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Wirtschaftlich blass, aber lebenswert. Vor allem die Lebensqualität hat sich in Brandenburg/Havel nach Einschätzung der Experten des Instituts der deutschen Wirtschaft seit 2007 deutlich verbessert. Im Niveau-Vergleich aber landet die Stadt auf den hinteren Plätzen.

© dpa

Brandenburg: Die Stunde der grauen Mäuse

Frankfurt (Oder) und Brandenburg/Havel schneiden bei einer Wirtschaftsstudie überraschend gut ab

Von Matthias Matern

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Potsdam/Köln - Da haben selbst die Experten nicht schlecht gestaunt: Brandenburg an der Havel landet im aktuellen Regionalranking des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) beim Vergleich der wirtschaftlichen Entwicklung bundesweit auf dem fünften Platz. Anders gesagt: Die Namensgeberin der Mark Brandenburg ist die fünftdynamischte Kommune Deutschlands. Und dem nicht genug. Frankfurt an der Oder, zuletzt durch den Zusammenbruch der deutschen Solarindustrie arg gebeutelt, belegt den 19. Platz, noch vor Leipzig, München und Köln. Zusammen mit Potsdam sind Brandenburg an der Havel und Frankfurt an der Oder sogar die drei besten ostdeutschen Kommunen – wohlgemerkt nur im Vergleich der Dynamik. „Im Niveauvergleich sind die Unterschiede zu manchen westdeutschen Regionen vor allem noch bei den Einkommen und der dahinter stehenden Produktivität der Wirtschaft sehr groß. In puncto Lebensqualität reichen die ostdeutschen Kommunen oftmals schon an die deutschen Topstandorte heran“, sagt IW-Experte Michael Bahrke.

Gegenübergestellt hat das IW die sogenannte sozio-ökonomische Lage aller 402 Kreise und kreisfreien Städte Deutschlands und deren Entwicklung seit 2007. Bewertet wurden dafür Indikatoren aus den Bereichen Wirtschaftsstruktur, Arbeitsmarkt und Lebensqualität. Am vergangenen Mittwoch wurde die Studie in Köln veröffentlicht. Wie schon bei einem ähnlichen Vergleich des IW aus dem vergangenen Dezember haben wieder die großen Autobauerstädte besonders gut abgeschnitten. VW-Stadt Wolfsburg etwa belegt im aktuellen Dynamik-Ranking den ersten, und Ingolstadt, Hauptsitz von Audi, den zweiten Platz. Insgesamt aber liegen fast 90 der 100 besten deutschen Regionen in Bayern und Baden Württemberg. Dagegen liegen von den schwächsten 40 Regionen rund die Hälfte im Osten. Sieger des Niveau-Vergleichs ist die BMW-Stadt München. „Der Aufholeffekt in Ostdeutschland ist eingeschlafen, mit einer Ausnahme – das Land Brandenburg und dort vor allem das Berliner Umland“, sagt Bahrke.

Dass es dagegen eine wirtschaftlich eher blasse Stadt wie Brandenburg an der Havel im Dynamik-Vergleich unter die besten fünf in Deutschland geschafft hat, bezeichnet der Kölner Wirtschaftsexperte als „kleine Überraschung“. „Über den gesamten Untersuchungszeitraum hat sich vor allem die Arbeitsmarktsituation deutlich verbessert und die Lebensqualität ist gestiegen.“ Ausschlaggebend für die Lebensqualität seien zum Beispiel die Zahl der Straftaten, die Ärztedichte und die Arbeitsplatzwanderung, also das Saldo aus Aus- und Einpendlern, erläutert Michael Bahrke. „Bei allen drei Faktoren hat Brandenburg an der Havel überdurchschnittlich gut abgeschnitten.“ Gleiches gelte im Prinzip auch für Frankfurt (Oder). „Frankfurt ist einer der wenigen Standorte, wo der Gewerbesteuerhebesatz gesenkt wurde. Dazu hat sich die Steuerkraft aus Gewerbe-, Einkommen- und Grundsteuer vergleichsweise stark entwickelt“, so Bahrke. Außerdem sei in Frankfurt ein starker Rückgang bei der Kriminalität und privaten Schuldnern zu verzeichnen.

Absurderweise kommt Frankfurt damit offenbar gerade der wirtschaftliche Absturz zugute. Denn nach dem Rückzug des US-Solarmodulebauers First Solar vor mehr als einem Jahr machte die rot-rote Landesregierung Brandenburgs die Senkung des Gewerbesteuerhebesatzes quasi zur Auflage für die Auszahlung von 22 Millionen Euro aus dem Ausgleichsfonds des Landes für in Not geratene Kommunen.

In Brandenburg an der Havel dagegen musste man sich bislang immer den Vorwurf machen lassen, zu wenig Impulse für das wirtschaftliche Wachstum zu setzen, sich viel zu sehr auf die kommunalen Eigenbetriebe zu stützen.

Beim Blick auf das Niveau-Ranking zeigt sich allerdings auch, wie groß die Kluft nach wie vor ist: Frankfurt an der Oder landet auf Platz 325 und Brandenburg an der Havel sogar nur auf Platz 360. Beste Kommune Brandenburgs ist Potsdam und die beste ostdeutsche Region ist die Stadt Jena. Matthias Matern

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