Brandenburg: Der lange Kampf für die freie Fahrt
Der Flüchtling Bisso G. und sein Anwalt klagen sich durch die Instanzen gegen die Residenzpflicht
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Potsdam - 30 Euro sind für den Flüchtling Bisso G. viel Geld, doch natürlich könnte er es schon irgendwie zusammenbekommen. Aber dem Kameruner geht es ums Prinzip. Er wird das Bußgeld, zu dem er vom Landgericht Potsdam verurteilt wurde, nicht zahlen, und hat stattdessen Revision eingelegt. Denn Bisso G. und sein Antwalt Volker Gerloff kämpfen um nicht weniger als ein Menschenrecht: Das Grundrecht auf Freizügigkeit.
Der 35-Jährige stand einzig und allein deshalb vor Gericht, weil er von Brandenburg nach Berlin gefahren ist. Damit hat er gegen die Residenzpflicht verstoßen, die Asylbewerbern und Geduldeten in Deutschland den Aufenthalt in anderen Bundesländern verbietet. Eine Regelung, die aus Sicht von Anwalt Gerloff gegen die Menschenrechte verstößt. Zur Not will er mit Bisso G. bis vor das Verfassungsgericht ziehen.
Seit gut zehn Jahren lebt Bisso G. in Deutschland. Untergebracht ist er im Flüchtlingsheim in Rathenow im Landkreis Havelland, sein Zimmer teilt er sich mit drei weiteren Menschen. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, er hat den Status der Duldung, also eine „vorübergehende Aussetzung der Abschiebung“. Wie viele Geduldete darf er nicht arbeiten. Zudem hat Bisso das Pech, in einen der drei Brandenburger Landkreise geraten zu sein, die den Asylbewerbern ihre gesetzlichen Leistungen in Gutscheinen statt in Bargeld auszahlen.
Bisso G. wollte sich etwas dazuverdienen und fand eine Stelle bei der Feuerwache in Reinickendorf als Reinigungskraft. 2009 wurde er dort kontrolliert und konnte keine Erlaubnis zum Verlassen Brandenburgs aufweisen. Bisso G. versteht das Problem nicht. „Woher soll ich wissen, wo Brandenburg aufhört und Berlin anfängt?“, sagt er im PNN-Gespräch.
Anschließend folgte ein Gerichtsmarathon: Während das Verfahren wegen der Schwarzarbeit schnell fallen gelassen wurde, verurteilte ihn das Amtsgericht Rathenow zu einer Geldstrafe von 80 Euro wegen des Verstoßes gegen die Residenzpflicht. Das Urteil wurde wegen Rechtsfehlern vom Oberlandesgericht Berlin-Brandenburg (OLG) kassiert, in einem zweiten Verfahren wurde er zu einer Strafe von 30 Tagessätzen à 5 Euro verurteilt. Dagegen legte Bisso G.s Anwalt Gerloff Berufung ein, daraufhin wurde am Potsdamer Landgericht verhandelt. Dort wurde er Mitte Februar zu einem Bußgeld von 30 Euro verurteilt. Weil Gerloff dagegen nun Revision eingereicht hat, muss erneut das OLG darüber entscheiden.
Es ist nicht das erste Mal, dass Gerloff seinen Mandanten Bisso G. wegen Verstößen gegen die Residenzpflicht verteidigt. Doch dieses Mal will er bis zur letzten Instanz gehen. Er ist der Überzeugung, dass die Residenzpflicht nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Dies will er notfalls mit einer Verfassungsbeschwerde beweisen - der Fall ist somit zum Musterprozess gegen die Residenzpflicht geworden. Bezahlen kann Bisso G. den Anwalt natürlich nicht – zumal Gerloff keine Lebensmittelgutscheine als Bezahlung akzeptiert. Erst hat der Berliner Anwalt den Fall ehrenamtlich bearbeitet, mittlerweile hat er sich den Status eines Pflichtverteidigers erstritten.
Eigentlich gilt Brandenburg als besonders liberal, was die Residenzpflicht betrifft, schließlich hat das Land 2010 gemeinsam mit Berlin eine bislang einzigartige Lockerung vereinbart. Theoretisch dürfen Asylbewerber und Geduldete sich also in beiden Ländern frei bewegen. Allerdings hat die Sache einen Haken: Die Erlaubnis für den Aufenthalt in Berlin muss beim Landkreis beantragt werden und wird oft abgelehnt. Wie in vielen Fällen wurde Bisso G. mangelnde Mitwirkung vorgeworfen. Gemeint sei Bisso G.s „Weigerung“, sich um einen Pass zu kümmern, sagt Gerloff. Tatsächlich sei es für seinen Mandanten aber unmöglich, an die erforderlichen Papiere zu kommen.
Bisso G.s Fall hat sich offenbar in der linken Szene herumgesprochen – zu den Gerichtsterminen tauchen Gruppen wechselnder Größe auf, um ihn zu unterstützen. Das Potsdamer Landgericht hatte deshalb Videoüberwachung und Durchsuchungen der Prozessbeobachter anberaumt, wenn im Fall Bisso G. verhandelt wurde. Die Richterin war von den Besuchern sichtlich genervt und hatte die Gäste im Gerichtssaal immer wieder gemaßregelt: Sie sollten schweigen, durften kein Kaugummi kauen, sollten im richtigen Moment aufstehen, die Mützen abnehmen sowie Kameras und Smartphones abgeben. Mit Bisso G. sprechen können die wenigsten der jungen Menschen, er kann außer seiner Muttersprache nur Französisch. Aber er ist dennoch froh, dass er nicht alleine ist. Nur weil er so viel Unterstützung bekomme, könne er die nun seit Jahren dauernden Prozesse überhaupt durchhalten, sagt er.
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