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Greenville-Blog: Ein Höllenritt

Heiß und kalt: Am Sonntag braute sich mehr als ein Gewitter über dem Greenville-Festival zusammen. Nur mit Tocotronics lauwarmem Irgendetwas und den blassrosa Hosen von Dirk von Lowtzow hatte das alles nichts zu tun.

Stand:

Belanglos, zu undefiniert, zu wenig spezialisiert: Die einen jammern über die musikalische Bandbreite des "Greenville" - vor allem diejenigen, die ihre Tickets irgendwo gewonnen haben. "Geld hätte ich dafür nicht ausgegeben", sagen sie. Den anderen gefällt genau das: Das wandern von einer Bühne zur nächsten, vom deutschen Pop zu skandinavischem Metal, von der kleinen Elektro-Bühne im Grünen zu den US-Rockern in der Halle. Eben wegen dieser Vielfalt (und den mit Lampions und Silberfolie verzierten Bäumen, die das Gelände ein bisschen zu einem verwunschenen Ort machen), vergleichen einige Besucher es sogar schon mit dem legendären Sziget-Festival in Budapest - nur eben in klein.

Weite Wege gibt es zwischen den drei Openair-Bühnen und der Halle tatsächlich nicht, überlaufen ist es auch nicht. Schlecht für die Veranstalter - gut für die Besucher.

Quergehört Sonntag

Gemma Ray

Da ist aber jemand in den Nancy-Sinatra-Pool gesprungen, und das mit Anlauf: Gemma Ray suggerierte völlige Entspannung, obwohl sie ganz schön retro war, als Sängerin mit viel zu großer Gitarre und balladesker Erinnerung an den 50er-Rock’n’Roll. Zur Bewegung konnten so viele Balladen jedoch niemanden animieren.

Heisskalt

Oh, wieder eine Rockband mit deutschen Texten: Heisskalt fehlte allerdings die zaghafte Zurückhaltung vieler anderer weichgespülter Artgenossen. Angenehm zu hören, und im Durchschnitt auch etwas lauter und härter. Kann man sich merken.

Sophie Hunger

Großartiger Jazz mit einnehmender Stimme, eine überragende Sängerin – wenn sie auf Deutsch sang. Zu Zeilen wie "Dreissig ist das neue zwanzig, der Mann ist die neue Frau, Freiheit ist das neue Gefängnis und reich ist das neue schlau" konnte man an diesem schwülen Nachmittag halb melancholisch halb zufrieden seinen Gedanken nachhängen. Die textintensive Gewaltigkeit ihrer Stimme führte allerdings nur dann zu Gänsehaut, wenn sie sich nicht im Plätschern erzwungener Internationalität verrannte. Mit dieser Stimme ist das Schielen auf Internationalität natürlich verzeihbar, leider aber verschossenes Pulver.

Torche

Auch wenn die Turnhalle auf dem Gelände als Loserbühne gilt, gab es doch die ein oder andere Überraschung. Eine war die amerikanische Band Torche, die mit fetten tiefgestimmten Gitarren aufwarteten und immer haarscharf am Stoner vorbeischrammten. Die Stimme war ein wenig zu poppig-kraftlos, aber das war mehr als verzeihbar, hätte Torche doch als Instrumentalband hervorragend funktioniert. Schöner breit-schwerer Wüstenrock, fast schon metallisch. Schade, dass der Gesang so langweilig war.

Kaiser Chiefs

Die Kaiser Chiefs haben das urälteste Rockstar-Problem der Welt: Der Erfolg ist ein paar Jahre her, die Band ist innovativ und gut – eigentlich. Doch der Sänger schwächelt wie ein Dorftrinker. Wirkte er zunächst einfach nur ein bisschen ausgepowert, was vielleicht auch daran gelegen hat, dass er sich außer in die obligatorischen Röhrenjeans auch noch in eine enge Jeansjacke zwängte, konnte man ihm dann beim Verfall förmlich zusehen: Die Stimme wurde schwächer, die Bewegungen grobmotorischer. Vielleicht hätte er weniger auf der Bühne hin- und her rennen und statt dessen seinen Job machen sollen. Nun ja, vielleicht ist der dem Britpop auf den Fuß gefolgte Britrock auch endlich mal am Ende. Sorgen machen muss man sich deshalb nicht, die Briten sind innovativ genug, bald etwas Neues zu liefern.

Scala

Ein Kinderchor? Auf der großen Bühne? Fast, eher ein Coverchor, der nicht einmal vor Manu Chao Halt machte. Was soll denn ein Festivalbesucher davon halten, Pop-Klassiker in einer A-capella-Version präsentiert zu bekommen? Na was wohl – abfeiern. Und endlich mal ruhig stehen bleiben und sich entspannen. Oder sich einfach weiter treiben lassen, über das Gelände, durch den frühen Abend.

Nick Cave

Er ist der Größte. Ein wenig verrückt, aber mit so tiefgreifender Schönheit ausgestattet, dass trotz Wärme die Gänsehaut entstand. Ein wenig kam Seiner Düsternis das Wetter auch entgegen: Bei den ersten Klängen von "We know who U R", diesem zart flirrenden Stück seines neuen Albums kamen auch die ersten kühlen Windstöße auf.  Wie ein Gewitter brach Cave dann bei "Tupelo", seinem Kracher von 1984 (dem Geburtsjahr der Bad Seeds) los und schob auch gleich noch "the Weeping Song" hinterher, damit hatte er seine Fans aus fast allen Epochen seines Schaffens schon in der Hand. Nie vergisst er, seinem alten Freund und Gitarristen Blixa Bargeld Tribut zu zollen, der 2003 die Band verließ - er fehlt den Bad Seeds noch immer. 

Was dann folgte war ein Höllenritt durch die wichtigsten Bad Seeds-Alben mit einem tobenden Cave an der Spitze. Das hieß in dem Fall: vorne am Publikum, dem er sich entgegenwarf, das er anschrie und bei den leiseren Stücken des neuen Albums anbetete - wer genau hinsah, bemerkte die Frau, die beim schmutzig-stampfenden "Stagge Lee" versuchte, seine Hose zu öffnen. Da ging Cave dann doch einen Schritt zurück - ohne die Hände aus der ersten Reihe loszulassen.

Zu "Red Right Hand" als Zugabe ließ er sich dann noch einmal bitten - dann war Schluss. Unwetter-Warnung, bitte alle das Gelände verlassen. Das Cave-Gewitter war vorüber.

Der Reinfall des Tages:

Tocotronic

Tat einem ja fast ein bisschen leid: Tocotronic. Wenn man so langsame Musik macht, altert man wohl automatisch auch langsamer, schlimmer noch: Man bewegt sich zu den Konzerten unfreiwillig in Zeitlupe. Sänger Dirk von Lowtzow ist mittlerweile nur noch ein Schatten seiner selbst – warum können Bands wie Tocotronic nicht einfach nur in Würde altern? Stattdessen singen sie von der langweiligsten Landschft der Welt - und dass es ihnen dort auch noch gefällt. Wären sie bloß dort geblieben! Als von Lowtzow doch tatsächlich fragt, wer „damals in der Columbiahalle“ beim Konzert war, gingen im Publikum zwei Dutzend Arme hoch: „Doch schon ne ganze Menge“, ringt er sich daraufhin ab.  Nein: „Keine Sau“ wäre die richtige Antwort gewesen. Die Anwesenden waren nämlich – im Gegensatz zur Band – noch jung und knackig. Die Band beherrschte ihre Instrumente zwar, und vielleicht kann man auch die ein oder andere Kraftlosigkeit des Sängers verzeihen – seine blaßrosa langen Unterhosen als Beinkleid jedoch nicht mehr. Tocotronics Erfolg war definitiv dem Zeitgeist der 90er geschuldet, heutzutage würde eine solche Band keinen Fuß mehr in die Tür kriegen. "Ich möchte irgendwas für dich sein", nölt von Lowtzow so saft und kraftlos ins Miko, dass man ihn anbrüllen möchte: Ja, aber was denn? Irgendwas ist irgendwie ganz schön beliebig. Was bleibt, ist Kopfschütteln.

Highlight des Tages:

Kvertelak

Wow, was für ein schwerer, skandinavischer Metal-Sound: Kvertelak spielen eine Mischung aus schwedischem Rock’n’Roll und finnischem Black Metal, kommen aber aus Norwegen. Ganz egal, wer die Anwesenden so aufmischt wie diese zutätowierten Rocker, der hat den Achtungsbonus definitiv verdient. Diese langzotteligen Draufgänger spucken bestimmt ins eigene Bier, Motörhead auf Speed mit einer Prise Black Metal. Endlich wurden die letzten Splitter langweiliger Popmusik aus der Halle (intern schon voreilig die Looser-Halle getauft) gefegt: Freunde von Turbonegro wären begeistert gewesen. Die Autoren sind es sogar immer noch.

Der Samstag

„Sonnencreme benutzen. Immer!“ knarzt es schon am frühen Mittag aus dem roten Dodge, der mit seiner Lautsprecheranlage über den Campingplatz cruised und alberne Anweisungen gibt. „Kein Gesitze auf den öffentlichen Wegen, kein Gesitze!!“ Wem auch immer der feuerrote Bus mit dem netten Gimmick gehört  (vielleicht einer ominösen Frau Schröder, für die per Lautsprecher ein Bier geordert wird?) – die haben Spaß und mit ihnen alle Frühaufsteher auf dem Platz.

Weniger amüsiert sind die Kleinkinder, denen ihre Eltern dicke bunte Kopfhörer aufgesetzt haben: Bei der Hitze sicher kein Spaß – schon gar nicht, wenn man deshalb auf Mamas Arm nicht mal der Musik lauschen kann und einem nur  bleibt, die vielen tanzenden Menschen um sich herum zu beobachten.

Quergehört Samstag

Tall Ships

Tall Ships, das war ziemlich sphärisch-einlullende Musik mit einem deutlich psychedelischen Einschlag. Auf dem Soundteppich des Trios ließ sich sehr entspannt mitfliegen. Das Trio hat wie so viele andere junge Band die Loopstation für sich entdeckt, die einzelne Gitarrenläufer und immer wieder durchfließen ließ – ein recht angenehmer Chill-out für den heißen Nachmittag.

Texas Is The Reason

Als wenn es nicht schon heiß genug gewesen wäre, bekam man von Texas Is The Reason noch eine Schippe heiße Glut obendrauf: schweißtreibender Rock, der stellenweise aber etwas zu sehr an die Smashing Pumpkins erinnerte, was sicherlich beabsichtigt war. Die breite Grunge-Einstellung der E-Gitarre, wie sie wohl irgendwann Anfang der Neunziger in einer Garage in Seattle erfunden wurde, stirbt wohl nie aus.

Gentleman

Gentleman machte den klassischen jamaikanischen Reggae popkompatibel: dem Zufall überließ er aber mit seiner Band nichts. Dabei sah Gentleman mit Sonnenbrille und Basecap eher aus wie eine Kopie von Paul Kalkbrenner – eine Doppelrolle etwa? Sommerfestivals ziehen Reggaebands aber auch an. Gentleman weiß das, und er darf sich sogar ein Bob-Marley-Cover erlauben: Das Publikum hätte aber auch ohne „No woman, no cry“ getanzt. Geht bei Reggae eh gar nicht anders.

Katzenjammer

Das norwegische Frauen-Quartett hat sich auf alle Fälle das Prädikat „seltsam“ verdient: eine abstruse, bisweilen polarisierende Mischung aus Schlager, Country und Folk mit lasziver Bühnenshow. Die seltsamen Leningrad Cowgirls kokettierten jedenfalls mit ihrer Inszenierung von Erotik. Ziemlich schräg.

Und ziemlich enttäuschend, denkt man an die energetische Skurrilität, die die Damen auf ihrem ersten Album versprühten. Ob an der Arbeit am dritten Album liegt? Der hochschwangeren Sängerin fehlte es zwar nicht an rauchiger Stimmgewalt und Charme, dem ganzen Katzenjammer aber etwas am zündenden Funken, ihrem Publikum den Blues beizubringen.

Jupiter Jones

Musikalisch nicht gerade die große Innovation im deutschsprachigen Rock, ging Jupiter Jones aber gut voran: Die kratzige Stimme des Sängers passte gut, die Songs waren eingängig und durchweg sympathisch. „Habt ihr Bock auf Rockmusik?“, rief der Sänger in die Menge, wohl wissend, dass er darauf frenetisches Kreischen ernten würde. „Dann habt ihr Pech gehabt!“, war die Antwort. Von wegen!

Oder doch: Über die Band konnte man geteilter Meinung sein: Für die einen echte Rockmusik, für die anderen beliebiges Rockrauschen ohne Höhen und Tiefen, das keinen Zugang zum Rock’n Roll-Heart fand.

Wu-Tang Clan

Was für ein Aufwand, was für eine Nervosität, was für ein Leben in einer Seifenblase: Die Security räumte rabiat den Backstagebereich, der Clan wurde wie Staatsbesuch eingefahren, umzingelt von Blitzlichtgewitter. Die Starallüren des Wu-Tang Clan waren unfreiwillig komisch, hinter vorgehaltener Hand hieß es, dass sie vorher bereits ein Hotelzimmer verwüstet hätten und sich deshalb so abschirmen lassen würden, weil sie gar nicht erst mit „Weißen“ reden würden. Sei’s drum, die Show entschädigte für den ganzen Kokolores: der Clan sprang über die Bühne mit aufgesetzter NYC-Coolness und ließ keinen Zweifel daran, dass hier die wahren Hip-Hop-Monster am Werk waren. Ein Hit folgte dem anderen, ein Zusammenschnitt aus 20 Jahren Geschichte des Wu-Tang Clan – und damit auch des Hip Hop an sich. Yo, yo, yo! Es gibt gar nicht genug Fragen auf der Welt, um so viel Kopfnicken zu produzieren wie auf einem Wu-Tang-Clan-Konzert. Nicht genug weiche Knie für all die Hüftschwünge.

Alex Clare

Eine Mischung aus Michael Bublé und Jamiroquai, wobei die Musiker Clare völlig ins Zentrum setzten – die Luft war zwar schon spürbar raus, was auch durch den letzten Versuch, einen gigantischen Rave aus dem Konzert zu machen, nicht wesentlich besser wurde. Alex Clare kann sich seine Stimme jedenfalls einrahmen, so etwas hat nicht jeder. So ging der Samstagabend tiefenentspannt zu Ende.

Die Enttäuschung des Tages

Letzte Instanz

Man muss schon ein bisschen auf diese Folk-Mittelalter-Romantik stehen, die aus dem Neunzigerjahre-Staub rund um In Extremo und Subway to Sally geblieben ist – dressed in black mit Violine und Cello gaben sich Letzte Instanz am Samstagnachmittag jedoch ein peinliches Stelldichein. Unter dieser Voraussetzung hätte es was werden können, mit uns und Letzte Instanz aus Dresden. Hätte. Spätestens als der Sänger mit der gelangweilten Intonation eines alternden Fernsehmoderators eine Choreografie zum Thema Ostsee dirigierte, um kurz darauf in dem fischleeren Aquarium der Greenville-Halle über Ozeane zu schwadronieren, war der Gipfel des Erträglichen erreicht. Rammstein light ohne einen Funken Ironie: Das völlig peinliche Rumgepose wurde auch dadurch nicht gerettet, dass der Geiger mittendrin „Final Countdown“ anstimmte. Mehr als schmerzhaft.

Die Schmerzgrenze überschritt Sänger Holly D., als er das spärlich erschienene Publikum zum Mitsingen  („Seid ihr bereit für ein Leben in Dunkelheit“) zu animieren versuchte:  „Männer – man muss nicht nur laut können, sondern auch lang!“  – wer in solch veralteten Rollenmustern denkt, lebt vermutlich gedanklich in tiefster Dunkelheit. 

Das Highlight des Tages

Bonaparte

„Do you wann party with the Bonaparte?“ Oh ja! Aber das, was Bonaparte als letzte Band am Samstag boten, war mehr als Party. Das war großes Theater, das war Kunst. Als Zuschauer war man ständig hin- und her gerissen zwischen ausrasten und ekstatisch mittanzen und mit aufgerissenen Augen die Bühnenshow zu beobachten. Das Kunstblut und die vielen springenden nackten Brüste auf der Bühne hatten daran noch den geringsten Anteil.

Das fing schon an mit der morbiden Braut – die sich als popkultureller Querverweis quer durch alle Epochen bis hin zu  Madonna und Tarantino lesen ließ - und die den optischen Auftakt zu diesem orgiastischen Gesamtkunstwerk gab. Netzstrumpfhosen, Pferdeköpfe, Lampenschirme, Brautschleier: Es gibt fast nichts, was die Tänzerinnen nicht zwischendurch zu ihren bunten Punk-Fetisch-Kostümen auf denen Köpfen trugen. Abgelenkt vom großartig direkten Elektropunk der Berliner Band hat das alles trotzdem nicht.

Von diesem Trip in eine andere, bessere, freiere Welt ließen Bonaparte ihr Publikum nach exakt 75 Minuten fast schon erschüttert vor Glück zurück.

Freitag

„Potsdam? Wo genau liegt das denn?“ Solche Fragen auf einem Brandenburger Festival lassen einen erstmal stutzen. Sind die schon so besoffen? Beim nächsten Satz aber wird klar: Die Fragesteller kommen aus Kiel oder Kulmbach – jedenfalls von weiter her. Das Greenville ist, zumindest was die Besucher angeht, kein regionales Festival mehr. Die Band-Breite ist riesig, wer musikalischer Scheuklappenträger ist, hat auf dem Greenville wenig Spaß.

Quergehört am Freitag


Ohrbooten

Leichte Bewölkung, rotierende Wassersprenger auf dem Feld vor der Bühne – und die Ohrbooten dazu. Die lieferten den Berlin-Sound, der immer noch an den Übervätern Seeed klebt; aber genau dieser Beat funktioniert und es gibt keine Notwendigkeit, ihn zu ändern. Auf jeden Fall das erste sommerliche Highlight des Tages.

Thees Uhlmann

Ach ja, Thees Uhlmann: butterweich, der nicht mehr ganz so junge Mann – wie er auch nicht müde wurde zu betonen. Auch seinen Bauchumfang macht er mehr als einmal zum Thema. Rock’n Roll ist das nicht, aber: Uhlmann denkt sich etwas bei seinen Texten, auch wenn die Musik bisweilen doch recht schnulzig rüberkommen mag. Aber damit ist Uhlmann auf dem Weg, der Grönemeyer der jungen Generation zu werden. Und den braucht jede irgendwie.

Fall Out Boy

Könnte fast Rockmusik sein, bleibt aber mit so viel Hall in der Stimme letztlich herzlich wenig erfrischender Pop. Für ein Festival geht Fall Out Boy schon in Ordnung, die Überflieger werden sie wohl nie. Aber nach Einbruch der Dunkelheit war das schon ganz nett anzusehen und zu –hören. Ja, „nett“ trifft es irgendwie ganz gut.

Bloodhound Gang

Die amerikanischen Blödel-Pop-Punk-Könige sind etwas in die Jahre gekommen, das ist unübersehbar. Hinter der Bühne werden noch schnell Frau und Kind geknutscht, dann geht es raus auf die Bühne. Geblieben ist ihnen die Begeisterung für Bier und Vaginas, man kann eben auch leicht ergraut noch ganz schön pubertär sein. Punk ist das nicht, aber gut gemachter Blödsinn. Leider wirklich kein Highlight.

Atari Teenage Riot

Wow, was für ein Gegenpol zum schwammigen Pop des Freitags! Atari Teenage Riot ließen kaum Zeit zum Durchatmen, schwere donnernde Beats und Bässe, die in einer Gabba-Hölle wüteten, ein Strobo-Techno-Konglomerat, gegen das Prodigy wie Zivildienstleistende wirken. Absolut gelungen, was Atari Teenage Riot elektrisch rausschrien. Kurzer Seitenhieb auf alle Journalisten, die die Band früher Panikmache vorwarfen: „Keep the internet free from government control“ – die Warnung auf dem T-Shirt von MC Rowdy Superstar hat sich inzwischen als mehr als berechtigt erwiesen.

La Brass Banda

Noch eine bayrische Reggae-Band? Nicht doch, sondern eine gelungene und wirklich spaßige Mischung aus traditioneller bajuwarischer Blasmusik und Ska-Elementen. Wer bei dieser gut zündenden Kapelle noch ruhig stehen bleiben konnte, dem ist nicht mehr zu helfen. Klar wurde wieder mal, dass sich das Bayerische bestens für Reggae eignet - auch, wenn es für die meisten hier völlig unverständlich ist. 

Westbam

Ach ja, so ein bisschen zurück zu den Zeiten der Berliner Loveparade – was sie aber auch nicht wiedererwecken konnte. Für ein bisschen rumzappeln und noch einen Absacker trinken ging Westbam ganz gut, routiniert, ohne überraschend zu sein. Tanzen als ob es kein Morgen gäbe: Fehlanzeige. Vielleicht waren auch einfach alle zu müde von der Hitze des Tages.

Die Enttäuschung des Tages

Der belangloseste Pop der Musikgeschichte kam von Aer, die wohl die Neffen von einem der Veranstalter gewesen sein müssen, sonst hätten sie wohl kaum hier gespielt. Ein bisschen zu viel 80er im Blut, die Jungs. Diese Art von Musik ist wie Phil Collins im Auto zu hören: Man kann sich wunderbar auf die Beschilderung an der Straße konzentrieren. Zu mehr sind Aer nicht geeignet.

Das Highlight des Tages:

Frittenbude - wäre fast vergessen worden, auf dem Spielplan standen sie auch nicht. Somit waren sie quasi die doppelte Überraschung des Tages: überlebensgroße Plüschtiere hüpften über die Bühne, Frittenbude ließen sich derweil mit Plastikbechern bewerfen und forderten dazu auf, Nazis einfach aufzufressen. Die CDU auch. Um gleich mal ein bisschen mehr Liebe unters Volk zu bringen, gabs zwischendrin eine kleine Spieleinlage: Das Publikum teilten Frittenbude dazu wie Moses das Meer – nur um dann sofort alle aufzufordern, sich ihren Lieblingsmnschen auf der jeweils anderen Seite auszusuchen und heftig zu knutschen. Dann ging es weiter mit schlagzeugfreiem Electropunk mit großartigem Sound: Das war einfach nur ziemlich geil, Hut ab.

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