Brandenburg: Die Angst vor dem Jazzgottesdienst
Erst lehnte die Oberlausitzer Landeskirche die Fusion mit den Berlin-Brandenburger Protestanten ab, dann stimmte sie zu. Doch ganz wohl fühlen sich die Gläubigen dabei nicht
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Erst lehnte die Oberlausitzer Landeskirche die Fusion mit den Berlin-Brandenburger Protestanten ab, dann stimmte sie zu. Doch ganz wohl fühlen sich die Gläubigen dabei nicht Von Claudia Keller Große Reformen beginnen bisweilen beim Briefpapier. Die evangelische Kirche Berlin-Brandenburg und die der schlesischen Oberlausitz brauchen bis zum 1. Januar tonnenweise neue Briefköpfe und Siegel. Denn dann gibt es eine neue Landeskirche mit dem noch gewöhnungsbedürften neuen Namen „Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz“. Zu den drei Berliner und Brandenburger Sprengeln kommt als vierter die Oberlausitz hinzu. Diese Fusion ist nur der Anfang weit reichender Veränderungen innerhalb der gesamten Evangelischen Kirche in Deutschland. Denn im Moment gibt es 24 Landeskirchen mit 24 Verwaltungen – eine unverhältnismäßig luxuriöse Kleinstaaterei angesichts kontinuierlich schwindender Geldsummen und Kirchenmitglieder. Auch die Kirchenprovinzen Sachsen und Thüringen sowie Mecklenburg und Pommern diskutieren ihren Zusammenschluss, weitere sollen folgen. Was vor einer Woche zwischen Berlin und der Oberlausitz besiegelt wurde, setze deshalb ein „wichtiges Signal“ für die Anstrengungen der anderen, sagt der Berliner Bischof und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Wolfgang Huber. Bis sich in Kirchen etwas ändert, müssen viele Gremien diskutieren. Manchmal geht das aber doch schnell: Noch im September hatten die Oberlausitzer die Fusion mit den Berlin-Brandenburgern abgelehnt, Mitte November stimmten sie zu. Wie es dazu kam, das kann sich Klaus Wollenweber, der Bischof der Oberlausitzer, nicht erklären. Es grenze an ein „Wunder“. Wollenweber freute sich, weil er überzeugt ist, dass die Oberlausitzer Kirche mit ihren 64000 Mitgliedern wirtschaftlich allein auf Dauer nicht hätte überleben können. Friedhart Vogel, der Superintendent von Hoyerswerda, war einer der Kritiker, die der Fusion dann doch zugestimmt haben. „Ich wollte nicht als Blockierer dastehen. Es wäre fatal gewesen, wenn sich gar nichts bewegt hätte.“ Vogel war nicht grundsätzlich gegen eine Fusion, aber er wollte mit Sachsen zusammengehen. Aus Protest gegen die fusionierte Kirche würden in seinem Kirchenkreis viele Ehrenamtlichen ihre Arbeit niederlegen und Gläubige austreten. Viele sorgen sich um ihre Identität, um die traditionell geprägte Frömmigkeit in der Oberlausitz. Als Bischof Huber im Frühjahr in Hoyerswerda einen Vortrag hielt, fragte ihn ein Zuhörer, ob es so etwas wie ein „geistliches Leben“ in Berlin überhaupt gebe. „Hier ist man noch nicht so säkularisiert wie in der Großstadt“, sagt Wollenweber. Die Angst beginne bei Jazzgottesdiensten und ende bei der Einsegnung homosexueller Paare, wozu sich die Berliner im vergangenen Jahr entschlossen haben. Auch fürchten viele, dass man künftig auch in der Oberlausitz das Unterrichtsfach Lebenskunde Ethik und Religion (LER) einführen müsse. Bischof Wollenweber beschwichtigt: „Wir ändern ja nicht die Landesgrenzen, wir gehören weiterhin zum Freistaat Sachsen, und da gibt es Religion und Ethik.“ In Berlin und Brandenburg kümmert der Zusammenschluss kaum jemand. Mit 1,27 Millionen Mitgliedern muss man sich hier auch wenig Gedanken um die Eigenständigkeit machen. Markus Herbruck, ein Pfarrer aus Finsterwalde, ist sogar enttäuscht, dass nicht noch mehr fusioniert wurde. Da habe sich die viele Arbeit gar nicht richtig gelohnt. Neben dem neuen Briefpapier und neuen Siegeln wird sich erst einmal nur in der Kirchenleitung etwas ändern. Erst 2006 will man den ersten gemeinsamen Haushalt aufstellen. Anfang Januar wird ein neuer Bischof gewählt, der für die gesamte neue Kirche zuständig sein wird. Er wird seinen Sitz in Berlin haben. In Görlitz, wo Bischof Wollenweber residiert, wird nur noch ein leitender Geistlicher sitzen. Von Berliner Seite tritt Bischof Huber im Januar an. Die Oberlausitz hat Hans-Wilhelm Pietz ins Rennen geschickt, Bischof Wollenweber geht Ende Mai in Ruhestand. Pietz ist 47 Jahre alt und Provinzialpfarrer in Görlitz. Er hat die evangelische Akademie in der Oberlausitz geleitet und ist heute für die Diakonie zuständig. Er will sich dafür einsetzen, dass die Oberlausitzer Traditionen gewahrt bleiben, aber auch die neue Situation „wach und lebendig aufgenommen wird“.
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