ob die Leichen begraben oder verbrannt wurden. Ist es nicht wahrscheinlicher, dass wegen der zu befürchtenden Seuche die Toten verbrannt wurden?
Das ist offenbar situationsabhängig unterschiedlich gehandhabt worden. Die Quellen berichten häufiger davon, dass die Leichen im Kontext der christlichen Tradition eine Erdbestattung erhielten. Wenn jedoch die Gefahr von Seuchen drohte, wird man die Leichen auch verbrannt haben. Wir müssen davon ausgehen, dass die Masse der Gefallenen in Gruben oder flachen Gräben auf den Schlachtfeldern bestattet wurde.
Welche Bedeutung hatte die Schlacht bei Wittstock für den weiteren Verlauf des Dreißigjährigen Krieges?
Wittstock gehört zu den großen, verlustreichen Schlachten, die den weiteren Kriegsverlauf beeinflusst haben. Es war der Paukenschlag, mit dem die schwedische Armee ihre Rückkehr in das Kriegsgeschehen ankündigte. Jetzt war der Weg nach Süden wieder offen. Nun ließ sich wieder gegnerisches Territorium besetzen, und zur materiellen Sicherung der eigenen nutzen. Zwei Drittel der schwedischen Armee bestanden aus fremden, zumeist deutschen Söldnern, die bezahlt werden wollten. Die herausragende politisch-strategische Bedeutung der Schlacht bei Wittstock bestand darin, dass Schweden zu einem ernstzunehmenden Bündnispartner Frankreichs aufrückte. So wurde die Schlacht zum Ausgangspunkt einer schwedisch-französischen militärischen Kooperation, die letztlich zum Erfolg führte.
Die Schlacht bei Wittstock zählt also zu einer der bedeutendsten im Dreißigjährigen Krieg. Doch im Gegensatz zu Fehrbellin oder Großbeeren, die noch heute Erinnerungsorte sind und wo jedes Jahr bestimmte Festivitäten stattfinden, scheint man in Wittstock solch einer Erinnerungskultur zurückhaltend gegenüber zu stehen.
Ja, so hat es auf den ersten Blick den Anschein. Im Gegensatz zu Schweden, wo Wittstock eine ähnliche Bedeutung wie Lützen besitzt, hat die Schlacht im deutschen kollektiven Bewusstsein nie diesen Stellenwert erreicht. Doch sollte man die Erinnerungsorte einer gemeinsamen schmerzhaften europäischen Geschichte pflegen und sie nicht kurzatmig, lokalen und regionalen Interessen opfern. In Wittstock befindet sich das einzige Museum zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges. Mit Unterstützung der Universität könnte hier ein Zentrum wissenschaftlichen Gedankenaustauschs über das Erleben und Erleiden des Krieges im neuzeitlichen Europa, zu Kriegsverhütung und Friedenssicherung entstehen. Wie erfolgreich überregional angelegte Projekte sein können, beweist die ehemalige Bischofsresidenz in Ziesar und das dortige Museum für brandenburgische Kirchen- und Kulturgeschichte des Mittelalters.
Aber es gab doch schon ein derartiges Engagement vor Ort. Sie haben geholfen, das Museum zum Dreißigjährigen Krieg mit aufzubauen.
Ich habe die wissenschaftliche Konzeption entwickelt, zusammen mit international renommierten Kollegen und mit Unterstützung meiner Mitarbeiter an der Universität Potsdam den Aufbau des Museums gestaltend begleitet. Dann gelangten die Verantwortlichen in Stadt und Landkreis zu der Auffassung, das Museum sei fertig und bedürfe nun keiner wissenschaftlichen Beratung mehr. Ein bedauerlicher Trugschluss, denn ein Museum, zumal ein historisches, ist nie fertig, Auch eine Dauerausstellung ist von Zeit zu Zeit im Lichte der neuesten Forschung kritisch zu überprüfen, zu ergänzen, zu modifizieren, einzelne Exponate sind auszutauschen, aussagekräftige hinzuzufügen. Sonderausstellungen zum Generalthema des Museums: Krieg und Frieden in der neueren europäischen Geschichte könnten die Attraktivität des Hauses sichern und beim Publikum den fatalen Eindruck verhindern: Wittstock, habe ich schon gesehen, im Museum gibt''s nichts Neues. Vielleicht bewirkt der Fund, den die Erde hier freigegeben hat, eine erneute Diskussion über die Chancen eines überregional ausstrahlenden Forschungs- und Ausstellungsortes.
Was bedeutet der Fund für die Geschichtswissenschaftler an der Uni Potsdam?
Es besteht die Absicht, in Zusammenarbeit mit dem Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege und dem Archäologischen Landesmuseum ein interdisziplinäres Forschungsprojekt zu initiieren. Um diesen sensationellen Fund angemessen und umfassend wissenschaftlich auszuwerten, bedarf es der engen Zusammenarbeit von Archäologen, Historikern, Kartographen und Anthropologen. Von besonderer Bedeutung erscheint mir auch die Mitwirkung von Medizinhistorikern. Selbstverständlich sollen auch Kollegen aus Österreich und Schweden, die bereits die Errichtung des Museums in Wittstock intensiv mit begleitet haben, dieses, nach der Herkunft der gefallenen Soldaten, europäische Projekt fachlich unterstützen. Wie immer sind derartige Zukunftshoffnungen von einer ausreichenden Finanzierung abhängig, die zunächst eingeworben werden muss.
Und welche Perspektiven für Wittstock ergeben sich aus diesen Knochenfunden?
Die Universität Potsdam sieht sich in Zusammenarbeit mit den anderen beteiligten Einrichtungen des Landes bewusst als wissenschaftliches Dienstleistungsunternehmen. Wir wollen, nicht zuletzt mit Unterstützung unserer Studierenden, dazu beitragen, den kulturellen Reichtum dieses Landes zu erforschen, auszustellen und damit einem breiten Publikum nahe zu bringen. Der sensationelle Fund von Wittstock bietet die einmalige Gelegenheit, etwa durch Veranstaltungen und Ausstellungen, sich in vergleichender Perspektive mit dem Leiden der Menschen in Kriegen auseinanderzusetzen. Wittstock sollte die Chance nutzen, als europäischer Erinnerungsort an die säkulare Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges über die Grenzen Brandenburgs hinaus Aufmerksamkeit zu erringen.
Das Gespräch führte Dirk Becker
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: