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Ein zweiter Aufschrei? Eine Debatte um Sexismus im Berliner Politikbetrieb und in der Gesellschaft hatte bereits vor drei Jahren die Journalistin Laura Himmelreich ausgelöst. Verstärkt wurde die Debatte auf Twitter mit dem Hashtag #aufschrei.

© Kai-Uwe Heinrich

Brandenburg: Eine Frau klagt an

Die CDU-Politikerin Jenna Behrends berichtet von strukturellem Sexismus in ihrer Partei – und erhebt Vorwürfe gegen Senator und Parteichef Frank Henkel. Eine Debatte beginnt – auch um Behrends

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Die CDU-Politikerin Jenna Behrends erhebt schwere Vorwürfe gegen ihre eigene Partei. Im populären feministischen Blog „Edition F“ schreibt sie über Sexismus in der CDU und greift dabei auch einen im Artikel nicht namentlich genannten Senator scharf an. „Warum ich nicht mehr über den Sexismus in meiner Partei schweigen will“, schreibt Behrends, die am Sonntag für die CDU in die Bezirksverordnetenversammlung Mitte gewählt wurde. „Wir müssen reden. Nein, nicht über das Wahlergebnis, sondern über dich. Darüber, wie du mit Frauen umgehst und deine Zukunft verspielst“, schreibt Behrends. Sie ist 26 Jahre alt, angehende Juristin und nach eigener Auskunft seit April vergangenen Jahres CDU-Mitglied.

Dieser Zeitung nannte die Bezirksverordnete namentlich, gegen wen sie ihre Vorwürfe erhebt: Es geht um Frank Henkel, Innensenator, Kreisvorsitzender in Mitte und Berliner CDU-Parteichef. Er führt die Partei nach der Wahlniederlage am Sonntag derzeit kommissarisch und vertrat sie auch in den Sondierungsgesprächen mit der SPD.

Behrends berichtet, sie habe mit Sven Rissmann darüber gesprochen, dass sie von der alltäglichen Frauenfeindlichkeit in der CDU genervt sei. Rissmann, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus und Vorsitzender des Ortsvereins Wedding in Mitte, habe ihr von einem Vier-Augen-Gespräch zwischen Henkel und ihm im Vorfeld der Nominierungen für die BVV-Wahl berichtet. Henkel habe über Behrends gefragt: „Fickst du die?“ Auch berichtet Behrends von einer Begegnung mit Frank Henkel auf einem Parteitag. Behrends schildert, sie habe ihre heute dreijährige Tochter bei sich gehabt. Henkel habe zuerst das Mädchen als „kleine süße Maus“ begrüßt und dann Behrends als „große süße Maus“ bezeichnet.

Frank Henkel ließ zu den Vorwürfen erklären, er sei sehr verwundert über diesen Brief, „und auch ein bisschen enttäuscht über Inhalt und Stil“. Weiter erklärte Henkel am Freitagnachmittag auf Anfrage dieser Zeitung: „Die CDU Mitte und ich als Kreisvorsitzender haben in der Vergangenheit immer wieder auch Quereinsteigern eine Chance gegeben. Dass Frau Behrends heute in der BVV sitzt, ist dafür ein gutes Beispiel.“ „Wenn sich Frau Behrends mit mir austauschen will, steht ihr meine Tür wie jedem anderen Mitglied meines Kreisverbandes für ein Gespräch offen. Solche Dinge sollten nicht im Raum stehen bleiben, sondern geklärt werden.“ Versuche einer Kontaktaufnahme durch den Kreisverband seien bislang „leider erfolglos“. Henkel äußerte sich in der Stellungnahme aber nicht konkret zu der Frage, ob die Äußerungen so gefallen sind oder ob die Darstellung aus seiner Sicht unwahr ist.

Auch Rissmann äußerte sich. Dieser Zeitung sagte er: „Es gab Gerüchte, dass Jenna Behrends und unter anderem ich etwas zusammen gehabt hätten. Über diese Gerüchte haben wir uns ausgetauscht. Ich bin von mehreren Parteimitgliedern darauf angesprochen worden. Es ist möglich, dass mich Frank Henkel auch darauf angesprochen hat.“ Zur Wortwahl, die Henkel ihm gegenüber gewählt haben soll, sagte Jurist Rissmann: „Die Wortwahl („Fickst du sie?“) kann ich nicht bestätigen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass diese Worte gefallen sind.“

Es gab in der CDU Mitte nach übereinstimmenden Aussagen Gerüchte darüber, mit wem Behrends intensivere Kontakte pflege. Behrends sagte, sie sei „von verschiedensten Parteikollegen darüber informiert worden, Philipp Lengsfeld würde Gerüchte über mich verbreiten“. Sie solle demnach Affären mit CDU-Funktionären haben, „um meine eigene Karriere zu befördern. Meiner Einschätzung nach sieht Lengsfeld mich als innerparteilichen Konkurrenten und will mir deshalb schaden“. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Lengsfeld wies den Vorwurf auf Nachfrage „ausdrücklich“ zurück, er habe aktiv Gerüchte verbreitet. Fakt sei, dass Behrends und er „mehrmals über inhaltliche, organisatorische und persönliche Dinge Auseinandersetzungen hatten. Die Konflikte haben wir aber ausführlich intern diskutiert“. Er habe sich „für einen Fehler“ entschuldigt. Alle Punkte seien deshalb aus seiner Sicht „zur beiderseitigen Zufriedenheit“ ausgeräumt.

In ihrem Beitrag schreibt Jenna Behrends auch von Erfahrungen der Ausgrenzung. Demnach habe sie die bisherige Kreisvorvorsitzende der Frauen Union gebeten, ihre Nachfolgerin zu werden; später sei davon keine Rede mehr gewesen. Und statt „sisters in crime“ zu werden, hätte die Frauen Union nur noch intern getagt. Sandra Cegla ist seit vier Jahren Vorsitzende der Frauen Union in Mitte. Sie wies auf Anfrage entschieden zurück, dass sie Behrends gebeten habe, ihre Nachfolgerin zu werden. Man habe die Parteikollegin mehrfach bei Intrigen erwischt und sie deshalb nicht mehr zu Treffen eingeladen. Cegla, Kriminalhauptkommissarin a.D. und offen in einer lesbischen Partnerschaft lebend, sagte zu Behrends Text, sie habe in ihrer Partei „diese Art von Sexismus noch nie wahrgenommen“. Diese Vorwürfe machten sie sehr stutzig. „Warum hat Frau Behrends nicht das Gespräch mit mir gesucht?“ Das sei „sehr schlechter Stil“. Und es gibt auch Stimmen in der CDU, die glauben, dass auf diese Art Kreischef Henkel demontiert werden soll.

Am Abend sagte Behrends, sie habe viele Reaktionen auf die Veröffentlichung bekommen. „Viele haben mir Mut zugesprochen.“ Aber es habe auch Kommentare gegeben, „dass ich die Partei verrate“.

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