Brandenburg: „Die Erweiterung ist längst vollzogen“
Auf der Suche nach den Ängsten der Menschen und den Chancen der EU-Osterweiterung
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Auf der Suche nach den Ängsten der Menschen und den Chancen der EU-Osterweiterung Von Michael Kaczmarek Potsdam. Selten saßen Politiker unterschiedlicher Couleur im Wahlkampf so harmonisch zusammen wie am Samstag bei der vom DGB organisierten Podiumsdiskussion im Potsdamer Alten Rathaus. Doch dieser Wahlkampf ist ein besonderer, sagt Norbert Glante (SPD), der bereits seit 10 Jahren in Brüssel und Straßburg brandenburgische Interessen im Europaparlament vertritt. „70 Prozent der Entscheidungen unserer Regierung beziehen sich auf Rahmenvorgaben der Europäischen Union.“ Damit sei es enorm wichtig, diese Wahl ernst zu nehmen, unabhängig davon, wem man seine Stimme gibt, erklärte Glante. Ihr Interesse an Europa zeigten am Samstag allerdings gerade einmal eine Hand voll interessierter Besucher als neben Glante auch EU-Abgeordnete Elisabeth Schroedter (Bündnis 90/ Die Grünen) und die Kandidaten fürs Europaparlament Christian Ehler (CDU) und Gabriele Zimmer (PDS) sowie Gregor Asshoff von der Gewerkschaft IG Bau mit Ute Holzhey, der Moderatorin von Inforadio Berlin-Brandenburg, zum Thema „Wirtschaftliche und soziale Dimension der EU-Osterweiterung für brandenburgische Unternehmen und Beschäftigte“ diskutierten. Je näher der 1. Mai und damit die EU-Osterweiterung rückt, desto stärker steigt die Skepsis der Brandenburger, zitierte Holzhey aus Umfragen. Alle Politiker konnten nur bestätigen, dass die Menschen in Gesprächen ihre Angst verdeutlichten, Brandenburg werde verstärkt polnische Billigarbeiter anziehen und Brandenburger Unternehmen könnten nach Polen abwandern. „Es ist falsch, wenn wir denken, dass die EU-Osterweiterung am 1. Mai kommt. Sie hat sich schon längst vollzogen“, erklärte Ehler. Deutschland hätte bereits 65 000 Schwarzarbeiter aus Osteuropa. Die Gefahr sei nur, dass die Verheißungen, die den Brandenburgern gemacht wurden, nicht eintreffen werden. Was die Unternehmen betrifft, so seien die größeren mittelständischen brandenburgischen Unternehmen schon längst hinter der Oder engagiert und nutzen dort die billigeren Löhne der Arbeiter, um kostengünstiger zu produzieren, sagte Ehler. Schließlich dürfe nicht vergessen werden: In die osteuropäischen Märkte fließen Millionen von Euro an europäischen Fördermitteln.“ Damit entstehe eine ähnliche Situation wie nach der Wende in den neuen Bundesländern. „Damals waren die Förderprogramme für den Osten in erster Linie eine Konjunkturprogramm für die alten Bundesländer. Diesmal ist es unsere Chance. Die Frage ist nur, ob wir sie auch nutzen.“ Die brandenburgischen Unternehmen hätten vor allem dort Chancen, wo in der polnischen Industrie europäischen Normen umgesetzt werden müssten, über deren technisches „know how“ die Brandenburger bereits verfügen, erklärte Glante. „Dort können die Brandenburger Unternehmen mit Investitionen und Kooperationen in den polnischen Markt einsteigen.“ Eine Chance für brandenburgische Arbeitnehmer zeigte Schroedter auf: „Wenn wir europäische soziale Standards in Polen durchsetzen, schützt das die Brandenburger mehr als jede Abschottung vor polnischen Arbeitswilligen“, ist Schroedter überzeugt. Dass aber auch die Verlierer der EU-Osterweiterung benannt werden sollten, forderte Gewerkschafter Asshoff: „Natürlich werden die hoch qualifizierten Arbeitnehmer auf beiden Seiten profitieren. Doch es wird auch klare Verlierer hier und dort geben und zwar die niedrig qualifizierten Arbeitskräfte.“ Die Politiker müssten das deutlich sagen und klären, wie diese Verwerfungen abgefedert werden. Den einzigen Applaus der Diskussion erhielt Gabriele Zimmer als sie den Kern der Sorgen erfasste: „Die jungen Menschen in Brandenburg können nichts damit anfangen, wenn man ihnen erklärt, dass sie nun in ganz Europa lernen und arbeiten können. Sie wollen doch ihre Zukunft hier aufbauen.“ Dann begaben sich die Podiumsmitglieder auf die Suche, nach den Gründen, weshalb das Thema EU für die meisten Brandenburger weiterhin ein Buch mit sieben Siegeln ist. „Der Erweiterungsprozess war bisher ein Prozess der Eliten. Wir haben ihn immer nur positiv dargestellt, ohne die Ursachen der Ängste abzubauen“, erklärt Schroedter die Defizite der vergangenen Jahre. Dass viele junge Menschen sich wenig für die EU interessieren und fast nichts über sie wissen, bestätigte auch eine Lehrerin des Potsdamer Oberstufenzentrums II. „Die Politiker müssen dieses Thema verständlich rüber bringen“, forderte die Lehrerin als sie ans Mikrofon trat. Niemand auf dem Podium konnte diesem Vorwurf etwas entgegen setzen. Doch Glante forderte auch von den Bürgern Eigeninitiative ein. „Ich versuche den Erweiterungsprozess seit Jahren den Menschen zu erklären, aber bei den Veranstaltungen sehe ich immer die gleichen Leute.“
Michael Kaczmarek
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