Vieh-Diebstahl in Brandenburg: Die verlorenen Rinder
Immer mehr Tiere werden in Brandenburg von professionellen Viehdieben gestohlen. Für viele Betroffene ist das existenzgefährdend.
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Im „wilden Westen“ waren sie weit verbreitet: Viehdiebstähle, bei denen den Rindern die eigenen Brandzeichen aufgedrückt wurden, spielten in zahlreichen Western-Streifen eine wichtige Rolle.
Volker Naschke aus Schenkendöbern im Landkreis Spree-Neiße kann sich bei solchen Szenen längst nicht mehr entspannt zurücklehnen: Drei Mal wurden dem Landwirt in den vergangenen drei Jahren Rinder gestohlen: sieben Kälber 2015, 13 Kälber im Jahr zuvor, sieben im Jahr danach. „Das waren hochwertige Zuchttiere, die Versicherung zahlt nur einen Teil des tatsächlichen Verlusts“, sagt er: „Hinzu kommen Kosten für Schutzmaßnahmen im fünfstelligen Bereich. Und die Angst, dass die Diebe zurückkehren. Wir sind ein Familienbetrieb, das kann uns die Existenz kosten.“
Volker Naschke ist kein Einzelfall in Brandenburg, wo die Zahl der Viehdiebstähle seit Jahren zunimmt. Inzwischen sind immer mehr Bauern davon betroffen, teilweise verschwinden ganze Herden von den Weiden oder aus den Ställen. Allein in den ersten zwei Monaten dieses Jahres wurden unter anderem 37 Kühe in Lieskau im Elbe-Elster-Kreis, 32 Kühe von einer Koppel bei Luckau im Landkreis Dahme-Spreewald, vier Zuchtbullen in Neuzelle (Oder-Spree) und 30 Rinder in Jänschwalde (Spree-Neiße) gestohlen. Im sächsischen Spreetal an der Landesgrenze zu Brandenburg drangen Unbekannte in ein Stallgebäude ein und nahmen 21 Kälber und 23 Jungrinder mit. Zudem stahlen die Täter Weidezäune und Folien. Der Eigentümer bezifferte den Schaden auf rund 35 000 Euro.
Bei solchen Summen – ein hochwertiges Zuchttier kostet etwa tausend Euro – schnellen die Versicherungspolicen rasch nach oben oder man versichert die Rinder der Betroffenen gar nicht mehr. Und die Polizei ist überfordert. „Die Kollegen geben sich ja Mühe“, sagt Volker Naschke, „aber es gibt hier nur einen Streifenwagen, den können sie nicht die ganze Nacht vor meinem Stall stehen lassen.“
Dem Landwirt ist die Resignation anzumerken. Im vergangenen Jahr sind alle Familienmitglieder von Januar bis April abwechselnd jede Nacht zum Stall gefahren. „Dann waren wir alle völlig fertig und haben es aufgegeben“, sagt Naschke. Kurz darauf schlugen die Viehdiebe zum dritten Mal zu.
„Für die Betroffenen ist das ein sehr großes Problem“, sagt Reinhard Jung, der Geschäftsführer des Bauernbundes Brandenburg: „Die starke Zunahme von Viehdiebstählen ist ein zusätzliches Argument gegen die Ausdünnung der Polizei im ländlichen Raum. Und vielleicht auch für verstärkte Grenzkontrollen, denn eigentlich kann man sich nicht vorstellen, dass diese Rinder in Deutschland verkauft oder geschlachtet werden.“
Das liege daran, dass alle Rinder in Deutschland und in der EU durch das sogenannte Herkunftssicherungs- und Informationssystem für Tiere zentral erfasst sind, erklärt Jung, der selbst Rinder hält: „Jedes Kalb bekommt spätestens sieben Tage nach der Geburt eine Ohrmarke und ohne diese Marke nimmt hier in Deutschland niemand, nicht einmal ein Schlachthof, ein Tier ab.“
Doch Ohrmarken kann man offenbar genauso ändern wie einst die Brandzeichen im Wilden Westen. Jedenfalls wurden an Orten, wo Rinder gestohlen wurden, schon abgerissene und auch falsche Ohrmarken gefunden. Eine hatte beispielsweise das Länderkennzeichen von Litauen, was die Ermittler als Hinweis werten, dass die gestohlenen Tiere nach Osteuropa gebracht werden.
Ein Traktorist der Agrargenossenschaft Krahne ist sich da sogar ziemlich sicher. Der Mann hatte im Mai vergangenen Jahres Viehdiebe verfolgt, die 40 Mastrinder im Wert von rund 40 000 Euro aus einer Stallanlage in der Nähe seines Hauses gestohlen hatten. Seine Frau erwachte, als der Viehtransporter mit den laut brüllenden Jungtieren vorbeifuhr, und wusste sofort, dass nachts um 3 Uhr kein legaler Transport anstand.
Sie weckte ihren Mann, der fuhr mit dem Auto hinterher und holte die Diebe kurz vor der Autobahnanschlussstelle Brandenburg/Havel ein. Der Lkw fuhr nach Osten, der Traktorist gab das polnische Kennzeichen des Sattelaufliegers an die Polizei durch und folgte den Dieben weiter von der A2 zur A10, wo sich Autobahnpolizisten in Michendorf auf einen Zugriff vorbereiteten. Doch der Fahrer steuerte die wertvolle Fracht auf den Parkplatz der Raststätte und machte sich mit seinen offenbar im Pkw vorausfahrenden Komplizen aus dem Staub.
Die Rinder waren gerettet, die Diebe wurden bis heute nicht überführt, wie ohnehin bisher offenbar keiner der zahlreichen Viehdiebstähle aufgeklärt wurde. Die Polizei vermutet, dass mit den gestohlenen Tieren neue Herden aufgebaut werden sollen. Beim Landeskriminalamt (LKA) kümmert sich nun sogar eine Soko um die Viehdiebstähle. Die Ermittler haben eine Tätergruppe im Raum Stettin im Visier, sagt Polizeipräsident Hans-Jürgen Mörke. Es gibt auch Hinweise, wo das Vieh landet: In der Ukraine sind einige Rinder aus der Mark auf Märkten angeboten worden.
Auch die Landesregierung in Potsdam macht Druck. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sagte am Freitag bei einem Treffen mit dem Kreisbauernverband Spree-Neiße in Heinersbrück, dass Polizei und Staatsanwälte mit allen zur Verfügung stehenden Mittel die Diebe verfolgen sollen. Denn die Statistik ist eindeutig: Die Zahl der Taten blieb mit zuletzt 14 Fällen im Jahr 2016 konstant – doch die Zahl der gestohlenen Rinder stieg mit den Jahren enorm. 2014 waren es 88, im Jahr 2016 dann 180. Und allein in diesem Jahr wurden bei fünf Taten 310 Rinder gestohlen.
Brandenburgs Polizei will nun noch enger mit ihren polnischen Kollegen zusammenarbeiten. Die haben im Januar zumindest einen Erfolg verkünden und eine Bande zerschlagen können, die Rinder von Höfen in der nordwestpolnischen Woiwodschaft Westpommern gestohlen haben soll. Fünf Verdächtige kamen in Untersuchungshaft.
Glück gehabt, meint Bauernbund-Geschäftsführer Reinhard Jung, augenzwinkernd: „Wo Viehdiebe im Wilden Westen landeten, weiß man ja.“ (mit Alexander Fröhlich)
Sandra Daßler
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