Brandenburg: Des Teufels Droge
Crystal Meth hält lange wach, macht extrem schnell abhängig, führt zu Psychosen und langfristig zum Tod. In Brandenburg gibt es bereits Tausende Konsumenten. Jetzt schlagen Suchtberater auch Alarm für Berlin
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Berlin/Cottbus - Noch vor ein, zwei Jahren hätten die meisten Drogenberater in Berlin abgewinkt. Und von jungen Leuten war oft zu hören: „Crystal – das nehmen doch nur diese Bauern in Brandenburg“. Doch die Situation hat sich gewandelt: Auch in der Hauptstadt steigt der Konsum der synthetischen Droge Crystal Meth, abgeleitet vom chemischen Namen N-Methylamphetamin, offenbar stetig an.
„Bei einer Befragung im September 2012 in Berlin stellte sich heraus, dass Crystal inzwischen nach reinen Amphetaminen wie Speed und nach Ecstasy die drittbeliebteste Partydroge ist“, sagt Kerstin Jüngling. Die Chefin der Berliner Fachstelle für Suchtprävention findet besonders alarmierend, dass Crystal Meth schon nach extrem kurzer Zeit zur Abhängigkeit führt. Und zu furchtbaren Psychosen, wie Drogenberater in Brandenburg wissen: Sie werden oft von jungen Leuten um Hilfe gebeten, die sich von Teufeln verfolgt fühlen, nicht mehr auf die Straße trauen oder Stimmen hören. Manche gehen im Wahn auf Verwandte und Freunde los, berichten Cottbuser Polizisten. Meist suchen die Konsumenten erst in diesem Stadium Hilfe, der Entzug scheitert oft.
Im Süden Brandenburgs hat sich die Droge mittlerweile etabliert, wie ein Polizeisprecher sagt. Der Leitende Cottbuser Oberstaatsanwalt Bernhard Brocher schätzt die Zahl der Crystal-Konsumenten im Landessüden auf mehrere Tausend. „Und sie nimmt weiter zu“, sagt er.
Auch die Berliner Polizei nimmt die Gefahr, die von Crystal ausgeht, ernst. „Es handelt sich um ein hochpotentes Gift, welches nach nur geringem Konsum in Abhängigkeit und zu einem schnell sichtbaren körperlichen Verfall und bei dauerhaftem Konsum zum Tod führt“, sagte ein Sprecher. Wer mit dem Konsum von „Crystal“ den Kick sucht, setzt sich der Gefahr aus, dass es der letzte sein könnte.
Wegen dieser Gefährlichkeit werde die Entwicklung des Aufkommens von „Crystal“ in Berlin sensibel beobachtet, sagt die Polizei. So müsse festgestellt werden, dass sich die Fälle polizeilicher „Crystal“-Sicherstellungen von fünf im Jahr 2011 auf acht im Jahr 2012 erhöht haben. Die reine Menge stieg im gleichen Zeitraum von unter zehn Gramm auf über ein Kilo an. Allerdings handelt es sich hier um einen rein statistischen Wert. Fakt sei aber, dass im Sommer ein Drogenlabor in Friedrichshain entdeckt wurde, wo man auch Crystal Meth fand.
Brandenburger Ermittler stießen 2011 in 35 Fällen auf Crystal-Dealer oder -Konsumenten und konfiszierten insgesamt 1,36 Kilogramm der Droge. 2010 waren es 25 Fälle und insgesamt 48 Gramm. „Das ist schon eine ganz andere Größenordnung“, sagte ein Polizeisprecher.
Ob das auch hier produziert wurde, ist allerdings zweifelhaft. Denn der Stoff wird vor allem in Tschechien hergestellt und wurde zunächst in Bayern, Sachsen und Südbrandenburg verbreitet, wie diese Zeitung bereits berichtete. Um verstärkt gegen den grenzüberschreitenden Rauschgifthandel vorzugehen, traf sich Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am gestrigen Donnerstag in Prag mit seinem tschechischen Kollegen Jan Kubice. Der überraschte mit der Einschätzung, dass die Drogenkriminalität im Grenzgebiet „fast epidemische Ausmaße angenommen“ habe.
„Wir sind froh, dass die tschechischen Behörden den Ernst der Lage erkannt haben“, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums auf Nachfrage. Man werde jetzt die Kooperation mit ihnen, aber auch mit Polen, wo die für die Herstellung von Crystal notwendigen Rohstoffe herkommen, verstärken.
Die Droge wird vor allem auf den sogenannten Asia-Märkten in Tschechien gehandelt. Die Behörden in Südbrandenburg gehen allerdings davon aus, dass gut organisierte Rockergruppen wie die Hells Angels und die Bandidos als Hintermänner fungieren.
Crystal wird aus dem Wirkstoff Ephedrin, der in Asthma-, Husten- und Grippemedikamenten enthalten ist, hergestellt. Ursprünglich wurde die Droge unter dem Namen Pervitin bei Soldaten zur Leistungssteigerung und Dämpfung des Angstgefühls eingesetzt. Sie ist relativ billig zu haben, was ein Grund für ihre schnelle Verbreitung sein könnte. Die beobachten Drogenberater auch in Berlin. Zwar kann laut Landeskriminalamt von einem „Crystalproblem, vergleichbar mit den Erscheinungen in Bayern und Sachsen bei seriöser Betrachtung für Berlin aktuell nicht gesprochen werden“, die Betonung liegt aber auf aktuell. „Wir erleben, dass es immer mehr Anfragen zu Crystal gibt“, sagt Ralf Köhnlein vom Drogenhilfeprojekt „Fixpunkt“. Kerstin Jüngling von der Fachstelle für Suchtprävention sagt: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die neue Partydroge ausgerechnet um die deutsche Partyhauptstadt einen Bogen macht.“
Sandra Daßler
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