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Von Stefan Jacobs: Der Held will jetzt seine Ruhe

Ein Wachmann greift ein, die Spieler sind nur kurz geschockt, das Pokerturnier ging planmäßig weiter

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Berlin - Cool bleiben ist alles in diesem Geschäft. Wohl deshalb wirken die meisten Pokerfreunde im Grand Hyatt Hotel am Potsdamer Platz eine gute Stunde nach dem Überfall am Samstagnachmittag schon wieder ziemlich aufgeräumt. Anderen sitzt noch der Schreck in den Gliedern. Auf dem Flur vor dem „Grand Ballroom“ sind Polizisten dabei, Zeugen zu vernehmen und Spuren zu sichern wie den umgekippten und dabei zu Bruch gegangenen Bistrotisch. Drinnen im großen Saal sitzen die Spieler wieder konzentriert an den Tischen, die sie zuvor bei der Massenpanik umgeworfen hatten.

„Ich saß am Tisch, als plötzlich eine Menschenmenge aufsprang“, sagt Paul-Otto, ein etwa 20-Jähriger aus Berlin. „Alle rannten, aber keiner wusste genau, was los war.“ Während einige unter den Tischen Deckung suchten, stiegen andere darüber hinweg Richtung Hinterausgang. „Die Räuber sollen gerufen haben, sie hätten eine Bombe“, erzählt ein anderer junger Spieler mit Trikot der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Genau weiß er das aber nicht. „Dann sind wir alle durch die Küche gestürmt und raus auf die Straße.“ Ein Franzose bestätigt die Fluchtrichtung und sagt, dass die Türen nicht sofort öffneten. Aber mehr als blaue Flecke habe wohl niemand abbekommen.

Während Paul-Otto dringend zurück in den Saal muss zur nächsten Runde, bleibt am Tatort ein grauhaariger Holländer zurück und schüttelt den Kopf. „Meiner Meinung nach waren das keine Profis. Wer hier mit dem Samuraischwert reinrennt, ist doch nicht ganz dicht. Profis hätten einmal in die Decke geschossen und nicht so rumgewurschtelt.“ In Paul- Ottos Schilderung ist das Samuraischwert eine Machete, deren Hülle sich aber glücklicherweise auf die Schnelle nicht entfernen ließ, was die Durchschlagskraft deutlich reduziert habe. Daher sei beim Gerangel mit dem Wach- und Hotelpersonal wohl niemand allzu schwer verletzt worden.

Der Holländer ergänzt seine Stümper- Theorie mit dem Hinweis, dass das ganz große Geld in der nahen Spielbank liege, während hier im Hotel hauptsächlich Jetons und Gutscheine zu holen seien. Insofern sei es logisch, dass der Ort nicht besonders gesichert werde. „Wozu denn?“, fragt der Mann, der zu dieser Zeit weder von der Heldentat des Wachmannes (siehe Interview) und eines Hotelmitarbeiters noch von der wahrscheinlich sechsstelligen Beute der Täter weiß.

Eingeweihte halten die Sicherheitsvorkehrungen für mangelhaft, und auch der Holländer – übrigens eine Koryphäe der Pokerwelt – wird nachdenklich: Vielleicht müsse man über Verbesserungen nachdenken, denn „früher waren bei so was 200 Leute und jetzt sind es 950“.

Die ersten Polizisten packen bereits zusammen, in der Hotellobby am unteren Ende der langen Treppe summt und brummt es wie an einem ganz normalen Tag. In diesem Moment kommt Sandra Naujoks alias Schwarze Mamba vorbei, laut Bild-Zeitung „Deutschlands abgebrühteste Zockerin“. Sie findet es „sehr schade, dass so ein paar, na ja, Idioten, das so versaut haben. Wir haben hier die europäische Elite versammelt. Die werden sicher gern wiederkommen.“ Mehr als den Riesenlärm hat auch sie nicht mitbekommen. Ein Hotelangestellter wirft derweil freundlich ein Kamerateam raus; beim Pokern kann Unruhe ja stören. Einer sagt in die Kamera, dass die sechs maskierten Täter mit einem schwarzen Mercedes geflüchtet seien. Der Einwand, dass es zu sechst im Mercedes ziemlich eng sein muss, interessiert ihn nicht weiter. Das Finale am Sonntag dagegen sehr.

Am Sonntag, dem Tag danach, ist der ganze Potsdamer Platz wieder leergefegt vom Winterwind. Nur die Fahnen der „European Poker Tour“ knattern, und die schon vor dem Überfall hier geparkten Übertragungswagen eines englischen Spartenkanals harren aus. Mit hochgezogenen Schultern eilen die Pokerfreunde ins Grand Hyatt Hotel. Dem Finaltag entgegen.

Am Tatort im ersten Stock läuft der Einlass so freundlich und geordnet ab wie an den Tagen zuvor, doch es gibt eine wesentliche Neuerung: Die Startgebühren werden nicht mehr hier auf dem Flur eingezahlt, sondern in der Spielbank auf der anderen Straßenseite.

Wer dort ohne Teilnehmerausweis hinein will, scheitert an zwei Wachleuten vor der Tür. Sie sind von derselben Firma wie der tollkühne Held des Vortages, der die Räuber beinahe gestellt hätte. Aber sie sind nicht so redselig – und ihr im Haus befindlicher Chef sei es ebenso wenig, sagen sie: „Der äußert sich heute nicht.“ Ein Kameramann knurrt: „Wenn er nicht will, warte ich hier und schieße ihn ab.“ Das ist Fachjargon für „aufnehmen“. In der Zwischenzeit zoomt er die Hotelfassade hoch und runter. Sie sieht so aus wie an den Tagen davor. Der Held ist nicht zu sprechen, obwohl er sich schon wieder im Dienst befindet. Er habe einen ruhigeren Posten bei einem der sogenannten „Side Events“ übernommen, wo weniger Geld in Umlauf sei, sagt ein Kollege. Und dass der Held nun Ruhe wolle.

Durch den Hintereingang kommt ein dünner Rotblonder auf die Straße und tippt auf seinem Handy herum. Es ist Timo Traut aus Aachen, 22 Jahre alt, ein alter Pokerhase. „Gestern Abend haben wir schon wieder drüber gelacht“, sagt er. „Obwohl ich wirklich dachte, jetzt ist es vorbei, als irgendwer brüllte ,Überfall, Überfall!‘ und dann auch noch das Licht ausging.“ Das mit der plötzlichen Dunkelheit erzählen auch andere, aber wahrscheinlich ist nur jemand vor Schreck gegen den Lichtschalter gekippt, als draußen die vermummten Gangster den Bistrotisch über den Haufen rannten. Timo Traut jedenfalls sagt, dass solch ein Turnier „normalerweise nicht im Hotel stattfindet, sondern im Casino. Dort liegt das Geld hinter dicken Glasscheiben.“

Dann geht er wieder rein. Oben, wo noch der aus Funk und Fernsehen bekannte lädierte Bistrotisch steht, schiebt eine Hotelangestellte einen Wagen mit mächtig aufgebrezelten Häppchen in den Nachbarraum. Dort tagt ein Finanzdienstleister. Schwerpunkte: private Altersvorsorge und professioneller Vermögensaufbau.

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