Brandenburg: Eine Randregion strampelt sich ab
Ein Phänomen: Tausende radeln beim Städte-Wettbewerb der Tour de Prignitz im Nordwesten des Landes – längst sind es nicht mehr nur die Einheimischen
Stand:
Perleeberg - Sechs Etappen vorbei an Kühen, Heuballen und Wiesen mit Pusteblumen. Das ist die Tour de Prignitz. Rund 4000 Radler machen sich jedes Jahr auf, durch den Nordwesten des Landes, durch idyllische Brandenburger Alleen und über den Deich an der Elbe.
Was vor 16 Jahren mit rund 50 Teilnehmern eher zufällig begann, ist zu einer kleinen Massenbewegung geworden. Dabei geholfen hat der Wettbewerb unter den Gemeinden: Wer den schönsten Empfang bereitet, vergleichsweise die meisten Radler mobilisiert und sich gegen die Nachbarorte im Wasser-Schubkarre-Bewegen und im Boccia mit Medizinbällen durchsetzt, darf sich Prignitz-Sieger nennen.
Ein Mann mit einem Strohhut sticht beim Start in Bad Wilsnack aus dem Teilnehmerfeld heraus: Karl-Heinz Herda fährt seit Anfang an bei der Radwanderung mit. Für sein 16. Mal hat er sich zurecht gemacht: Knallblaues T-Shirt, enge Radlerhose, ein roter Stoffvogel klebt auf seinem Hut. „Die Musik, die gute Stimmung, die gemeinsame Bewegung – deshalb bin ich immer dabei“, sagt der 62-Jährige aus Pritzwalk. Sein Ort hat bisher drei Mal gewonnen – übertroffen nur vom Favoriten Heiligengrabe mit vier Siegen. „Gewinnen ist toll, aber letztlich ist mir das ganz egal“, meint Herda. Er mag die Tour, weil sie durch seine Heimat führt und er ein sportlicher Typ ist. „Sie ist natürlich organisierter geworden und es kommen mehr Leute.“ Entstanden ist die Tour im Herbst 1997 aus einer Not heraus. Damals bauten Handwerker das RBB-Sende-Studio in Perleberg um – ein Ersatz musste her. Am Biertisch kamen die Redakteure auf die Idee, von einer Fahrradtour durch die Region zu berichten und ihr Studio quasi nach draußen zu verlegen. Nicht mal 50 Einwohner der Prignitz-Orte waren bei dem Debüt dabei. „Antenne Brandenburg“ vom RBB veranstaltet bis heute mit der örtlichen Zeitung die Fahrradtour. Es kämen auch Radler aus Niedersachsen, Sachsen und Berlin, sagt eine der Organisatorinnen, Angelika Schramm. „Die Tour bringt Leben in die Region.“ So sieht das auch Dietrich Gappa. Der CDU-Politiker ist Bürgermeister von Bad Wilsnack. „Das ist eine Werbung für die Region und für uns“, sagt er. „Außerdem sind wir als Kurort der Gesundheit verpflichtet.“ Der Erfolg der Tour de Prignitz hängt seiner Meinung nach auch damit zusammen, dass sie leicht und für jedermann zu bewältigen ist. „Es geht nicht um Schnelligkeit.“ Geplant sind Etappen von rund 50 Kilometern pro Tag mit einer Mittagspause und einem Kulturstopp auf dem Weg.
Mit den Tour-de-France-Sportlern müssen die Prignitz-Radler jedenfalls nicht mithalten. Die meisten von ihnen sind Freizeitsportler, einige von ihnen tragen ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Tour de Prignitz“, so wie Bettina Handke und Doreen Cimen.
Die beiden Freundinnen sind aus Berlin nach Brandenburg gekommen: im dritten Jahr zum Fahrradfahren. „Die Atmosphäre ist super und die Organisation auch“, meint Cimen. Ihren Urlaub planen die Beiden mittlerweile zusammen zur Tour de Prignitz.
Angereist ist auch Brigitte Kleie. Gemeinsam mit ihrem Mann und einem Freund ist sie um vier Uhr früh aufgestanden, um aus Königs-Wusterhausen in die Prignitz zu kommen. „Es sind so viele Menschen dabei, die sich bewegen. Es ist rundum schön.“ Graue Locken ringeln sich aus dem Helm der 66-Jährigen. „Wir Rentner machen es gemütlich und fahren gemeinsam am Schluss.“ Am Ende einer jeden Etappe erwartet die Radler ein Empfangsspalier von Einwohnern der Gemeinde. Auch das zählt im Städte-Wettbewerb für den Sieg. Das Tour-Lied „Eine Tour, die durch die Prignitz geht“ schallt aus den Boxen – zur Melodie des DJ-Ötzi-Songs „Ein Stern, der deinen Namen trägt“. Es gibt Spiele und eine Polonaise.
Bei der Punktevergabe stand die Gemeinde Heiligengrabe in den vergangenen drei Jahren so gut da, dass sie in Folge gewann. „Unsere Bürger trainieren inzwischen für die Spiele. Bei uns ist das eine Art Stadtfest geworden“, erzählt der Bürgermeister Holger Kippenhahn (Linke). Konkurrenzkampf mit den Nachbarorten sei zwar da, aber er stehe nicht im Vordergrund. Das Preisgeld von 5000 Euro steckt Heiligengrabe jedes Jahr in einen neuen Spielplatz. Anja Mia Neumann
Anja Mia Neumann
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: