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Brandenburg: Die Ostdeutsche vom Fach
Die Grünen-Politikerin Elisabeth Schroedter war 20 Jahre lang EU-Abgeordnete für Brandenburg
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Potsdam - Ihren letzten Antrag ins EU-Parlament hat Elisabeth Schroedter einsam eingebracht. Es ist Anfang Februar, Plenarwoche in Strasbourg und nach 22 Uhr. Hinter den Fensterscheiben über dem Saal sind alle Plätze für die Simultandolmetscher voll besetzt. Von den mehr als 700 Abgeordneten sind zu dieser Stunde aber kaum mehr als eine Handvoll anwesend. Seit 1994 ist die 55-Jährige Grünen-Politikerin Schroedter Abgeordnete des Europäischen Parlaments. Ihren Antrag zu später Stunde liest sie ab – über die Verbesserung der intelligenten Stromnetze, die Vorteile für Regionen und die Herausforderungen an den Datenschutz. Er wird von den Wenigen mehrheitlich angenommen. „Wir stehen vor dem Wahlkampf, da werden regionale Themen wichtig“, sagt Schroedter.
Doch diesen Wahlkampf hat Schroedter verloren, bevor er richtig begonnen hat. Bei der Urabstimmung über die EU-Kandidaten auf dem Grünen-Parteitag, ausgerechnet in Schroedters Geburtsstadt Dresden, ging sie leer aus. In der nächsten Legislaturperiode wird sie nicht mehr zwischen Brandenburg, Brüssel und Strasbourg pendeln und sich auch nicht mehr in komplizierte Dossiers einarbeiten. 20 Jahre ist sie die Fachfrau für Soziales und Arbeit innerhalb der Grünen gewesen, die Ostdeutsche, die mit emsigem Eifer und in mühevollem Klein-Klein unauffällig Politik machte.
Die EU-Strukturfonds waren eines ihrer Themen. Sieben Jahre lang dauert die Arbeit an einem solchen Regelwerk. „Ich finde technische Dossiers spannend“, sagt Schroedter. Strukturpolitik ist eines der ödesten Themen innerhalb der EU überhaupt. „Aber es geht um verdammt viel Geld“, verbessert Schroedter. In der jetzigen Periode bis 2020 fließen allein nach Brandenburg 845,6 Millionen Euro über den Fonds für regionale Entwicklung (EFRE).
Wenn sie durch Brandenburg reise, könne sie die Früchte ihrer Arbeit sehen, sagt die kleine Frau mit den weißen Haaren: „Das ist doch praktisch“, sagt sie und tippt energisch mit dem Finger auf den Tisch. „Dann weiß ich, dieses Geld hat der Kollege nur bekommen, weil ich dafür gekämpft habe.“ In den letzten Jahren sind in Brandenburg Millionen an EU-Geldern in die Sanierung der Straßen geflossen. Dort, wo Bäume gefällt wurden, um Straßen zu verbreitern, hängt meistens auch das blaue Schild mit den vielen gelben Sternen. Das ärgert Schroedter dann doch: „Ich finde es peinlich, wenn da ein EU-Schild steht und die ganze Allee ist abgehackt.“ Viel ändern kann sie dann aber nicht mehr. Immerhin hat statt Straßenbau nun Klimaschutz höhere Priorität im Regionalfonds.
Nur einmal konnte Schroedter jemandem im Nachhinein noch in die Grenzen verweisen: Als der Hotelier Axel Hilpert ohne Baugenehmigung Häuser für sein Ressort Schwielowsee baute, ließen viele ihn gewähren. Einzig Schroedter machte von Brüssel aus Druck, schließlich hatte Hilpert für den Bau auch EU-Gelder bekommen. Die Häuser stünden in dem unter Naturschutz stehenden Uferbereich, so Schroedter. Sie drohte mit einer Beschwerde bei der EU-Betrugsbekämpfungsbehörde und hatte Erfolg: Hilpert ließ die Häuser umsetzen.
Bei der Pressekonferenz der Deutschen Grünen am Morgen nach ihrem nächtlichen Auftritt im Plenum stellt Schroedter noch einmal ihren Antrag für die sogenannten Smart Grids vor. Doch so richtig griffig findet das Thema keiner der anwesenden Journalisten. Rebecca Harms berichtet gleichzeitig darüber, wie die Lage in der Ukraine brennt. Dann kann auch Schroedter noch punkten: Die EU regelt in einer neuen Richtlinie die Rechte ausländischer Saisonarbeiter. Sie sollen Flächentariflohn bekommen und sogar Arbeitslosengeld. Noch vor dem Sommer trete die Regelung, für die die Grünen und vor allem sie sich starkgemacht hätten, in Kraft. Schroedter spricht schnell und atemlos. Am Ende geht ihr fast die Puste aus. Sie beherrscht den Politiksprech einwandfrei, doch er gelingt ihr auch nach 20 Jahren nicht so mühelos wie einer Rebecca Harms. Erst später, im Zwiegespräch, ist Schroedter wieder in ihrem Element: Sie freue sich schon, wie die Spargelbauern in Brandenburg über die EU ächzen werden, sagt sie und kichert, bevor sie wieder mit ihren Akten unterm Arm in die Plenarsaal eilt.
Elisabeth Schroedters Weg in die Politik ging über ihre Eltern, Oppositionelle in der DDR, die gegen die Abschaffung der Jungen Gemeinde kämpften. Sie sei mit diesem Gefühl groß geworden, dagegen zu sein, erzählt sie. Als sie Teenie war, kam die Charta 77, ihre politische Initialzündung. „Für mich hat sich da was im Kopf herumgedreht“, sagt sie. Plötzlich wird aus der Gegenkraft ein „Für etwas“. Von Dresden aus fährt sie öfter nach Prag, später in Polen lernt sie, wie am Runden Tisch Politik gemacht wird. Auch deswegen habe sie sich in den ersten zehn Jahren ihrer Zeit als Parlamentarierin für die EU-Erweiterung starkgemacht, sagt Schroedter.
Nur wenn man sie darauf anspricht, dass ihre Partei sie als Kandidatin nicht mehr will, wird sie einsilbig. Das Ergebnis sei überraschend für sie gekommen. Es war nicht einmal knapp. „Das war eindeutig“, sagt sie nur. Ska Keller ist nun die Vorzeige-Brandenburgerin der Grünen in der EU. Die 32-Jährige ist jung, wirkt cool und will hoch hinaus. Keller verkörpert die neue Generation der Grünen. Bei der Online-Wahl der Partei, der Green Primary, wurde Keller Spitzenkandidatin. Sie hat sogar die Alt-Aktivisten Rebecca Harms und den Franzosen José Bové auf die Plätze verwiesen.
Und was kommt für Elisabeth Schroedter nach der EU? Darüber will sie noch nichts verlautbaren lassen – vielleicht werde sie Brücken bauen zwischen der EU und einer Kommune oder vor Schülern über die EU vortragen. Der Abschied aus dem Parlament ist für sie nicht nur bitter. Immerhin haben nun die vielen Reisen nach Brüssel und Strasbourg ein Ende: „Das war hart und hat viel Zeit gekostet. Es ist nicht schlecht, das nicht mehr weiter mitmachen zu müssen“, sagt sie. Mit dem Fahrrad werde sie nun weiter durch Europa unterwegs sein - so wie sie sich lange auf ihrer Webseite als EU-Abgeordnete präsentierte.
Grit Weirauch
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