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Brandenburg: Ein Chanukka-Leuchter wurde gerettet

Erst Kirche, nun Synagoge: Fast 70 Jahre nach Ende des NS-Regimes bekommt Brandenburg wieder ein jüdisches Gotteshaus. Am Dienstag wurde sie feierlich eröffnet – mit Thora-Rolle und Klezmer

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In bunten Farben leuchten Darstellungen der zwölf Stämme Israels in den Fenstern, wenn im Innern der neuen Synagoge in Cottbus abends das Licht brennt. Der Thora-Schrein wurde aus einer Birke vom jüdischen Friedhof der Stadt, aus Dachbalken eines ehemals jüdischen Hauses und aus blauem und goldfarbenem Glas angefertigt. Die neue Synagoge in einer früheren evangelischen Kirche ist am gestrigen Holocaust-Gedenktag, dem Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, feierlich eingeweiht worden. Damit hat Brandenburg als letztes Bundesland in Deutschland erstmals seit der Shoa wieder eine Synagoge.

Hunderte kamen, um den festlichen Umzug der Thora-Schriftrolle von den naheliegenden Gemeinderäumen mitzuerleben. Die Jüdische Gemeinde zog mit der Thora-Rolle und Klezmer-Musik klatschend zunächst um die Synagoge. Bevor die Schriftrolle in das Gotteshaus kam, wurde vor der Synagoge ein Band zerschnitten und eine Mesusa – eine Kapsel mit einem Segensspruch – am rechten Türpfosten befestigt. Per Leinwand wurde die Eröffnungsfeier vor der Synagoge übertragen. Viele Cottbuser zeigten sich begeistert. Auch ein Überbleibsel aus der einstigen Cottbuser Synagoge kommt in das neue Gotteshaus, ein mehrarmiger Chanukka-Leuchter. „Der Leuchter wurde aus der niedergebrannten Synagoge gerettet“, sagt Gemeindemitglied Max Solomonik. Er war seit vielen Jahrzehnten im Stadtmuseum untergebracht.

Viel musste an der einst für französische Glaubensflüchtlinge errichteten Kirche von 1714 nicht verändert werden, damit sie nun dem jüdischen Glauben dienen kann. „Wir haben die Kreuze abgebaut, alles andere ist wie früher“, erzählt die Superintendentin des evangelischen Kirchenkreises Cottbus, Ulrike Menzel: „Die reformierten Hugenotten haben so genial gebaut, dass sie jetzt als Synagoge genutzt werden kann.“ Im Herbst wurde die Kirche entwidmet. Die Kanzel wurde abgebaut, die Glocken abgenommen.

Das Land Brandenburg hat den Kauf des Bauwerks mit knapp 600 000 Euro finanziert und will auch jährlich 50 000 Euro zu den Betriebskosten beisteuern. Die jüdische Gemeinde hat sich im Gegenzug verpflichtet, die Nutzung als Synagoge für mindestens 25 Jahre zu gewährleisten.

Jüdisches Leben ist in Cottbus seit dem 15. Jahrhundert dokumentiert. Die erste jüdische Betstube wurde 1811 in einem Hinterhaus eingerichtet, 1858 wurde offiziell eine jüdische Gemeinde gegründet. Die 1902 eingeweihte historische Synagoge wurde bei den NS-Novemberpogromen 1938 niedergebrannt, bei der Befreiung 1945 lebten nur noch zwölf Juden in der Stadt. Erst 1998 konnte eine neue jüdische Gemeinde gegründet werden, heute zählt sie rund 460 Mitglieder, mit deren Familienmitgliedern seien es fast 1000. Sie kommen aus der ehemaligen Sowjetunion. Bundesweit gibt es laut Zentralrat der Juden in Deutschland 99 Synagogen und rund 100 000 Gemeindemitglieder.

Das Gotteshaus sei ein „sichtbares Zeichen für das vielfältige, lebendige jüdische Leben, das sich wieder entwickelt hat“, sagt der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Mark Dainow. Mit der Umwidmung der Kirche sei die Synagoge zugleich ein Symbol für den Zusammenhalt der Religionen: „Das ist in diesen Zeiten besonders wichtig.“ Landesrabbiner Nachum Presman sagt: „Die Synagoge ist das Herz der Gemeinde.“ Den Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Markus Dröge, sprach von einem Glücksfall. „Mit keiner anderen Religion ist das Christentum so eng verbunden wie mit dem Judentum. Der Ort steht für eine hoffnungsvolle Zukunft.“

Nicht alle waren mit der Umwandlung der Kirche in eine Synagoge einverstanden. Der Leserbrief einer Frau in einem Anzeigenblättchen habe am Anfang gestanden, erzählt Ulrike Menzel: „Und dann ging es los.“ Die Abgabe der Kirche sei hinter verschlossenen Türen beschlossen worden, „die da oben“ hätten über die Köpfe der Menschen hinweg entschieden. Eine Frau beschrieb, wie schwer es für sie als Christin zunächst war, das zu akzeptieren. Mittlerweile sei sie zu dem Schluss gekommen: „Wir haben alle einen Gott, an den wir glauben.“

„Die Leute von Pegida habe ich hier schon vorher erlebt“, sagt die Superintendentin zu diesen Protesten lange vor Beginn der Dresdner Pegida-Demonstrationen. Die Öffentlichkeit sei über die bereits 2011 vom Gemeindekirchenrat beschlossenen Pläne informiert worden. Auch die Medien hätten darüber berichtet.

Die Schlosskirche habe zwar die „bewegendste Geschichte aller Kirchen in Cottbus“, sagt Ulrike Menzel. 1989 war sie ein Treffpunkt der DDR-Opposition. Doch sie wurde nicht mehr gebraucht. Als Veranstaltungsort sei sie nicht benötigt worden. Als Sehenswürdigkeit für Touristen habe das schlichte Bauwerk auch nicht getaugt, sagt die Pfarrerin: „Die Leute waren schnell drin, aber auch schnell wieder draußen.“

„Wir hoffen, dass die Synagoge von den Cottbusern angenommen wird“, sagt Gemeindemitglied Max Solomonik. Stets schwinge in der Gemeinde die Sorge vor möglichen Angriffen auf das jüdische Leben mit. „Die Geschichte kann man nicht vergessen“, sagt Solomonik. Aber die Verbindungen zur Stadt und Polizei seien gut: „Wir fühlen uns sicher.“

Was in Cottbus geglückt ist, ist in Potsdam noch nicht in Sicht. Im Sommer legte die Landesregierung die Planungen für einen Synagogen-Neubau vorerst auf Eis, weil sich die drei jüdischen Gemeinden nicht auf einen Architektenentwurf einigen können. Die Regierung will den Bau aber weiter ermöglichen. Der Streit ist inzwischen ein Fall für das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Anna Ringle-Brändli, Yvonne Jennerjahn

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