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Blitzermarathon in Brandenburg: „Die notorischen Raser haben längst aufgerüstet“

Mit großem Aufwand beteiligt sich Brandenburgs Polizei am ersten bundesweiten Blitzmarathon, doch diese Aktion hat Grenzen. Ein Experte über die Tücken von Tempolimits – und darüber, wie auch scheinbar vernünftige Autofahrer kriminell werden können

Stand:

Am „Blitzmarathon“ beteiligt sich an diesem Donnerstag auch die Brandenburger Polizei. Reine Show oder höchste Zeit?

Die Sache ist zweischneidig. Einerseits wird das Thema auf die Agenda gehoben – in den Medien ebenso wie am Stammtisch, auch wenn es da mehr im Sinne von „Morgen musst du aufpassen!“ läuft. Die Sensibilität steigt also. Ob das dauerhaft etwas bewirkt, ist eine andere Frage.

Die Polizei hat die Standorte der Kontrollstellen vorab veröffentlicht, um dem üblichen Vorwurf der Abzocke zu begegnen. Halten Sie das für vernünftig?

Nur ausnahmsweise, bei einer so plakativen Aktion. Sonst sollte die Polizei selbstbewusst genug sein, Standorte nicht vorher zu verkünden. Der Abzocke-Vorwurf ist ja völliger Quatsch. Hier wird nämlich nicht irgendwer hinterrücks um sein Geld gebracht, sondern einfach das Gesetz durchgesetzt. Wer das fährt, was auf dem Schild steht, muss nichts zahlen.

Siegfried Brockmann

(54) leitet die Unfallforschung der Versicherer, den Wissenschaftlichen Beirat der Verkehrswacht und ist Vorstand im Verkehrssicherheitsrat.

Am Freitag werden viele aufatmen, weil es vorbei ist – und wieder Gas geben, da sie im Alltag erfahrungsgemäß kaum erwischt werden. Reicht der Kontrolldruck aus?

Mit Sicherheit nicht. Die notorischen Raser haben doch längst aufgerüstet. Die unterhalten sich nicht nur, wo regelmäßig kontrolliert wird, oder hören das im Radio. Sie nutzen auch immer bessere Radar-Apps, die inzwischen leider ziemlich gut funktionieren. Man erlebt immer öfter, dass auf Hauptstraßen die üblichen 60 Stundenkilometer gefahren werden und plötzlich alle auf Tempo 50 abbremsen, weil sie offensichtlich gewarnt sind. Und siehe da: Dort steht dann wirklich ein Radarwagen. Aus wissenschaftlichen Untersuchungen wissen wir, dass nur etwa jedes 700. Verkehrsdelikt entdeckt wird. Das Risiko ist also überschaubar, und schlimmstenfalls zahlt man halt 30 oder 50 Euro. Die Strafen sind ja gering, und jeder weiß, dass man manchmal monatelang keine Kontrolle sieht.

„Wer rast, tötet“, heißt es in der Ankündigung der Polizei, und wer sich nicht an Regeln hält, „verachtet unsere Gesellschaft“. Das sind ungewohnt deutliche Töne. Erreicht man damit die Richtigen?

Es sind auf jeden Fall klare Worte, die ich gut finde und mir öfter wünsche. Ihre Hauptadressaten erreichen sie allerdings nicht: Der Verkehr ist ja nur ein winziger Ausschnitt unseres gesamten Lebens. Wer sich da asozial verhält, tut das auch sonst und wird sich auch durch solche Ansagen nicht ändern. Unser Grundproblem ist, dass sich 10 bis 15 Prozent der Verkehrsteilnehmer grob verkehrswidrig verhalten. Ich rede nicht von denen, die zehn Stundenkilometer über dem Limit im Strom mitschwimmen. Sondern von denen, die 70, 80 oder 90 fahren, Busspuren benutzen und auf der Autobahn rechts überholen und drängeln. Diese Leute kriegen wir nur durch Härte in den Griff. Diese Härte entsteht durch das Punktesystem, mit dem solche Täter systematisch erfasst werden – bis für sie irgendwann eine Zwangspause zum Nachdenken fällig wird.

Müssten die Geldstrafen höher sein, um die wirklichen Rüpel zu bremsen?

Das Problem ist, dass Reiche sich höhere Geldstrafen besser leisten können. Im Gegensatz dazu ist das Punktesystem sozial ausgleichend, weil es jeden gleichermaßen trifft. Anderswo in Europa geht es bei den Geldstrafen nicht um 50 oder 100 Euro, sondern um deutlich höhere Summen, die sich in manchen Ländern sogar am Einkommen orientieren und damit sozial gerechter sind. Das machen wir in Deutschland auch, aber nur in Strafverfahren. Bei Ordnungswidrigkeiten wie geringen Tempoverstößen wäre der bürokratische Aufwand gigantisch.

In der Mitgliederzeitschrift des ADAC hat sich kürzlich ein Leser beklagt, wie sehr er wegen der Tempolimits unterfordert und deshalb unaufmerksam sei. Und im Online-Forum dieser Zeitung kritisieren Menschen 30er-Abschnitte auf Hauptstraßen und erklären, warum sie selbst am besten wissen, wo sie wie schnell fahren sollen. Was sagen Sie denen?

Das mit den 30er-Schildern ist in der Tat schwierig: Wenn solche Limits wegen der Nachtruhe oder Feinstaubbelastung verhängt werden, kann das Regelungen zur Verkehrssicherheit untergraben. Bei Tempo 30 nachts sagen manche ja zu Recht, dass sie mit Tempo 40 im 4. Gang ruhiger fahren als mit 30 im 3. Gang. Aber diese Logik funktioniert nicht bei der Sicherheit. Da kann niemand selbst entscheiden, warum irgendwo das Tempo begrenzt ist. Grundsätzlich gilt in der Stadt Tempo 50. Wo die Behörden davon abweichen, müssen sie es konkret begründen. Aus dieser Regelung ergibt sich automatisch, dass jedes einzelne 30er-Schild einen Sinn hat. Das kann ebenso ein Kindergarten sein wie starker Fußgängerverkehr, aber auch eine Unfallhäufung. Niemand sollte sich anmaßen, das besser zu wissen, bloß weil er dort noch keinen Unfall gesehen hat.

Bundesweit sind im vergangenen Jahr mehr als 1200 Menschen durch zu schnelles Fahren gestorben

das stimmt so nicht. Es gibt einen Riesenunterschied zwischen überhöhter und nicht angepasster Geschwindigkeit. Überhöhtes Tempo lässt sich oft nur durch ein Gutachten nachweisen. Nicht angepasst sind dagegen manchmal auch 50 km/h an einer unübersichtlichen Kreuzung.

Also doch zu schnell.

Zu schnell für die Situation. Die meisten Menschen begreifen die Tragweite dieses Unterschiedes nicht. Die denken: Wenn ich 70 fahre, wo 50 erlaubt sind, kostet mich das schlimmstenfalls 80 Euro. Wenn es aber kracht und jemand verletzt wird, werde ich angeklagt und bin wegen Körperverletzung vorbestraft. Und zwar auch, wenn ich korrekt 50 gefahren bin, aber beispielsweise am Straßenrand sichtbar ein Kind stand, das plötzlich losgelaufen ist. Darin sehe ich auch einen Mangel des Blitzmarathons: Der suggeriert den Leuten, dass sie sich nur so zu verhalten brauchen, wie es die Schilder vorgeben. In Wirklichkeit müssten sie sich aber so verhalten, dass sie es ethisch verantworten können. Das ist viel mehr, als nur die Regeln einzuhalten.

Im vergangenen Jahr sind bundesweit rund 3600 Menschen im Straßenverkehr getötet und etwa die Bevölkerung einer mittelgroßen Stadt zum Krüppel gefahren worden. Warum wird darüber so wenig geredet, während ein vom Hai gebissener Surfer es auf die Titelseiten schafft?

Für die Verkehrstoten haben wir halt eine vernünftige Erklärung: Jemand hat etwas falsch gemacht, sodass der Unfall passiert ist, fertig. Sie können aber sicher sein, dass jeder schwere Unfall genauestens untersucht wird. Da gibt es Gutachten und Gerichtsverfahren, sodass wir am Ende sehr genau wissen, woran es lag. Das ist ja auch unser Job: bestimmte Muster zu erkennen und die Ursachen zu bekämpfen. Leider hilft das den Opfern nicht mehr. Und für die Angehörigen ist jeder Einzelfall eine Katastrophe.

Das Gespräch führte Stefan Jacobs

Die Aktion

Mit einem bundesweiten 24-Stunden-Blitz-Marathon will die Polizei am Donnerstag Rasern das Leben schwer machen. Denn die sind verantwortlich für die meisten Verkehrsunfälle mit getöteten Personen. Ab sechs Uhr morgens wird geblitzt: Allein 575 Brandenburger Beamte stehen im gesamten Land an rund 400 Messstellen. Laut Polizeipräsidum ist es der größte Polizeieinsatz zur Unfallprävention in Brandenburg seit der Wiedervereinigung.

Die Blitzerstellen

Für die Aktion ausgewählt hat die Polizei vor allem Orte, die als besonders gefährlich gelten und an denen es dementsprechend oft zu Unfällen kommt. Auch Bürgerbeschwerden seien bei der Auswahl der Kontrollpunkte berücksichtigt worden, sagte Behördenleiter Arne Feuring. Die Kontrollen werden nicht verdeckt stattfinden. „Durch die Transparenz wollen wir allen Verkehrsteilnehmern klarmachen, dass es bei Kontrollen ausschließlich um Sicherheit geht“, sagte der Leiter der Verkehrspolizei, Ingolf Niesler.

Die Statistik

An verdeckten Kontrollstellen ohne Ankündigung würden 12 Prozent der Fahrer geblitzt, bei angekündigten Kontrollen immer noch vier bis acht Prozent, hieß es. Allein 54 Menschen starben schon 2013 auf Brandenburgs Straßen wegen zu hoher Geschwindigkeit. (axf/alm)

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