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Brandenburg: Die Milch macht“s nicht

Bauer Winter freut sich über höhere Preise – obwohl er noch immer draufzahlt

Von Sandra Dassler

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Fehrbellin – Jens Winter ist happy. „Die Leute haben in den vergangenen Tagen wie die Wilden gekauft“, sagt er. „In den Geschäften hier gab es keine H-Milch und keine Butter mehr, einfach toll!“

Jens Winter ist nicht etwa verrückt, sondern Landwirt. Genauer gesagt: Prokurist in der Rhinmilch GmbH Agrargesellschaft Fehrbellin im Linumer Bruch. Die Rhinmilch GmbH produziert 15,5 Millionen Liter Milch im Jahr. Jens Winters Freude über Hamsterkäufe und gestiegene Preise für Milchprodukte resultiert allerdings nicht aus der naheliegenden Vermutung, dass sein Betrieb daran verdient. Im Gegenteil: „Bislang ist von den Preissteigerungen noch nichts bei uns Landwirten angekommen“, sagt er. „Vielleicht im nächsten Monat, das liegt an der Molkerei, die wir beliefern.“

Nein, die Freude über leere Supermarktregale, hat mit der Tochter von Jens Winter zu tun. Die hat vor fünf Jahren, als er seinen Job als SAP-Fachmann bei Schering aufgab und zurück in die Landwirtschaft ging, zu ihm gesagt: „Ich kann doch nicht in der Schule angeben, dass mein Vater Bauer ist. Das ist ja peinlich.“

Da sei ihm wieder einmal schlagartig bewusst geworden, welch geringe Wertschätzung Landwirte genießen, sagt Winter: „Nach dem Krieg haben manche ihre goldenen Eheringe für einen Sack Weizen eingetauscht – gut, das war eine Ausnahmesituation. Aber nachdem Milch, Butter und andere Waren seit Jahren zu Billigpreisen in den Supermärkten verramscht werden, weiß doch kaum noch jemand, wie viel Arbeit es kostet, qualitativ hochwertige Lebensmittel herzustellen.“

Katrin Heidenescher und Nicole Schröter wissen es. In der Melkanlage der Rhinmilch GmbH streifen die beiden Melkerinnen ihre Handschuhe über. Um 18 Uhr geht ihre Nachtschicht los. Langsam trotten die ersten der 1 300 Milchkühe in die Anlage. Mit prall gefüllten Eutern stellen sie sich brav mit dem Hinterteil zu den elektronischen Melkmaschinen. 68 Kühe können gleichzeitig gemolken werden, 34 links, 34 rechts. Nicole Schröter streicht mit gekonnten Bewegungen die Euter mit drei Strichen pro Zitze aus. Erfahrene Melkerinnen merken schon dabei, ob mit der Milch alles in Ordnung ist. Danach wird das Euter gesäubert. Erst dann schließt Nicole Schröter die Geräte an.

Elektronisch wird registriert, wie viel Milch jede Kuh gibt und welche Qualität sie hat. Dann fließt die weiße Flüssigkeit über ein Leitungssystem in zwei große Tanks für je 32 000 Liter, wo sie von 37 Grad auf vier bis sechs Grad abgekühlt wird. Jeden Morgen bringen zwei Fahrzeuge die frische Milch in die Müllermilch-Molkerei in Leppersdorf bei Dresden. Jeden Morgen werden auch Proben entnommen, die im Labor untersucht werden. „Milch ist eines der am besten kontrollierten Lebensmittel“, sagt Winter.

Manchmal streicht Nicole Schröter einer Kuh liebevoll über den Kopf. „Ich wollte immer mit Tieren arbeiten“, sagt sie. „Sie sind so dankbar, mancher habe ich sogar einen Namen gegeben.“ Um 21.30 Uhr sind die 600 Kühe gemolken, Nicole Schröter und ihre Kollegen machen sauber und eine Stunde Pause. Dann kommen die restlichen Kühe an die Reihe. Um drei Uhr endet die Nachtschicht.

Rund 1200 Euro verdient ein Melker der Agrargesellschaft. „Gern würden wir die Löhne erhöhen“, sagt Jens Winter: „Aber bei seit Jahren fallenden Milchpreisen ist das nicht möglich.“ Die Produktion wäre erst gewinnbringend, wenn die Molkereien den Landwirten rund 40 Cent pro Liter Rohmilch zahlen würden. Bislang zahlen sie 30, im April waren es noch 27.

Seit Jahren fordern die Landwirte reale Preise für ihre Waren. „Es tut weh, wenn Mineralwasser teurer ist als Milch“ sagt Winter. „Wir haben einen Brunnen, da könnten wir Wasser abfüllen und mehr verdienen als mit Milch – ganz ohne Menschen, die Kälber aufziehen oder Kühe melken oder Felder mit Futterpflanzen bestellen.“

Doch die Agrargesellschaft hat in die Milchproduktion investiert. Die neue Melkanlage für 1,5 Millionen Euro gebaut, dazu Kredite aufgenommen, den Stall, der zu DDR-Zeiten für 1930 Rinder ausgelegt war, saniert. Auch wegen dieser Investitionen ist die Rhinmilch GmbH gezwungen, die unrentable Milchproduktion weiter zu betreiben. Andere Betriebszweige müssen die Verluste ausgleichen. „So haben wir eine Biogasanlage gebaut“, sagt Jens Winter. Dort können wir aus Gülle Strom machen und damit Geld verdienen. Aufgrund der steigenden Energiepreise bekamen wir bisher für Roggen der zu Strom umgewandelt wurde, viel mehr Geld als für Roggen, den wir zur Herstellung von Nahrungsmitteln verkauften.

„Das ist doch verrückt“, sagt Winter. Nur der in diesem Jahr gestiegene Roggenpreis habe diese makabre Entwicklung gestoppt. „Deshalb fände ich es gut, wenn auch Lebensmittel wieder das kosten würden, was sie wert sind. Dann müsste die EU den Landwirten auch keine Subventionen mehr zahlen. Die könnte man dann ja jenen Menschen geben, für die höhere Lebensmittelpreise an die Existenz gehen.“ Es könnte so einfach sein, sagt Winter. Aber er weiß nur allzugut, wie so genannte Experten solchen Vorschläge nennen: Milchmädchenrechnungen.

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