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Jugendliche Lehrer für Flüchtlinge in Eisenhüttenstadt: Deutsch für Anfänger
Sie gehen noch zur Schule und unterrichten nun auch selbst: Mehrere Jugendliche geben in Eisenhüttenstadt Flüchtlingen Deutschunterricht.
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Eisenhüttenstadt - Der kleine Raum ist voll besetzt, die Luft stickig. Vielstimmiges Gemurmel bildet die Geräuschkulisse. In drei Bankreihen drängen sich zwei Dutzend junge Männer aus Afghanistan, Pakistan, dem Irak und Syrien. Sie bemühen sich, deutsche Wörter zu wiederholen, die ihnen von ihren zwei Lehrern vorgesprochen und mit Kreide an die Schultafel geschrieben werden. „Der Käse“, sagt Diana Sosin laut und deutlich, Florian Wendland erklärt den aufmerksamen Schülern den Begriff noch einmal auf Englisch.
Jugendliche Schüler helfen in Eisenhüttenstadt
Diana ist 16, macht ihr Fachabitur am Eisenhüttenstädter Oberstufenzentrum und ein Praktikum beim Deutschen Roten Kreuz (DRK), das die Notunterkunft „Unterschleuse“ der zentralen Brandenburger Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt betreibt. Florian ist 15, Schüler am Albert-Einstein-Gymnasium der Stadt. Beide gehören zu gut einem Dutzend Jugendlicher, die seit dem Sommer regelmäßig in ihrer Freizeit in die Lehrerrolle schlüpfen. Dann bringen sie Flüchtlingen die ersten Wörter und Redewendungen auf Deutsch bei. „Die meisten von ihnen haben einen schweren Weg der Flucht hinter sich und brauchen nun jede Unterstützung“, erklärt Florian seine Motivation. Zum Deutschlernen hätten die Fremden kaum Gelegenheit, meint er. „Die Sprache brauchen sie aber, wenn sie hierbleiben wollen.“
Der ehrenamtliche Unterricht – dreimal wöchentlich für anderthalb bis zwei Stunden – ist nur eine Art der Hilfe, die Eisenhüttenstädter anbieten. Etwa 115 von ihnen sind in einem Netzwerk vereint.
„Wir organisieren auch Kinderbetreuung und Notfallhilfe, wenn ganze Busse mit Flüchtlingen in der Erstaufnahme ankommen. Außerdem haben wir ein Begegnungscafé, eine Spendenkammer und eine Fahrradwerkstatt“, erzählt Diana Sosins ältere Schwester Tanja. Sie studiert an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) interkulturelle Kommunikation. Parallel ist sie als Ehrenamtskoordinatorin der Diakonie Niederlausitz tätig. Vorbereitet werde gerade ein Lotsen- und Patenschaftsprojekt für Flüchtlinge, für das noch Mitstreiter gesucht werden. „Die Lotsen begleiten Asylbewerber zu Behörden oder zum Arzt. Die Paten sind als Integrationshilfe für diejenigen gedacht, die einen Aufenthaltsstatus bekommen“, erklärt die 26-Jährige.
Flüchtlinge wollen eigentlich jeden Tag Deutsch lernen
Ihr Engagement kommt nicht von ungefähr: Vor 18 Jahren zogen die Sosins als Spätaussiedler aus Kasachstan nach Deutschland. „Ich sprach zunächst kein Wort Deutsch, bekam jahrelang Förderunterricht. Gerade am Anfang ist diese Unterstützung wichtig“, sagt sie. So wie sie damals Hilfe bekommen habe, wolle sie heute selbst welche geben, sagt Tanja Sosin. Die meisten Flüchtlinge würden am liebsten jeden Tag Deutsch lernen, da mache das Helfen wirklich Spaß.
„Wenn sie dann beispielsweise beim Einkaufen mit ersten Vokabeln klar kommen, motiviert das zusätzlich“, hat die Ehrenamtskoordinatorin beobachtet. Lernmaterial holen sich die ehrenamtlichen Deutsch-Lehrer aus dem Internet. Zudem bekommen sie Tipps von anderen, die schon länger Flüchtlingen die ersten Wörter beibringen. „Zudem haben wir ein paar Bücher, die in den eigentlichen Integrationskursen verwendet werden. Das DRK hat jetzt noch welche bestellt“, sagt Sosin.
Deutsche Kultur in Willkommenskursen
Die Bildungsarbeit sei ungeheuer wichtig, bestätigt Stefan Adam, der sich als Mitarbeiter in der Eisenhüttenstädter DRK-Notunterkunft um die sozialen Belange der Flüchtlinge kümmert. „Auch wir als Betreiber dieser Einrichtung versuchen, ihnen in sogenannten Willkommenskursen die deutsche Kultur und Lebensweise nahezubringen. Aber ohne die Unterstützung ehrenamtlicher Helfer wären wir ziemlich aufgeschmissen“, erklärt er.
Adam lobt in diesem Zusammenhang die große Spendenbereitschaft aus ganz Brandenburg, aber auch Sportvereine und Unternehmen der Region, die Flüchtlingen Freizeitmöglichkeiten und Praktika anbieten. Er ermuntert die Eisenhüttenstädter Bevölkerung, in der DRK-Notunterkunft vorbeizuschauen. „Auf der deutschen Seite gibt es so viel Unwissen und Unsicherheit im Umgang mit Fremden, in der Stadt dadurch kaum Begegnungen mit Flüchtlingen“, sagt Adam. (dpa)
Jeanette Bederke
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