Von Thorsten Metzner: Ein Meer gegen die Flut
Bei Schwedt wurden im Nationalpark Polderwiesen geflutet, die die Wassermassen aufnehmen sollen
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Schwedt – Klappe auf! Was für Urgewalten! Plötzlich schießt das Wasser los, mit ohrenbetäubenden Lärm, wälzt sich wie ein reißender Gebirgsfluss durch das gerade einmal zehn Zentimeter geöffnete Wehr – und dann weiter in die märkische Landschaft: Ein Mensch, der hier hereinstürzte, hätte keine Überlebenschance, erzählt einer der Arbeiter. Das ist der beinahe magische Moment, in dem am Freitag erstmals bei diesem Oderhochwasser, ein paar Kilometer nördlich der Stadt Schwedt, ein Polder gezielt geflutet wird. Rund 40 bis 80 Millionen Kubikmeter Oderwasser werden in den nächsten beiden Tagen Wiesen hinter dem Deich überschwemmen, den Spiegel der Oder und damit den Druck auf die Deiche etwas absenken helfen und im Nationalpark Unteres Odertal einen 4500 Hektar großen See bilden. „Das Schwedter Meer“, sagt Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), der sich vor Ort ein Bild macht.
Und man ahnt einmal mehr, was Überflutungsflächen auch anderswo an der Oder bewirken könnten, wenn es sie denn gäbe. Der Schritt sei, so Platzeck, in erster Linie eine Hilfe für Polen. „Das ist eine wirkliche Entlastung vor allem für die polnischen Dörfer, nicht durch Deiche geschützt, am anderen Ufer“, erklärt Matthias Freude, der Präsident des Landesumweltamtes. Auch die polnische Stadt Stettin, noch weiter flussabwärts gelegen, habe um diesen Schritt gebeten, den man bei der Jahrhundertflut 1997 erstmals ausprobiert hatte. Flussabwärts werde es den Pegel um rund 20, flussaufwärts um rund 10 Zentimeter senken helfen, zumindest einige Kilometer.
Was 20 Zentimeter ausmachen können, kann man an diesem Freitag rund 50 Kilometer flussaufwärts auf polnischer Seite sehen: In Küstrin, im polnischen Teil, wo die Warthe – ebenfalls unter Hochwasser – in die Oder mündet. Dort waren Helfer fieberhaft dabei, Sandsäcke zu stapeln.
Für das von Überflutung besonders gefährdete Oderbruch, das als Senke rund sieben Meter tiefer als die Oder liegt, wodurch ein Deichbruch sofort ganze Dörfer bis zur Kirchturmspitze unter Wasser setzen würde, hat die Flutung des 4500 Hektar große Polders bei Schwedt keine Wirkungen mehr. „Soweit reicht es nicht“, erklärt Freude. Dafür sei das Hochwasser zu schwer, die Entfernung zu groß. Die Gefahr für diesen Landstrich, in dem rund 15 000 Menschen leben, ist nach seinen Worten allerdings trotzdem gesunken – obwohl der Scheitel der Oderflut in zwei, drei Tagen hier erwartet wird. Das Horrorszenario der Experten, dass Scheitel von Oder und Warthe zusammentreffen könnten, wird sich laut Freude nach jüngsten Prognosen nicht bestätigen. „Beide kommen zwei Tage versetzt.“ Am Morgen hatte mit der parlamentarischen Staatssekretärin im Umweltministerium Katherina Reiche (CDU) erstmals ein Vertreter der Bundesregierung die Hochwasserregion besucht. Keine Politiker-Inszenierung: Nach dem Arbeitstreffen mit Freude, morgens um 7 Uhr, im Hochwasserzenrum Frankfurt (Oder) kündigte Reiche an, sich in der grenzüberschreitenden Hochwasser-Kommission von Deutschland, Polen und Tschechien für bessere Abstimmungen bereits im Vorfeld von Hochwassern einzusetzen. Auch bei diesem Hochwasser, so hatte sie von Freude erfahren, hatte es am Anfang erhebliche Kommunikationsprobleme mit polnischen Behörden gegeben, die erst bei einem Besuch von Ministerpräsident Matthias Platzeck ausgeräumt worden waren.
Und während das Oderwasser in den Polder 10 fließt, Platzeck, Innenminister Rainer Speer (SPD) und Umweltministerin Anita Tack (Linke) pausenlos Interviews geben, verfolgt ein Mann das ganze mit gemischten Gefühlen. Es ist Ansgar Vössing vom Verein der Freunde des Nationalparks. „Es ist schön: So sollte es sein“, sagt Vössing. „Aber es ist nur die zweitbeste Lösung. Die beste Lösung wäre, das Wasser im Polder zu lassen.“ Dies wäre besser für die Natur, „dann steigt und fällt das Wasser im natürlichen Lauf“. Die Tiere könnten sich darauf einstellen. Eins könnte man dann nicht mehr, das weiß auch Vössing: Den Polder gezielt zur Hochwasserbekämpfung fluten.
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