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Brandenburg: Ein Platz bleibt leer

Weihnachten bei allein Erziehenden / Sorgen um Kinder, Geschenke und die Harmonie

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Weihnachten bei allein Erziehenden / Sorgen um Kinder, Geschenke und die Harmonie Von Jule Scherer Brandenburg (Havel). Ein geschmückter Tannenbaum, brennende Kerzen und spielende Kinder - Weihnachten ist traditionell das Fest der Familie. Für viele sind die Weihnachtstage die einzige Zeit im Jahr, an der sich alle Familienmitglieder treffen und endlich einmal Zeit für einander haben. Familien aus deren Mitte jemand fehlt, wird der Verlust in dieser Zeit jedoch besonders schmerzlich bewusst. Annegret Köhler aus Brandenburg (Havel) weiß, wie es ist, wenn an Weihnachten ein Platz leer bleibt. Die 47-Jährige hat vier Kinder, die heute zwischen 15 und 22 Jahren alt sind. Vor acht Jahren kam ihr damals 14-jähriger Sohn in eine Einrichtung der Jugendhilfe. Hunderte Kilometer vom Heimatort entfernt in Baden-Württemberg. Fast an der Schweizer Grenze. „Er hat damals viel Schule geschwänzt und sich rumgetrieben“, erzählt Köhler. Die Jugendlichen sollen sich bei dieser Therapie aus ihrem sozialen Umfeld lösen und wieder ihre eigenen Stärken entdecken. Und diese Trennung schloss einen engeren Kontakt selbst mit der eigenen Familie aus. „Das war ein trauriges Fest, ohne meinen ältesten Sohn“, erinnert sich die Brandenburgerin. Gerade die jüngeren Geschwister hätten den großen Bruder vermisst, nach ihm gefragt und nicht verstanden, warum er nicht bei ihnen sein konnte. Richtige Weihnachtsstimmung wollte bei den Köhlers an diesem Abend nicht aufkommen. Im darauffolgenden Jahr trennte sie sich von ihrem Mann. Doch der habe sich ohnehin nur wenig um die Kinder gekümmert, bedauert sie. Nach drei Monaten in einem Frauenhaus fand die Familie ihren Frieden in einer eigenen kleinen Wohnung. Im selben Jahr kam der älteste Sohn an Weihnachten nach zwei Jahren zum ersten mal wieder nach Hause. „Dieses Weihnachten war das schönste, an das ich mich erinnern kann. Wir waren gerade in die neue Wohnung gezogen und alle Kinder waren zuhause“, erinnert sich die 47-Jährige. „Und wir waren auch ohne Vater eine richtige Familie.“ Dennoch bereitet gerade die Vorweihnachtszeit Annegret Köhler häufig schlaflose Nächte. Schon im September, wenn die ersten Lebkuchen in den Supermärkten auftauchen, fangen ihre Gedanken an, sich um die Geschenke für die vier Kinder zu drehen. Der Mann, von dem sie seit 1997 getrennt lebte, ist zwei Jahre später gestorben. Seitdem muss sie mit der kleinen Witwenrente auskommen. Eine Arbeit hat sie - wie so viele Frauen in ihrem Alter - nicht mehr gefunden. Den ganzen Herbst überlege sie, wo sie sparen könne, um den Kindern ihre Wünsche zu erfüllen. Mal gebe es weniger frisches Gemüse, bei der eigenen Kleidung verzichte sie ohnehin und auch sonst drehe sie jeden Cent zweimal um. Die Kinder an Weihnachten glücklich zu sehen - auch wenn sie zum Teil selber schon fast erwachsen sind - sei ihr das Wichtigste. Wenn es wirklich knapp wird, könne sie sich auch auf ihre Eltern verlassen. „Ich hatte eine schöne Kindheit, und das will ich doch an meine Kinder weiter geben. Auch wenn bei uns vieles nicht so einfach ist. Ohne Vater.“ Und dann wird sie nachdenklich. „Weihnachten ist die schlimmste Zeit“ sagt sie leise. „Aber manchmal auch die Schönste“ fügt sie dann etwas lauter hinzu. Und dann leuchten ihre blauen Augen wieder. Und sie macht sich auf nach Hause, um mit der Tochter Weihnachtsplätzchen zu backen und wie jedes Jahr alles daran zu setzten, ihren Kindern ein schönes Weihnachtsfest zu bescheren.

Jule Scherer

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