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Brandenburg: „Ein Wutbürger bin ich nicht“

Fischer und Experten befürchten durch den Hauptstadtflughafen Verunreinigungen des Müggelsees durch Flugzeuge

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Berlin - Andreas Thamm ist ein dicker Fisch ins Netz gegangen. Der Berufsfischer zieht soeben einen 25 Kilogramm schweren Spiegelkarpfen aus dem Müggelsee. Im Netz schwimmen noch Rapfen und Zander. Seit 38 Jahren ist der größte See Berlins Thamms Revier. „Da macht man einiges mit.“ Mit Sorge blickt er nun auf die Eröffnung des neuen Hauptstadtflughafens in Schönefeld am 3. Juni. Dann werden Flugzeuge nur wenige hundert Meter über seinen Kopf hinwegfliegen.

„Gut acht Jahre hab ich noch bis zur Rente, aber ich möchte schon, dass es danach weitergeht“, sagt Thamm und stützt sich auf das Bord seines Kahns. Fische gebe es im Müggelsee zwar genug. „Aber ob sie in ein paar Jahren noch genießbar sind, weiß man heute nicht.“ Thamm befürchtet durch startende Flugzeuge, die über den See donnern werden, eine zunehmende Belastung durch Schadstoffe.

Mit dieser Sorge ist der Fischer nicht allein. Kurt Schreckenbach hat früher am Institut für Binnenfischerei in Potsdam gearbeitet. Der 69-Jährige sitzt mit Rüdiger Spangenberg, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Köpenicker Fischereivereinigung, an einem Tisch. Beide beschäftigen sich seit längerem mit möglichen Folgen, die eintreten könnten, wenn – wie vorgesehen – täglich etwa 125 Passagierflugzeuge die Müggelsee-Flugroute fliegen.

„Von den Flugzeugen werden mehr als 100 verschiedene Schadstoffe abgegeben“, schätzt Schreckenbach. Darunter befanden sich auch äußerst giftige Stoffe wie Dioxin. Bei den Tiefflügen über den Müggelsee würden von den Turbinen bis zu 68 Prozent unverbrannte Kerosinbestandteile ausgestoßen. Der 69-Jährige verweist auf Berichte über Öl auf Gartenteichen im Umkreis der Flughäfen in Frankfurt am Main und Berlin-Tegel. Rüdiger Spangenberg rechnet zudem mit einer Verschmutzung des Müggelsees durch Ölverluste der Maschinen, etwa vom Fahrgestell und durch Enteisungsmittel.

„Der Cocktail aus verschiedenen Substanzen mit seinen unterschiedlichen Wirkungen wird das Gefährliche sein“, sagen beide. Viele Stoffe seien kurz- und längerfristig bereits in geringsten Konzentrationen giftig. Zuerst gelangten die Substanzen ins Wasser und verursachten t Schäden bei Wasserpflanzen und Tieren, die später Fischen als Nahrung dienen. So reicherten sich die Stoffe auch in den Fischen an. Die Folge: Die Tiere könnten irgendwann nicht mehr verzehrbar sein. Stoffe mit längeren Halbwertszeiten wie Dioxin blieben über Jahre im Gewässer. Nach Meinung von Schreckenbach wären Verunreinigungen nicht zuletzt auch deshalb fatal, weil sich um den Müggelsee herum eines der größten Trinkwasserschutz- und Naherholungsgebiete erstreckt. Die Folgen von Verunreinigungen werden nach seiner Einschätzung über das Trinkwasser früher oder später ganz Berlin betreffen.

Umso unverständlicher ist es für Spangenberg und Schreckenbach, dass mit der Festlegung der Flugrouten kein Umweltmonitoring und keine Umweltverträglichskeitsprüfung vorgesehen waren. Damit hätten die durch den Flugbetrieb verursachten Umweltschädigungen bewertet und gemessen werden können. Die Senatsverwaltung für Umwelt sah bislang keine Notwendigkeit dafür.

Nun haben die Einwohner von Treptow-Köpenick 2 860 Unterschriften gesammelt, um die Bezirksverordnetenversammlung aufzufordern, Untersuchungen einzuleiten. Für die Vergleichbarkeit von Werten müssten aber vor der Inbetriebnahme des BER bereits Proben genommen werden, so Spangenberg. Gegen die befürchtete Verschmutzung des Müggelsees könnte jedoch noch juristisch vorgegangen werden. Nach dem Wasserhaushaltsgesetz sei für die Müggelseeroute eine wasserrechtliche Genehmigung erforderlich, so Spangenberg. „Wir als Fischereivereinigung besitzen jedoch keine ausreichende Klagebefugnis.“ Klagen dürfte aber Fischermeister Andreas Thamm. Dieser wiegelt ab. „Dann wäre ich Einzelkämpfer.“ Als Fischer sei es seine Aufgabe, auf die Gefahren hinzuweisen. „Aber ein Wutbürger bin ich deshalb noch lange nicht.“ Christian Thiele

Christian Thiele

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