Brandenburg: Die Kuh, das seltene Wesen
In Berlin gibt es nur noch 111 Milchkühe. Die zwei Milchverarbeitungsbetriebe spüren noch keinen Engpass
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Berlin - Auf dem „Carolinenhof“ der Bauernfamilie Feldbinder auf den einstigen Rieselfeldern an der Gatower Straße in Spandau blicken zwei Weißbraune über den Weidezaun. Knapp 50 Artgenossen stehen in den Ställen gleich hinter dem Hofladen, der neben Milch und Käse auch Eier, Fleisch- und Wurstwaren anbietet. Am Protest der Erzeuger beteiligen sich die Feldbinders nicht, schließlich braucht man das Geld, so die Chefin hinter dem Tresen. Molkereien aus dem Umland holen die Milch täglich ab. Die Zahl der Kunden im Hofladen sei seit dem Start des Lieferboykotts vieler Milchproduzenten aber nicht gestiegen, sagt die Bäuerin.
Kühe und Molkereien sind in Berlin gleichermaßen eine Seltenheit geworden. Ganze 111 Milchkühe zählten die Statistiker vor Jahresfrist noch in der Hauptstadt; neben dem Hof der Feldbinders hat auch noch die Familie Mendler in Rudow Milchvieh. Immerhin: 1996 standen in Berliner Ställen noch 590 Kühe. Zum Vergleich: In Brandenburg leben 163 674 Tiere.
Keine Engpässe meldet Erhard Buchholz, Geschäftsführer der Berliner Milcheinfuhr-Gesellschaft. Das Unternehmen beliefert aber mit der bei Brandenburger Bauern abgeholten Milch keine Berliner Molkereien, sondern bundesweit zehn große Milchverarbeitungsbetriebe. Bisher hatte man keine Engpässe bei der Beschaffung der benötigten Tagesmenge von rund 2,2 Millionen Litern, sagt der Geschäftsführer Buchholz. Probleme gibt es derzeit nur durch einen größeren logistischen Aufwand. Viele Touren mussten geändert werden, um jene Milchbauern anzusteuern, die sich nicht an dem Boykott beteiligen.
Klassische Molkereibetriebe gibt es so gut wie keine mehr in Berlin. Die meisten Unternehmen wie die traditionsreiche Meierei Bolle haben diesen Betriebszweig längst eingestellt. Selbst die beim Branchenverband genannte Firma Nordmilch unterhält in der Hauptstadt nur ein Exportbüro. Lediglich die Vereinigte Molkerei-Zentralen GmbH & Co KG produziert noch in der Spandauer Goltzstraße. Hier wird Sahne verarbeitet, die über den Großhandel bezogen wird. Bisher sei der Bedarf gedeckt, so eine Mitarbeiterin.
Die Firma Francia produziert in der Tempelhofer Volkmarstraße Mozzarella-Käse, der von Berlin aus in alle Welt exportiert wird. Für den Markt in den Vereinigten Staaten gibt es sogar eine eigene Sorte. Als Nachschub für die Produktion werden wöchentlich rund 25 bis 30 Tanklastzüge mit jeweils 25 000 Kilogramm Milch benötigt. „In dieser Woche haben wir unseren Bedarf mit einigen Schwierigkeiten decken können“, so Betriebsleiter Pier-Luigi Verga. Einige Lieferanten hätten geplante Lieferungen gestrichen, andere dagegen für Ausgleich gesorgt. Heute muss Verga die Bestellungen für die kommende Woche aufgeben. Ob er dann wieder genug Milch bekommen wird, ist ungewiss. „Wir wissen ja noch nicht, ob der Boykott weitergeht.“Rainer W. During
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