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Brandenburg: Ein neuer Verdacht

Im Revisionsprozess um die neun toten Babys belastet die verurteilte Mutter jetzt ihren Ex-Ehemann

Stand:

Frankfurt (Oder) – Im gestern begonnenen Revisionsprozess um die neun toten Babys von Brieskow-Finkenheerd hat die Kindesmutter Sabine H. ihren ehemaligen Ehemann schwer belastet. Vor dem Landgericht Frankfurt (Oder) sagte die heute 42-Jährige, ihr Ex-Mann habe ihr mindestens einmal während eines Streits an den Kopf geworfen: „Glaub“ nicht, dass ich nicht gewusst habe, dass Du schwanger warst.“

Im ersten Prozess hatte Sabine H. beharrlich geschwiegen, auch ihr Ex-Mann Oliver H. hatte von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Zu den Ermittlern hatte er jedoch gesagt, dass er nichts von den toten Babys, die aller neun von ihm stammten, wusste.

Der Fall hatte bundesweit Entsetzen und Fassungslosigkeit ausgelöst. Am 31. Juli 2005 fanden Polizeibeamte auf einem Grundstück in Brieskow-Finkenheerd insgesamt neun Babyleichen. Nach anfänglichem Leugnen gab Sabine H. bei der polizeilichen Vernehmung zu, die Kinder zwischen 1988 und 1998 geboren zu haben und für ihren Tod verantwortlich zu sein. Das Landgericht Frankfurt (Oder) hatte sie am 1. Juni 2006 wegen Totschlags in acht Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt. Die erste Kindstötung im Jahr 1988 war bereits verjährt. Das Gericht war der Ansicht, dass sie die Kinder nach der Geburt unversorgt liegen ließ, so dass sie an Unterkühlung starben.

Der Bundesgerichtshof hatte nach der Revision von Sabine H. zwar den Schuldspruch bestätigt, zugleich aber moniert, dass das Gericht der Frage von verminderter Schuldfähigkeit zu wenig Beachtung schenkte. Die könnte sich sowohl aus dem jahrelangen Alkoholmissbrauch ergeben als auch aus einer schweren Persönlichkeitsstörung. Deshalb muss seit gestern eine andere Kammer des Landgerichts prüfen, ob eine verminderte Schuldfähigkeit vorliegt und demzufolge ein milderes Urteil angemessen ist.

Die zierliche Frau wirkte gestern noch schmaler als im Frühjahr 2006, trug einen weißen Pulli, hatte die tiefschwarz gefärbten Haare ordentlich frisiert. Die gelernte Zahnarzthelferin, der die Gutachter einen überdurchschnittlichen Intelligenzquotienten bescheinigen, war durchaus redegewandt. Manchmal sprach sie leise, manchmal resolut, manchmal theatralisch oder gequält. Stundenlang antwortete sie der Richterin und der Staatsanwältin. Schließlich waren während des ersten Prozesses auch nach zahlreichen Verhandlungstagen und Dutzenden von Zeugen viele Fragen offen geblieben: Kann eine Frau, die sich bei Einsetzen der Wehen sinnlos betrinkt, neun Geburten allein bewältigen? Und jedes Mal die Spuren so beseitigen, dass niemand etwas mitbekommt? Sterben ausgereifte Neugeborene innerhalb weniger Stunden durch Liegenlassen?

Auf die meisten Fragen wusste Sabine H. gestern angeblich selbst keine Antwort. Sie könne sich nur an die erste Geburt erinnern, sagte sie. Dabei sei das Baby bei einer Sturzgeburt in die Toilette gefallen. Die Zeit danach sei ihr aufgrund des exzessiven Alkoholmissbrauchs nicht mehr in Erinnerung.

Auf die Fragen der Staatsanwältin gab sie stets die gleiche Antwort. Warum hat sie nicht verhütet? „Ich weiß es nicht.“ Warum hat sie die Kinder in Gefäßen auf dem Balkon vergraben? „Ich weiß es nicht.“ Warum hat sie sich nie jemandem anvertraut, um Hilfe gebeten? „Ich gäbe alles dafür, wenn ich eine Antwort auf das Warum hätte“, sagte sie gestern. „Dann würde ich jede Strafe akzeptieren.“

Das Gericht hatte seinerzeit als Motiv für die Tat die Angst von Sabine H. vor Konflikten mit ihrem Ehemann Oliver H. gesehen. Dieser habe nach den – inzwischen erwachsenen – ersten drei Kindern keine weiteren mehr gewollt. Als Sabine H. wieder schwanger wurde, habe sie das Kind heimlich zur Welt gebracht und sterben lassen. Jahr für Jahr wiederholte sich das grausige Geschehen. Dass der Ex-Ehemann nichts davon bemerkt haben will, war allen Prozessbeobachtern seltsam vorgekommen. Ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft gegen ihn hatte seinerzeit aber keine Anhaltspunkte für eine Mitwisser- oder möglicherweise Mittäterschaft erbracht.

Nach der gestrigen Aussage von Sabine H., wonach ihr Ex-Mann von den Schwangerschaften wusste, prüft die Staatsanwaltschaft, ob sie erneut Ermittlungen aufnimmt. Matthias Schöneburg, der Verteidiger von Sabine H., fand das gestern durchaus angemessen.

Der Prozess wird am kommenden Donnerstag fortgesetzt. Dann wird das neue Gutachten gehört. Zeugen sind zu den bislang angesetzten drei Verhandlungstagen nicht geladen. Auch nicht Oliver H.

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