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Brandenburg: Eine Stadt leitet Untersuchungen ein

Der Fall des verhungerten Säuglings Florian bringt jetzt das Frankfurter Rathaus arg in Bedrängnis

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Frankfurt/Oder - Mit jedem Verhandlungstag beim Frankfurter Landgericht um den verhungerten Säugling Florian scheint die Luft im Rathaus der Oderstadt etwas dünner zu werden. Heute Mittag sollen die Eltern Manuel und Ulrike D. ihr Urteil empfangen. Beide erwarten langjährige Haftstrafen. Sie müssen sich vorwerfen lassen, ihrem Kind über sieben Wochen lang immer weniger Nahrung gegeben, die Schmerzschreie ignoriert zu haben, um stattdessen lieber Drachenfiguren im Internet zu ersteigern, mit der Playstation zu spielen, oder DVDs zu schauen. Bis schließlich der sechs Monate alte Säugling aufhörte zu schreien – für immer.

Währendessen wird die Frage nach dem Warum im Rathaus immer lauter. Dort wurde jetzt ein Krisenstab eingerichtet, der sich mit der Akte Ulrike D. beim Jugendamt auseinander setzen muss. Die Mutter des verhungerten Säuglings nämlich ist der Behörde bei Weitem keine Unbekannte. „Ulrike D. war nicht einfach nur eine Zahl in der Statistik“, erklärte gestern Stadtsprecher Sven Henrik Häseker.

Nachdem im Februar die ersten erschreckenden Meldungen in den Medien liefen, dass in ein Notarzt aus einer Wohnung in der Oderstadt einen verhungerten Säugling geholt habe, hätten die Mitarbeiter im Jugendamt schon gewusst, um wen es sich handelt.

So wie die Tat von Ulrike D. eine drastische Handlung darstellt, gestaltete sich auch das Leben der jungen Frau, die jetzt, mit 20, an ihrem Lebenstief angekommen ist. Ein Gutachter sagte der zum Tatzeitpunkt 19-Jährigen zwar komplette Schuldfähigkeit nach. In seinem Plädoyer hingegen betonte der Verteidiger, dass Ulrike D. vom Schicksal schwer geschlagen wurde. Schon nach ihrer eigenen Geburt nicht gewollt, wird Ulrike D. adoptiert. Der Adoptivvater, zu dem sie ein besseres Verhältnis hat, verlässt jedoch die Familie und zieht weit weg. Mit ihrer Adoptivmutter, alkoholkrank und psychisch labil, streitet sie sich häufig, flüchtet im Alter von 15 Jahren zu einem Mann der mehr als doppelt so alt ist, wie sie.

Das Jugendamt oder zumindest dessen Mitarbeiter müssen davon gewusst haben – das werfen Staatsanwalt und Verteidigung unisono dem Jugendamt vor. Dass der damals 32-jährige Mann sexuellen Kontakt zu Ulrike D. hatte, als Ulrike D. noch minderjährig war, hatte er selbst zugegeben, nämlich als Zeuge im Fall Florian. Verteidiger Matthias Schöneburg sagte, seine Mandantin sei „sexuell ausgebeutet“ worden.

Generell gilt die Auffassung, dass das Jugendamt noch den weiteren tragischen Verlauf der Geschichte hätte umlenken können, wenn man gegen das Zusammenleben vorgegangen wäre. „Wie konnte man das zulassen?“ diese Frage stellt auch Frankfurts Oberbürgermeister Martin Patzelt (CDU) in den Raum. Er gehe zunächst davon aus, dass seine Mitarbeiter verantwortungsvoll gehandelt hätten. Das sexuelle Verhältnis sei nach dem jetzigen Stand für alle im Rathaus „ein neues Indiz“, sagte Patzelt.

Die nächste Frage, die sich stellt, ist, warum der Jugendhilfeplan für die damals 18-Jährige beendet wurde. Jeder hätte sehen müssen, findet Verteidiger Schöneburg, dass Ulrike D. noch nicht so weit war. Und jeder hätte sehen müssen, dass dieses Mädchen niemals selbst einen Antrag auf Verlängerung der Maßnahme gestellt hätte.

Die kommenden zwei Wochen sollen Klärung bringen. So lange kann es Stadtsprecher Häseker zufolge dauern, bis die Aktenlage geprüft ist. Und was, wenn grobe Fahrlässigkeiten in der Behörde nachgewiesen werden, oder wenn man erkennt, dass ein Mitarbeiter die katastrophale Lebenssituation der Ulrike D. so akzeptiert hat? Für diesen Fall kündigte Oberbürgermeister Patzelt personelle und disziplinarische Konsequenzen an. Die zuständige Dezernentin befinde sich gerade im Urlaub. Ob sie diesen für die kommenden Untersuchungen abbricht, so Patzelt, liege in ihrem eigenen Ermessen.

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