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Rechtsextreme Gewalt in Brandenburg: Die Opferperspektive einnehmen
Sicherheitsbehörden und Opferverbände ziehen Bilanz zu Opfern rechtsextremer und rassistischer Gewalt in Brandenburg. Nun fordert Innenminister Schröter weitere Konsequenzen aus der NSU-Mordserie.
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Oranienburg - Die Aufarbeitung der Mordserie des rechtsextremistischen Terrortrios „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) ist noch lange nicht abgeschlossen. Zu schwer wiegt das Versagen der deutschen Sicherheitsbehörden – auch heute angesichts der wachsenden Zahl von rechtsextremistischen Attacken auf Flüchtlinge und Asylunterkünfte. Brandenburg aber gilt als eines jeder Bundesländer, das bei der Umsetzung der vom NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages 2013 empfohlenen Neujustierung der Polizei große Fortschritte gemacht hat. Nur einen Untersuchungsausschuss gab es in Brandenburg noch nicht – im Gegensatz zum Bund und zu anderen Ländern.
Lehren aus dem NSU-Skandal
Aus dem NSU-Skandal die richtigen Konsequenzen zu ziehen, sei von großer aktueller Bedeutung, sagte Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) am Mittwoch bei einer Tagung in der Fachhochschule der Brandenburger Polizei. Geladen waren Spitzenbeamte der Polizei und des Innenministeriums. Doch die Veranstaltung richtete sich nicht nur an die Sicherheitsbehörden, sondern schulte einen Dialog zwischen Polizei, Justiz, Zivilgesellschaft und Opferverbänden. Es ist inzwischen die zweite Tagung dieser Art, bei der es um die Neuaufstellung der Polizei infolge der NSU-Mordserie geht.
Ausländerfeindliche Straftaten seien nicht nur ein Angriff auf das friedliche Zusammenleben, sondern auch „auf den Rechtsstaat insgesamt“, sagte der Minister. „Über Asylpolitik kann man streiten, über Brandanschläge oder Überfälle auf Flüchtlinge nicht.“ Für die Polizei sei nach den Ermittlungspannen rund um den NSU der sensible Umgang mit den Opfern rechter Gewalt oder deren Hinterbliebenen eine besondere Verpflichtung. Hier sei in den vergangenen Jahren schon vieles getan worden, „aber nichts ist so gut, dass wir es nicht verbessern könnten“, sagte Schröter. Darin bestand auch bei den Gästen der Tagung Einigkeit: Ein Perspektivwechsel hin zu den Opfern sei notwendig.
Untersuchung rechtsextremer Gewalt in Brandenburg
Bei der Aufklärung rechtsextrem motivierter Straf- und Gewaltdelikte setzt Brandenburg vor allem auf Transparenz, etwa bei der im Juli vorgestellten Studie des Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrums (MMZ). Im Auftrag des Innenministeriums untersuchte das MMZ umstrittene Todesfälle rechtsextremer und rassistischer Gewalt nach 1990. Bundesweit ist es einmalig, dass externe Wissenschaftler an der Aufarbeitung beteiligt wurden.
Das Team um den Potsdamer Politologen Christoph Kopke untersuchte 24 Tötungsdelikte, die durch zivilgesellschaftliche Initiativen und Medien als rechtsextrem oder rassistisch motiviert vermutet werden. Statt bisher nur neun hat das Innenministerium nun weitere neun Fälle als politisch rechts motivierte Tötungsdelikte anerkannt. Begleitend zum Projekt tagte sechsmal ein Expertenarbeitskreis, bestehend aus Vertretern staatlicher und zivilgesellschaftlicher Institutionen, der über die Fälle diskutierte.
Polizei muss wieder Vertrauen gewinnen
Nach dem desaströsen Versagen der Ermittler im NSU-Komplex müsse die Polizei viel Vertrauen neu gewinnen, hieß es. Barbara John, Ombudsfrau der Bundesregierung für die Angehörigen der Opfer des NSU, sagte, mitfühlend, professionell und ohne Vorurteile sollte die Polizei agieren. Aber auch das sei eine Wunschvorstellung, wie John einräumte. Denn so ganz vorurteilsfrei sei niemand. Auch die Journalistin Heike Kleffner, die zusammen mit dem Tagesspiegel-Reporter Frank Jansen Anfang der 2000er-Jahre eine Liste mit Todesopfern rechter Gewalt publiziert hatte, sprach von Fehlern. Jahrelang seien die NSU-Opfer ignoriert worden, die Hinterbliebenen durch die mediale Stigmatisierung der Taten als „Döner-Morde“ und durch Ermittlungen gegen die Familien selbst gedemütigt worden. Seither hat sich einiges getan im Umgang mit den Opfern rechter Gewalt.
So berichtete Judith Porath vom Potsdamer Verein Opferperspektive von der guten Zusammenarbeit der Behörden mit der Opferberatungsstelle. Weitaus seltener würden Opfer rassistischer oder rechtsextremer Übergriffe über den Umgang der Polizei mit ihnen klagen. Zahlreiche Opfer fühlten sich heute viel ernster genommen. Doch einzelne Fälle, etwa die jüngst bekannt gewordene Affäre um rechtsextreme Polizisten in der Uckermark und die Kontakte von Beamten in Brandenburg/Havel zu einem rechtspopulistischen Internetblog nach einem möglichen Brandanschlag auf eine Flüchtlingsfamilie, bewiesen, dass noch Verbesserungsbedarf bestehe.
Brandenburg als Vorreiter
Mit der Beauftragung eines unabhängigen wissenschaftlichen Zentrums zur Neubewertung der Todesfälle rechter Gewalt nehme Brandenburg nicht nur eine Vorreiterrolle ein, sondern eine Vorbildfunktion für andere Bundesländer. Ein ähnliches Projekt am Berlin Zentrum für Antisemitismusforschung sei in Planung.
In Brandenburgs müssen seit 2014 alle Straftaten schon beim Erfassen auf einen rechtsextremen Hintergrund geprüft werden, im Zweifelsfall müssen die Ermittler ganz genau prüfen. Streifenpolizisten wurden mit Taschenkarten ausgestattet, anhand derer sie am Tatort mögliche politische Hintergründe schneller erkennen können. Beamte bekommen dazu auch Schulungen. Per Erlass gilt ein Diskriminierungsverbot für Polizeibeamte: Sie dürfen sich nicht abwertend gegenüber Minderheiten und anderen Kulturen äußern. Opfer rechter Gewalt werden auf Beratungsstellen hingewiesen, die Zusammenarbeit mit dem Verein Opferperspektive wurde verstärkt. (mit Alexander Fröhlich)
Ney Sommerfeld
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