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Brandenburg: Das Trauma nach dem Tornado

In der Stadt Mühlberg leidet man noch immer unter Sturmschäden. Viele Einwohner führen einen schwerer Kampf mit den Versicherungen

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Mühlberg - Nachdenklich blickt Hannelore Brendel über den Marktplatz in Mühlberg (Landkreis Elbe-Elster). Die Bürgermeisterin steht vor einer riesigen Wurzel, die zu einer fast 200-jährigen Eiche gehörte. Ein verheerender Tornado hatte den Baum am Pfingstmontag im Hinterhof der alten Löwen-Apotheke gefällt. „Die Menschen sind heute noch traumatisiert“, sagt die 53-Jährige. Ein orkanartiger Sturm hatte das südbrandenburgische Städtchen verwüstet und dabei unter anderem bei mehr als 100 Häusern die Ziegeldächer abgedeckt. Schule, Kindergarten und Friedhof wurden schwer beschädigt. Knapp fünf Monate nach dem Unwetter leidet der Ort immer noch an den Folgen.

Bei einem Spaziergang durch die Mühlberger Innenstadt fällt auf, dass es kaum alte Bäume gibt. Der Sturm hat im Zentrum fast alle Eichen und Kastanien abgeknickt. 439 Grundstücke waren nach Angaben der Polizei von Sturmschäden betroffen. Die Infrastruktur sei zwar mittlerweile wieder weitestgehend hergestellt, sagt Brendel. Doch gebe es vor allem mit den Versicherungen noch jede Menge Ärger. Jeder Schaden müsse einzeln nachgewiesen und die Erstattung beantragt werden. „Es ist ein schwieriger Kampf, der sich wohl noch Monate hinziehen wird“, befürchtet die Bürgermeisterin.

Finanzielle Hilfe von der Landesregierung gab es aus dem Förderprogramm Städtebaulicher Denkmalschutz. Von den bereitgestellten 500 000 Euro wird die Stadt voraussichtlich aber nur 337 500 Euro in Anspruch nehmen. „Wir können nur 67 500 Euro als Eigenmittel aufbringen“, sagt Brendel. 20 Prozent Eigenanteil seien vorgeschrieben. Die verschuldete Gemeinde sei nicht mehr kreditwürdig. Aus dem brandenburgischen Nothilfefonds für Gemeinden habe Mühlberg ein zinsloses Darlehen in Höhe von 400 000 Euro erhalten. „Mit diesem Geld konnten wir die Straßen, Gehwege sowie das Regen- und Abwassersystem wieder herstellen.“ Experten hatten den Gesamtschaden nach dem Sturm auf rund 20 Millionen Euro beziffert. Im alten Klosterpark steht kaum noch eine der hundertjährigen Eichen und Kastanien. Zum Wegräumen der entwurzelten Bäume fehle das Geld. „Andere Dinge sind erst einmal wichtiger“, sagt die Stadtchefin. So habe beispielsweise der Kindergarten immer noch keinen nutzbaren Spielplatz.

Brendel erinnert sich noch gut an den 24. Mai. „Ich war zu Hause, als der Himmel plötzlich schwarz wurde.“ Dann habe es einen lauten Knall gegeben und alles sei ganz schnell gegangen. Die Menschen flüchteten in ihre Häuser, wenig später flogen Mülltonnen und Dachziegel umher. Tennisballgroße Hagelkörner donnerten auf den Boden. „Unseren Gartentisch haben wir bis heute nicht wiedergefunden“, erzählt die Bürgermeisterin, die vor zwei Jahren mit 92 Prozent der Stimmen gewählt worden war.

„Trotz der Ausmaße hatten wir Glück, dass niemand verletzt wurde“, blickt Brendel zurück. Dennoch übersteige die Stärke des Unwetters jegliche Vorstellung. Mühlberg habe 2002 und 2006 eine große Flutkatastrophe an der Elbe erlebt, doch der Sturm sei noch viel schlimmer gewesen. Nahezu jedes Haus sei beschädigt worden. Die knapp 4500 Einwohner mussten 24 Stunden ohne Strom auskommen, viele Straßen waren tagelang gesperrt.

„Die Menschen verhalten sich heute anders, wenn Wolken oder Sturm aufziehen“, sagt Brendel. Der Wetterbericht bekomme eine größere Bedeutung. Auch Brigitte Schaller ist vorsichtiger geworden. „Stühle und Tische lassen wir auf unserem Hof nicht mehr herumstehen“, sagt die Mühlbergerin, die bei ihrer Geburtstagsfeier von dem Sturm überrascht worden war. „Wenn es heute windig wird, kommen sofort Erinnerungen an den Orkan hoch.“ Den Sturm und die Angst werde sie wohl nie vergessen.

Auch die Stadt sei vorsichtiger geworden, sagt Bürgermeisterin Brendel. „Bei der Gestaltung mit Grün überlegen wir genau, wo neue Bäume gepflanzt werden.“ Zudem würden beispielsweise hohe Eichen oder Kastanien regelmäßig kontrolliert. Großes Kopfzerbrechen bereite der Stadt aber vor allem die Kirche, deren Turm der Sturm herunterriss. Mittel zur Sanierung gebe es keine, da das Gotteshaus schon einmal gefördert worden sei.

Die 13 Tonnen schwere Wurzel, vor der Brendel auf dem Marktplatz steht, soll der Stadt als Denkmal erhalten bleiben. Sie wurde nach dem Tornado mit einem Kran aus dem Innenhof der historischen Löwen-Apotheke gehievt und auf den Marktplatz gesetzt. Lars Hartfelder

Lars Hartfelder

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