Brandenburg: Das Söhnchen der großen Bärin
Eisbär-Mobbing oder natürliche Abwehrreaktion? Knut hat es derzeit – allein unter älteren Weibchen – wirklich nicht leicht im Zoo
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Berlin - Die Zoobesucher wenden sich entsetzt ab, und Kinder fragen traurig: „Warum beißen denn die großen Bären den Knut?“ Gerade hat die kräftige Eisbärin Katjuscha mal wieder den Publikumsliebling angefallen, ihm in den Nacken gebissen, und Knut stürzt – mal wieder – vor Schreck rückwärts ins Wasser. Als er wieder an Land klettert, sich berappelt und in eine andere Richtung davon schleicht, preschen – mal wieder – die großen Weibchen Nancy und Knuts Muttertier Tosca bedrohlich auf ihn zu – und Knut muss sich schon wieder wegducken. Diese vermeintlichen Jagdszenen aus dem Zoo Berlin treiben die Fans des Bären um – angeblich gar weltweit. Seit Tagen.
Und der Zoo? Der Zoo beruhigt. Alles halb so wild, Knut muss seine Abwehrkräfte aktivieren: „Der Bär muss lernen, Widerstand zu leisten“, sagt Heiner Klös, Bärenkurator im Zoo. Zudem sucht der Zoo weiter nach einer jüngeren Gefährtin für den Publikumsliebling. Wenn man diese habe, werde man auch Lösungen zur Unterbringung des Paares finden.
Auch Berlins Tierschutzbeauftragter Klaus Lüdcke hat sich gemeldet – als Schützer der Zuschauer: „Den Anblick des Publikumslieblings Knut, der von den drei großen Eisbären derart verfolgt wird, hätte man dem Publikum ersparen müssen.“ Gesundheitlich drohe Knut aber nichts. Auch Bärenkurator Klös versicherte, man würde die Gesundheit von Knut nicht aufs Spiel setzen. Klös zufolge musste Knut aus Sicherheitsgründen aus seinem alten Gehege raus: Er war zu groß geworden und hätte ausbrechen können. Und allein war er dort immer.
Peter Drüwa, Ex-Zoochef vom Tierpark Neumünster, dem der Zoo Knut für 430 000 Euro abgekauft hat, sagt, es würde einem Jungbären gut tun, wenn er von älteren Bärinnen erzogen werde, dann würde er später bei der Paarung den nötigen Respekt wahren. „Aber selbst das könnte man dann den Besuchern erklären“, sagt Dragowski. Der Berliner Bärenchef Klös ist auch stolz auf Knut: Bei den Imponiergehabe-Attacken der großen Bärinnen „ist er stehengeblieben und hat sich gestellt“. Der Landestierschutzbeauftragte sagt, „in der Arktis würde ein Bär eine gewatscht bekommen und abhauen – das geht ja auf den paar Quadratmetern nicht“. So muss Knut sich bedroht fühlen, sich der Gefahr stellen oder still verharren. Beim Berliner Institut für Zoo- und Wildtierforschung heißt es, in der freien Natur würde ein fremder Jungbär niemals mit alten Weibchen zusammenleben.
Der Zoo ist mit seinem Vorzeigetier in der Bredouille. Zoo-Vorstand Bernhard Blaszkiewitz wollte Knut, das Flaschenkind, nicht behalten und lehnte ein drittes Gehege mit der Begründung ab, man sei ja kein Eisbärzoo. Doch die Berliner kämpften um Knut – er blieb. Wenn der Zoo, um Inzest zu vermeiden, Knuts Muttertier Tosca weggegeben hätte, „hätte es doch auch Kritik gehagelt“, sagt Klös. Er selbst hätte auch den Orsa-Bärenpark in Schweden für Knut gut gefunden. Und jetzt soll er eben „Zuchtbulle“ werden – wenn sich denn eine Eisbärin für ihn findet.
Bis dahin aber hockt der einst so stolze Knut weiter stundenlang verängstigt und zitternd allein unter Weibchen. Knut, der Bär, der als Kuscheltier in Kinderzimmern überall auf der Welt geherzt und der von der Porzellanmanufaktur KPM für Staatsgäste auf Berlin-Besuch als offizielles Souvenir gegossen wird. Er, der bei den Internationalen Filmfestspielen „Berlinale“ als Klimaschutzsymboltier und später als Filmprotagonist gefeiert wurde.
Dem Berliner FDP-Politiker Mirco Dragowski fällt ein ganz anderer Film ein, wenn er an die Zoodramen denkt: Man kommt sich schon vor wie bei ,Täglich grüßt das Murmeltier‘“. Die Berliner sorgten sich um ihren Zoo, und an der Zooleitung pralle das völlig ab: „Die Zoovorstände berufen sich immer auf ihre drei Millionen Besucher und sehen keinerlei Handlungsbedarf.“ Dabei sei es völlig unverständlich, warum „zeitgemäße Zookonzepte, die auf Enrichment (Abwechslung) setzen, ausgerechnet im artenreichsten Zoo der Welt fehlen.“ Der englische Fachbegriff Enrichment steht für lehrreiche Beschäftigung, um das Dasein auf wenig Quadratmetern erträglicher zu machen, damit die Tiere keine Stereotypien entwickeln. Sogar die „Süddeutsche Zeitung“ verhöhnte den Hauptstadtzoo und seine Geschäftsführung schon mit einem großen Bericht und der Schlagzeile „Berlin, ein Tierversuch“.
Knut und die drei Bärinnen haben in Berlin nichts als nackten Felsen. Knuts extra aus Australien von Zoobesuchern selbst bestelltes und dem Zoo geschenktes Bärenspielzeug dümpelt im trüben Wassergraben von Knuts altem Gehege. Es sei „eine helle Freude“ gewesen, dem verspielten Eisbären in seinem alten Gehege zuzuschauen, sagen Besucher. Stattdessen ist er Spielball der drei alten Bärinnen, werde als Eindringling gejagt. Und sein australisches Eisbärenspielzeug könne man Knut jetzt derzeit nicht geben, so Bärenkurator Klös: Dann käme es zu neuen Verteilungskämpfen mit Mutter Tosca und den beiden anderen Eisbärinnen. Knut könne ja mit Blättern und Gräsern spielen. Und schwimmen täte er auch gern.Annette Kögel (mit pet)
Annette Kögel (mit pet)
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