Brandenburg: Das Klang-Wunder vom Quenzsee
In Brandenburg/Havel formiert sich eine Protestbewegung gegen ein Metall-Recycling-Unternehmen wegen Lärm, Staub und Schwingungen
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Brandenburg/Havel - Unruhig läuft der Mann am Ufer auf und ab. Hier, am Ufer des Quenzsees in Brandenburg/Havel wartet der Rechtsanwalt Dirk Stieger auf Geräusche. In 700 Metern Entfernung, am anderen Ufer des Sees steht bei der Firma TSR-Recycling Deutschlands größter Metallschredder. Ein Monstrum, von dem sich der Anwalt und einige seiner Nachbarn am Stadtrand Brandenburgs um ihre Ruhe gebracht sehen. Rund hundert Meter in entgegengesetzter Richtung landeinwärts befindet sich Stiegers Schlafzimmer, in dem er nachts nicht schlafen kann und seine Kinder wegen des Krachs und wegen der Vibrationen, die die Schredderei verursacht Angst bekommen. Mehr noch: Stieger will erreichen, dass die Firma, die den Schrottplatz und den Metallschredder betreibt, ihren Betrieb wieder einstellen muss.
Doch nun, da Stieger hier am Ufer steht und auf den Krach wartet, steht der wind ungünstig – jedenfalls für ihn und sein Anliegen: es ist kaum etwas zu hören.
Als Stieger Anfang 2007 zum ersten Mal von der Errichtung einer Schredderanlage gehört hatte, säumte das gegenüberliegende Ufer des Quenzsees noch ein Galeriewald. Der musste einer 290 Meter langen Kaianlage für den Schrottplatz weichen. „Im Landschaftsschutzgebiet“, sagt Stieger. Zwei Lastschiffe, je 1300 Tonnen Tragfähigkeit passen heute dort hintereinander. Vom Umweltamt erfuhr Stieger seinerzeit, dass die geplante Recycling-Anlage 895 000 Tonnen Schrott verarbeiten soll.
Der Wald wurde schon abgeholzt, als die Baugenehmigung nach Stiegers Worten noch gar nicht vorlag. Aus dem Umweltamt erfuhr er, dass der vorzeitige Baubeginn durch Teilgenehmigungen erfolgt war. Der Anwalt meldete erneut Bedenken an, erfuhr aber schlussendlich, dass die gesamte Anlage inzwischen genehmigt worden war.
Als die Anlage im vorigen Herbst den Probebetrieb aufnahm, wurden erstmals auch andere Anwohner aufmerksam.
Kerstin Müschner, Referatsleiterin Überwachung vom Landesumweltamt (LUA), stellte fest, dass Beschwerden hagelte, obwohl der Metall-Schredder noch nichtmal unter voller Leistung arbeitete.
Nicht nur Stiegers Nachbarn aus Falkenbergswerder beklagen sich, den „ohrenbetäubenden Lärm“ wollen selbst Bewohner eines anderthalb Kilometer entfernten Wohngebiets hören. Von einem sonoren, steten Summton ist die Rede, als wenn ein Generator läuft, begleitet von Scheppergeräuschen, die durch fallen gelassene Schrottteile verursacht werden. Und als Zugabe hallen die Huptöne und Sirenen der Kräne über den See. Eine Nachbarin berichtet, wie sie an der Wasseroberfläche ihres Aquariums die Erschütterungen sehen konnte. Neuartigen Staub auf Autos, Dächern und Blättern sowie metallischen Geruch haben Anwohner ebenfalls beklagt, seitdem geschreddert wird. „Seit der Inbetriebnahme ist fast wöchentlich ein Mitarbeiter am Quenzsee“, sagt LUA-Mitarbeiterin Müschner. „Anhaltspunkte, die auf eine Überschreitung der zulässigen Werte deuten, konnten wir nicht feststellen.“ Ende Februar schickte das Umweltamt drei Mitarbeiter einen ganzen Tag lang zu einer „Beschwerdeführerin“, um Lärm- und Schwingungen im sowie am Wohnhaus zu messen, berichtet Müschner. Zur gleichen Zeit habe ein Kollege am anderen Ufer neben dem Schredder gestanden und aufgepasst, dass der nicht leer läuft. „Diese Messergebnisse stehen aber noch aus.“
Am 6. März war die Widerspruchsfrist für das Genehmigungsverfahren abgelaufen. Dirk Stieger fühlt sich, wie viele seiner Nachbarn, von Behörden und Betreibern über den Tisch gezogen. Die Ankündigung, solch einen Schredder aufzustellen, stand lediglich im Amtsblatt. „Wer liest das schon?“ 50 Arbeitsplätze soll das Unternehmen als Holzkeulen-Argument gebracht haben. Die weltgrößte Metallschredderanlage in England hat 17“, weiß Stieger aus dem Fernsehen.
Dass die sonst so peniblen Behörden die Anlage einfach durchwinken, kann er nicht verstehen. „Niemand darf hier auch nur einen kleinen Holzsteg bauen.“ In dem Seezulauf nebenan müsse man ein Stück paddeln, weil Motorboote nicht erlaubt sind. Dass aber gegenüber 300 Meter Schilfgürtel und Wald vernichtet werden, um in einem Trinkwasserschutzgebiet Metallschrott zu verladen – das finden Stieger und seine Nachbarn schizophren. Deshalb werden sie weiter kämpfen. Stieger hat gegen die Genehmigung Widerspruch eingelegt und wird Akteneinsicht fordern. Sollte seine Initiative zurück gewiesen werden, will er die Genehmigung gerichtlich prüfen lassen, also klagen.
Inzwischen hat sich am Quenzsee eine Bürgerinitiative „Leben statt Beben“ gegründet und ein Gutachten in Auftrag gegeben, in dem der Boden auf Schwingungen untersucht werden soll. Das Interesse der Nachbarn sei inzwischen auch sehr stark geworden, meint der Anwalt. Jetzt klopfen sie an seine Türe und fragen, was zu tun ist. „Und wenn im Frühjahr die Laubenpieper auf ihre Grundstücke kommen, werden wir noch mehr Mitstreiter kriegen“, kündigt er an.
Andreas Wilhelm
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