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Brandenburg: Ein Schuss und viele Fragen
Ein Polizist erschießt ein mutmaßliches Mitglied einer Einbrecherbande in seinem Fahrzeug. Nun muss geklärt werden, ob das rechtmäßig war
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Berlin - Nach dem tödlichen Schuss eines Polizisten auf einen Verdächtigen sind viele Fragen offen. Zu klären ist vor allem, warum der Beamte die Waffe zog und ob der Einsatz der Schusswaffe rechtmäßig war. Bei dem Einsatz an der Kreuzung Rhinstraße/Landsberger Allee, als das Auto einer mutmaßlichen Einbrecherbande gestoppt werden sollte, wurde der Fahrer des Autos erschossen, zwei Männer wurden festgenommen, einem vierten Mann gelang die Flucht. Er war bis Redaktionsschluss noch nicht gefasst. Alle Verdächtigen stammen laut Justiz vom Balkan und sind in Berliner Flüchtlingsheimen gemeldet. Der Vorfall wird zu sicherheitspolitischen Debatten zum Schusswaffengebrauch bei der Polizei führen.
Bekannt ist bisher, dass gegen das Quartett bereits seit mehreren Monaten ermittelt wurde. „Die Verdächtigen stehen im Verdacht, als Gruppe Einbruchdiebstähle begangen zu haben“, sagte Martin Steltner, Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft. Die Bande habe unter anderem Einbrüche in Bekleidungsgeschäfte und Bäckereien unternommen.
In der Nacht zu Mittwoch fuhren die Verdächtigen in Brandenburgische nach Werneuchen (Landkreis Barnim), um dort in einen Tabakladen einzubrechen und Zigaretten zu stehlen. Ermittler einer Spezialeinheit des Landeskriminalamts hatten die Männer observiert. Sie beobachteten den Einbruch in Werneuchen und verfolgten die Kriminellen zurück nach Berlin. Gegen drei Uhr morgens entschieden sich die Beamten an der Bezirksgrenze zwischen Marzahn und Lichtenberg zum Zugriff.
Was dann geschah, ist laut Steltner „Gegenstand der Ermittlungen.“ Mehrere mit Beamten besetzte Zivilfahrzeuge versuchten, den Wagen der Einbrecher zu stoppen und die Insassen festzunehmen. „Beim Zugriff brach der Fahrer des Fluchtwagens aus und versuchte zu fliehen“, sagte Steltner. Dann sei aus einer Dienstwaffe „mindestens ein Schuss“ auf den Wagen mit den vier Männern abgegeben worden. Laut Steltner wird bisher davon ausgegangen, dass nur ein Beamter das Feuer auf den Wagen eröffnete. Wo dieser sich befand, als er zur Waffe griff, konnte die Staatsanwaltschaft noch nicht sagen.
Der Fahrer des Wagens wurde von der Kugel tödlich getroffen. Das Auto rollte Steltner zufolge noch einige hundert Meter weiter, prallte gegen eine Straßenlaterne und blieb liegen. Die drei unverletzten Männer sprangen aus dem Wagen und liefen davon. Zwei wurden überwältigt, der dritte entkam in die Dunkelheit. Um 3.07 Uhr wurden ein Rettungswagen und ein Notarzt der Feuerwehr per Notruf zum Tatort alarmiert. Die Retter trafen wenig später um 3.14 Uhr ein, konnten dem tödlichen getroffenen Mann aber nicht mehr helfen. Er starb am Tatort. Der Getötete sollte noch am Mittwoch obduziert werden, um Gewissheit über seine Todesursache zu erlangen. Die Spurensicherung am Tatort dauerte in den späten Mittwochvormittag an, die Rhinstraße war bis um 11.45 Uhr teilgesperrt. Auch eine Polizeidrohne wurde eingesetzt.
Die Mordkommission wurde mit den Ermittlungen zum tödlichen Schuss beauftragt. Gegen den Schützen wird wegen des Anfangsverdachts des Totschlags ermittelt. „Geprüft wird, ob die Voraussetzungen für eine rechtmäßige Schussabgabe vorlagen“, sagte Steltner.
Der Einsatz der Dienstwaffe durch Polizisten gegen dringend Tatverdächtige ist gesetzlich streng reglementiert. Sie darf – außer in Notwehr – nur dann eingesetzt werden, wenn andere Zwangsmaßnahmen wie körperliche Gewalt oder der Einsatz von Hilfsmitteln wie Pfefferspray erfolglos blieben oder laut Gesetz „offensichtlich keinen Erfolg versprechen.“
Ziel ist, eine Person angriffs- oder fluchtunfähig zu machen; kann das Ziel durch Gewalt gegen Gegenstände – zum Beispiel den Fluchtwagen – erreicht werden, darf nicht auf Menschen geschossen werden. Bevor ein Beamter schießt, muss er den Gebrauch der Waffe außerdem per Warnruf oder Warnschuss androhen.
Politiker der Opposition kündigten am Mittwochnachmittag an, den Vorfall politisch aufarbeiten zu lassen. Hakan Tas von der Linkspartei sagte, dass nach dem bisherigen Kenntnisstand nicht erkennbar sei, „inwieweit Leib und Leben der beteiligten Beamten bedroht waren.“ Daher sei fraglich, ob der Schusswaffengebrauch rechtmäßig gewesen sei. Christopher Lauer von der Piratenfraktion kündigte eine entsprechende Anfrage an die Senatsinnenverwaltung an. Die ließ am Mittwochmittag durch einen Sprecher ausrichten, dass man sich mit Blick auf die laufenden Ermittlungen nicht zum Vorfall äußern werde.Timo Kather
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