Brandenburg: Drogenprävention mit Regieanweisung
Mit Mitteln aus dem „Blitzerfonds“ dreht das brandenburgische Landeskriminalamt in Angermünde erstmals einen Aufklärungsfilm für Jugendliche
Stand:
Angermünde - Hugo hat ein Problem, und dieses hat, wie so oft bei Jungs in seinem Alter, mit einem Mädchen zu tun. Der Teenager ist verliebt in Janine und alles könnte so schön sein, wenn er sich nicht immer wieder von Freunden zum Feiern und Trinken überreden lassen würde. Daran findet die Auserwählte keinen Gefallen, und eigentlich würde sich Hugo dieser Einstellung gerne anschließen, doch er kann vom Bier einfach nicht lassen: Zu gut fühlt es sich an, wenn der Alkohol in den Kopf steigt. Er lässt die alltäglichen Probleme vergessen. Er lässt das Selbstbewusstsein steigen. Er macht den Kopf frei, wenigstens für ein paar Stunden. Aber das wichtigste: Er lässt Hugo so erwachsen, so cool wirken.
Hugo heißt im wirklichen Leben Arne Grothkopp, ist einer der 15 Darsteller des ersten Drogenpräventionsfilms des brandenburgischen Landeskriminalamtes und kann sich mit den Erfahrungen seiner Rolle durchaus identifizieren. Die Figur des von ihm verkörperten Hugo muss man sich als einen ganz normalen, als durchschnittlichen Jugendlichen aus der ostdeutschen Provinz vorstellen. Als einen, der die Tristesse des Alltags gelegentlich mit verschiedenen bewusstseinserweiternden Mitteln zu verdrängen versucht. Im Grunde steht Hugo stellvertretend für die meisten Jugendlichen aus der ostdeutschen Provinz.
Gedreht wird der Film zurzeit im Auftrag des brandenburgischen Innenministeriums unter der Regie von Esther Gronenborn im uckermärkischen Angermünde. Neben den 15 Darstellern gehören zum Team die 15-köpfige Filmcrew und etwa 300 Statisten. Das Budget für die Produktion kommt aus dem so genannten Blitzerfonds, den Mehreinnahmen der Radargeschwindigkeitskontrollen des vergangenen Jahres.
Dass das Innenministerium gerade jetzt Mittel für ein neues Drogenpräventionsprojekt bereit stellt, hat einen Grund: Erst in der vergangenen Woche gab Innenminister Jörg Schönbohm bekannt, dass 2005 in Brandenburg die Rauschgiftkriminalität um 4,8 Prozent gestiegen ist. Damit erhöhte sich die Zahl der Straftaten in diesem Bereich im Vergleich zum Vorjahr von 6656 auf 6977. Die Drogenkriminalität in Brandenburg nähert sich so allmählich dem bundesdeutschen Niveau. Landesweit lag 2005 der Anteil der erfassten illegalen Drogenstraftaten bei 3,1 Prozent – 0,3 Prozentpunkte höher als im Jahr davor. Rund 55 Prozent aller ermittelten Tatverdächtigen waren Kinder, Jugendliche und Heranwachsende.
Der Film von Esther Gronenborn zeigt einige Tage im Leben einer Clique, die Erfahrungen mit verschiedenen Drogen macht. Er verbindet einen Handlungsstrang mit dokumentarischen Elementen und ist der erste von insgesamt vier geplanten, jeweils etwa 45-minütigen Folgen. Diese sollen sich an Kinder und Jugendliche im Alter von acht bis 19 Jahren wenden und sich altersspezifisch mit dem Thema Sucht und der Verführbarkeit von Jugendlichen zu Drogen beschäftigen. Der erste Teil, zugeschnitten auf Schüler zwischen 13 und 16 Jahren, ist eine Art Testlauf. Ende März, wenn der Film fertig gestellt ist, wird er als DVD in einer Stückzahl von 3000 Kopien an brandenburgischen Schulen verteilt. Im Beisein von Polizeibeamten und Mitarbeitern eines Drogenpräventionsteams soll er vorgeführt und diskutiert werden. Wenn er bei den Schülern gut ankommt, wird mit der Produktion der restlichen drei Teile begonnen.
Nach den bisherigen, weniger zufriedenstellenden Erfahrungen mit Präventionsmaßnahmen wie Aufklärungsbroschüren oder so genannten Drogenkoffern habe sich das Landeskriminalamt nun bewusst für das Medium Film entschieden. „Damit können die Jugendlichen besser erreicht werden“, sagt Pressesprecher Toralf Reinhardt. Als Vorbild diente ein ähnliches Projekt aus Baden-Württemberg. „Wenn Jugendliche sich nicht angesprochen fühlen, kommt die Botschaft nicht rüber“, sagt Reinhardt. Deshalb sei die Wahl auch schnell auf Regisseurin Esther Gronenborn gefallen. „Sie kann sich gut in Jugendliche hineinversetzen“, sagt Reinhardt. Das bewies sie bereits mit ihrem Regie-Debüt „alaska.de“. Der Film, für den Gronenborn vor fünf Jahren mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet wurde, greift das Thema Gewalt unter Heranwachsenden auf.
Als Esther Gronenborn Ende vergangenen Jahres die Anfrage bekam, ob sie an dem Vorhaben mitwirken wolle, fand sie das „spontan eine super Sache, weil das Projekt nah an den Jugendlichen dran ist.“ Dennoch habe sie einen Moment gezögert, denn gemeinsam mit der Autorin Juli Zeh war sie gerade mit der Vorbereitung eines neuen Films über Soldaten im Kosovo beschäftigt. Aus dem hat sie sich nun „kurzfristig ausgeklinkt“, denn die Idee zu dem Präventionsfilm fand sie spannend, insbesondere des pädagogischen Aspektes wegen. „Ich erinnere mich noch an die schrecklichen Präventionsfilme aus meiner eigenen Schulzeit. Sowas hätte ich nie gedreht“, sagt die Regisseurin.
Für sie besteht die Herausforderung dieser Arbeit vor allem darin, „Jugendliche mit ihren Problemen ernst zu nehmen, sich aber auch nicht anzubiedern.“ Dass Heranwachsende leicht zu Drogen zu verführen sind, kann sie gut nachvollziehen. „Die Aufbruchstimmung der Jugend wird durch die derzeitige wirtschaftliche Lage gedämpft. Das vielleicht spannendste, was man da in dem Alter erleben kann, sind Drogen.“ Wichtig sei ihr, den Konsum von Drogen nicht reizvoll darzustellen, jugendliche Konsumenten nicht zu heroisieren wie etwa die Verfilmung des Buches „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“.
Hauptdarsteller Arne Grothkopp kann sich in die Rolle des Hugo gut hineinversetzen. „Jeder wollte doch schon einmal jemand anderes sein, in einem anderem Körper stecken. Alkohol kann dabei helfen“, sagt der 16-Jährige mit den dunkelblonden lockigen Haaren und dem kantig-smarten Gesicht. Eine Woche lang steht er nun in Angermünde im Einstein-Gymnasium und an der Gesamtschule E.H.M Welk vor der Kamera und mimt den alkoholaffinen Teenager. Es ist das erste Mal, dass der Schüler überhaupt vor einer Kamera steht. In Berlin wurde er auf der Straße von einer Mitarbeiterin der mit dem Dreh beauftragten Filmproduktionsfirma angesprochen und für die Rolle gecastet. Bei weiteren Castings in verschiedenen Jugendclubs in ganz Brandenburg sprachen im Januar etwa 300 Jugendliche und ein paar Dutzend Polizisten vor.
Dass die Laiendarsteller das Rollenspiel so gut hinbekommen und es ihnen nicht schwer fällt, sich in den Zustand des Alkohol- oder Drogenrauschs hineinzuversetzen, verdanken sie Esther Gronenborn. Trotz des eng gesteckten Produktionsplans von knapp zwei Monaten haben sich die Regisseurin und ihre Helfer vor Beginn der Dreharbeiten Zeit genommen und in verschiedenen Einrichtungen recherchiert, in denen drogenabhängige Jugendliche therapiert werden. Mit ihren Beobachtungen vor Ort und den Eindrücken aus Gesprächen mit Betroffenen bereiteten sie dann die Schüler und Polizisten mit entsprechendem Schauspieltraining auf den Dreh vor.
Ziel und Ergebnis der Produktion beurteilt Toralf Reinhardt realistisch. „Es wäre eine Illusion zu sagen, dass man mit so einem Film Jugendliche vom Drogenkonsum abhalten könnte – wir sind ja nicht weltfremd.“ Der Film solle jedoch deutlich machen, dass das Einwerfen von Ecstasy-Pillen oder Rauchen von Joints „jede Menge Gefahren birgt“. Ähnlich nüchtern sieht Darsteller Arne Grothkopp den möglichen Erfolg seiner Arbeit. „Ich hoffe, dass vor allem jüngere Zuschauer davon abgeschreckt werden, Drogen zu nehmen“, sagt er. Dennoch bleiben dem Teenager leise Zweifel: „Letztlich macht jeder seine eigenen Erfahrungen.“
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: