Brandenburg: Das verbogene Kreuz der gesprengten Kirche
Nach dem Mauerbau stand die Berliner Versöhnungskirche plötzlich auf dem Todesstreifen: Das Gotteshaus wurde gesprengt
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Berlin - Die Wucht der Sprengung muss gewaltig gewesen sein. Doch die Versöhnungskirche wurde nicht vollends zerstört: Das Turmkreuz krachte ungeplant auf ein Friedhofgelände auf der Ostseite des Mauerstreifens. „Arbeiter schleppten das verbogene Eisenkreuz in ein kirchliches Lager“, erzählt Pfarrer Manfred Fischer. Er hat den Zerstörungsakt im geteilten Berlin 1985 mit seiner Gemeinde vom Stadtteil Wedding, vom Westen aus verfolgt. „Danach war die Grenze perfekt“, fügt er sarkastisch hinzu.
Die DDR-Oberen hatten die Sprengung des Gotteshauses an der Bernauer Straße befohlen, weil es mitten im Todesstreifen stand - es war bereits abgeriegelt und den Grenzposten einfach im Weg. Heute befindet sich an der Stelle die wichtigste Gedenkstätte für die Opfer der Berliner Mauer. Am 13. August, dem 50. Jahrestag des Mauerbaus, wird dort der zweite Abschnitt der Erinnerungslandschaft unter freiem Himmel eröffnet, zu der auch das Turmkreuz gehört. Es ist neben der Kapelle der Versöhnung aufgestellt, die auf dem Fundament der gesprengten Kirche steht und zum Gedenkensemble gehört. Besucher können dann auf etwa 700 Meter entlang des original erhaltenen DDR-Postenwegs Spuren der mörderischen Grenze sowie authentische Teile der Mauer ansehen und sich an Stelen Audiobeiträge anhören. „Aus dem Tatort ist ein Lern-, Erinnerungs- und Gedenkort geworden“, sagt der Direktor der Stiftung Berliner Mauer, Axel Klausmeier. Er ist Tag und Nacht und ohne Eintritt zugänglich.
Die Bernauer Straße war ein Symbol der Teilung. Das weltbekannte Foto von dem DDR-Soldaten, der kurz nach dem 13. August 1961 über den Stacheldraht in den Westen sprang, wurde hier aufgenommen. Ebenso die Bilder von Menschen, die auf der Flucht aus Wohnungsfenstern sprangen. Auf einmal lag die Häuserfront der Straße im Osten, der Bürgersteig im Westen. Erlebbar wird das Ausmaß der einstigen Grenzanlage - Signalzäune und Hinterlandmauer sind mit Metall markiert. Den Verlauf der Hauptmauer machen Stahlstäbe deutlich. Der erste Abschnitt der 4,4 Hektar großen Open-Air-Gedenkstätte kann seit Mai 2010 besucht werden. Kern ist hier ein Fenster der Erinnerung für die Mauer-Opfer. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen starben mindestens 136 Menschen durch das DDR-Grenzregime an der rund 155 Kilometer langen Berliner Mauer.
Pfarrer Fischer zeigt das freigelegte Fundament eines Wohnhauses in dem neuen Abschnitt, der die Zerstörung der Stadt und das Leid der Menschen in den Mittelpunkt stellt. Deutlich zu erkennen sind zugemauerte Fenster und Teile alter Versorgungsleitungen. Die „Grenzhäuser“ wurden bis 1962 abgerissen, die Mieter vertrieben. An einer Hörstation werden die Geschichten der Bewohner erzählt. Zudem wurden Fluchttunnel mit Eisenplatten im Boden gekennzeichnet. Hohe Eisenpfosten zeigen, wo einst ein Wachturm stand. Für den Ausbau des Gedenkortes, der bis Ende 2012 abgeschlossen sein soll, kommen etwa 28 Millionen Euro von Bund, Land und EU. „So traurig der Mauerbau war – es ist ein gutes Gefühl, dass wir die Gedenkstätte haben und die Vergangenheit nicht weggeschoben wurde“, sagt Fischer. Der Einsatz dafür „hat mich viel Nerven gekostet“. Die Widerstände seien oft größer als die Unterstützung gewesen. Der Pfarrer von der Versöhnungsgemeinde, der bis zum Herbst 1989 mit Gottesdiensten und Schweigemärschen an den Verlust der Kirche erinnerte, setzte sich nach dem Mauerfall vehement für eine Gedenkstätte ein – gegen die damalige Euphorie, das verhasste Bollwerk schnell verschwinden zu lassen. Mit den authentischen Orten an der Bernauer Straße werde Erinnerung glaubwürdig, sagt der 63-Jährige. Das Mauermuseum am Checkpoint Charlie an der Friedrichstraße, eine private Einrichtung mit weit mehr Besuchern, sieht Fischer gelassen. „Es gehört zu Berlin, dass es Verschiedenes gibt.“
Jutta Schütz
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