
© Nestor Bachmann/dpa
Von Peter Tiede: Die Schnurrbart-Nummer
Wie sich das Land Brandenburg von einem windigen Rechtsanwalt mit einem fast undurchschaubaren Firmengeflecht betrügen ließ. Die Geschichte eines Komplettversagens des Finanzministeriums und von der Frage nach Verantwortung
Stand:
In der Geschichte des Millionen-Deals mit dem Kasernen-Gelände in Potsdam-Krampnitz ist nichts so, wie es scheint. Und vor allem: Es ist nach PNN-Recherchen wohl nichts so, wie es hätte sein sollen. Die Geschichte des Geschäfts aus dem Jahr 2007, das über die politische Zukunft von Brandenburgs jetzigem Innen- und damaligen Finanzminister Rainer Speer (SPD) entscheiden könnte, ist die von einem offensichtlichen Totalversagen eines Ministeriums, in dem offenbar keine Konsequenzen aus früheren Affären gezogen wurden. Brandenburg und insbesondere das Finanzministerium des Landes, das legen die PNN-Recherchen nahe, hat sich – ob wissentlich oder nicht – mit einem Bauerntrick linken lassen: Es hat, im übertragenen Sinne, gereicht, sich einen Faschings-Schnurrbart notdürftigst anzukleben und zu behaupten, man sei jemand anderes. So kam ein undurchsichtiges, offensichtlich von Beginn an auf Täuschung oder gar Betrug angelegtes Firmengeflecht in Hochzeiten des Immobilienbooms im Jahr 2007 an künftige Filetgrundstücke, die für die Entwicklung der Stadt Potsdam in einigen Jahren existenziell werden könnten. Selbst die einfachsten Sicherungsmechanismen griffen nicht.
Denn hätte auch nur ein verantwortlicher Beamter, nur ein verantwortlicher Politiker des Landes oder ein Mitarbeiter der beteiligten, einst landeseigenen Brandenburgischen Bodengesellschaft (BBG) einmal geguckt, ob es die Firmen, mit denen man über Millionenwerte verhandelte, auch tatsächlich so gibt – es hätte den Skandal nie gegeben.
Es begann im Frühjahr 2007. Ein dänischer Investor, der angesehene Immobilienentwickler Lars Thylander aus Dänemark meldet Interesse an den Krampnitzer Kasernen an. In dieser Zeit muss es auch ein persönliches Gespräch des Firmenchefs mit Speer gegeben haben, von dem der Minister jetzt berichtete. Wenig später, im Mai – bei Thylander sinkt das Interesse schon rapide – werden in Deutschland plötzlich, zumindest auf dem Papier Gesellschaften aktiv, deren Namensgebung auffällig an die der dänischen Thylander Group erinnern: Sie beginnen alle mit TG.
Und so meldet am 31. Mai 2007 eine TG Potsdam Projektentwicklungsgesellschaft mbH beim Land Brandenburg förmlich Interesse an einer Übernahme des 112 Hektar großen Areals in Krampnitz an und gab an, ein Thylander-Unternehmen zu sein. Als Referenzen wurden nur Thylander-Projekte aufgeführt.
Kein Argwohn kam auf. Niemand prüft es nach.
Dabei wäre ein kurzer Blick ins Handelsregister, ja die einfachste Anfrage via Internet bei Creditreform oder anderen Auskunfteien ausreichend aufschlussreich gewesen, denn:
Diese TG Potsdam Projektentwicklungsgesellschaft, mit der die Landesbeamten in Verhandlungen traten, existierte zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch nicht.
Unter diesem Namen gibt es die Firma erst seit dem 19. 09. 2007.
Existent war allenfalls eine Art Vorgängergesellschaft: Eine „Drachenfelssee 569. V V GmbH“ mit Sitz in Bonn, auf die noch zurückzukommen ist.
Diese Drachenfelssee-Firma war selbst erst erst wenige Tage vor Angebotsabgabe im Mai 2007 gegründet worden.
Erst im Herbst 2007 – erst nach dem Verkauf der Kasernen – wurde aus der Drachenfelssee-Gesellschaft eben jene TG Potsdam Projektentwicklungsgesellschaft, mit der seit Ende Mai/Anfang Juni verhandelt wurde.
Dass dieses TG Potsdam Projektentwicklungsgesellschaft auch nie, wie im Angebotsschreiben vom Mai 2007 behauptet, in Potsdam ihren Sitz hatte, ist schon nebensächlich.
Die Gesellschaft hatte überhaupt jemals nur eine Mitarbeiterin – die Geschäftsführerin. Eine Anwaltssekretärin.
Verfolgt man die Spur weiter findet sich statt eines dänischen Eigners wiederum über eine andere Firma, eine „ATG Projektentwicklungsgesellschaft“ mit Sitz in Riesa, dann der Hannoveraner Rechtsanwalt Ingolf Böx als einziger Gesellschafter in den Handelsregisterauszügen jener Zeit.
Und so nahm das Unheil seinen Lauf. In der Folge fiel das Land dann auch auf andere Firmen herein, die es noch nicht gab, oder deren Muttergesellschaften es gar nicht mehr gibt bzw. deren Hüllen einfach leer zu sein scheinen. Und immer steht dahinter im Wesentlichen wieder dieser eine Mann: Anwalt Böx aus Hannover, der mit dem brandenburgischen SPD-Bundestagsabgeordneten Peter Danckert eine Großkanzlei betreibt. Und Danckerts Sozius Böx kaufte und verschob GmbHs quer durch die Republik, benannte sie um, löste sie auf und gründete neu.
Über sein undurchsichtiges Firmengeflecht kaufte Böx über eine ebenfalls von ihm gegründete „TG Potsdam Projektentwicklungsgesellschaft mbH“ (Sitz in Hannover) im Juli 2007 das Kasernen-Areal in Potsdam-Krampnitz. Aber auch diese Firma, die zweite „TG“ in dem Spiel, kaufte nicht direkt: Böx bediente sich dafür vier Gesellschaften nach britischem Recht, sogenannten Limiteds.
Vier Limiteds, für vier Teilflächen. Das ist besonders praktisch, wenn
man die Firmen mit samt den Flächen unauffällig und ohne Grundbuchänderungen weiterverkaufen will,
wenn man bei Weiterverkäufen der Flächen nicht den ganzen Gewinn behalten sondern an das Land abführen müsste, wie bei Krampnitz der Fall
wenn man man überhaupt nur Flächen verkaufen darf, wenn das Land bzw. die von ihr beauftragte Brandenburgische Boden Gesellschaft (BBG) zustimmt. Beim Gesellschaftsverkauf greift diese Klausel nach PNN-Informationen nicht.
Aufgefallen scheint dies auch niemandem in Speers Ministerium oder bei der BBG. Jedenfalls fanden die PNN keine Akten zu etwaigen Überprüfungen.
Zudem wurde die angebliche Mutter der Limiteds, die TG Potsdam Projektentwicklungsgesellschaft, erst am 19. September 2007 gegründet.
Die erste interne Genehmigungsvorlage des Finanzministeriums für den Haushaltsausschuss des Landtages für den Kasernen-Deal datiert aber schon vom 15. August 2007. In diesem Ministeriumsschreiben aber ist eben diese Firma bereits als Muttergesellschaft der britischen Käufergesellschaften eingetragen. Und auch diese, erst gegründete TG firmiert in den Ministeriumsakten als Tochter der dänischen Thylander-Gruppe. Die hatte da schon seit lange entschieden, dass Krampnitz nicht in ihr Portfolio passt.
Und die Behörden wurden immer noch nicht misstrauisch. Jedenfalls findet sich nichts über eine Käufer- oder Liquiditätsprüfung in den Akten.
So fiel dem Finanzministerium auch auch nicht auf, dass
auch diese TG nur über einen Mitarbeiter – die gleiche Anwaltssekretärin wie bei der ersten – hatte,
damit für den Millionendeal eine GmbH geradestehen sollte, die nur das Mindestmaß an Grundkapital hatte: 25 000 Euro,
nicht einmal lückenlos nachgewiesen scheint, dass der TG die Limiteds in England auch wirklich gehören
die Muttergesellschaft, also die Eigentümerin, der TG Projektentwicklung, zum Kaufzeitpunkt schon in Liquidation war.
So kommt es, dass Speer noch am 22. Oktober 2007 an die Vorsitzende des Finanzausschusses des Landtages, die heutige Rechnungshof-Direktorin Kerstin Osten, den Brief zum Krampnitz-Verkauf schreibt, mit dem Antrag auf Genehmigung. Ein Brief, der ihn heute in Bedrängnis bringt, weil es darin heißt: „Die Käufer sind Tochtergesellschaften der TG Potsdam Projektentwicklungsgesellschaft mbH, einem Unternehmen der dänischen THYLANDER-GROUP“. Der Landtag, soviel steht nun fest, wurde von Speer falsch informiert.
Stattdessen Böx, immer nur Böx. Einem Firmen-Jongleur, der es bei anderen Firmen seines Geflechts augenscheinlich sogar schaffte, eine Firma in zwei Firmen umzubenennen: Ohne Neugründung einer GmbH schuf er Klone: aus einer Drachenfelssee 569. V V GmbH züchtete er sowohl eine der beteiligten TG-Gesellschaften als auch deren Muttergesellschaft. Dabei war – zumindest bei einer Online-Abfrage – im Handelsregister Bonn selbst von Drachenfelssee nichts zu finden.
Wie das alles und offensichtlich noch viel mehr möglich war, wird die Staatsanwaltschaft Potsdam, die Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität im Land, zu klären haben. Böx selbst trägt zur Aufhellung öffentlich nichts bei: Er ist seit mehr als einer Woche einfach nicht zu sprechen.
Böx scheint in dem Millionenspiel die Hauptfigur. Er ist der Mann, der mit dem schief angeklebten Faschingsbart in Potsdam als solventer Däne durchging.
Die Fragen die bleiben? Woher kannte der Mann aus Hannover die Potsdamer Verhältnisse so gut? Und wer steht am Ende für diese Komplettblamage gerade? (mit thm)
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