Brandenburg: „Eine Wunde für den ganzen Orden“
Früherer Rektor des Canisius-Kollegs fürchtet um Ruf der Jesuiten. Erzbistum: Kontrollen reichen aus
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Berlin - Die Affäre um sexuelle Missbrauchsfälle am jesuitischen Canisius-Kolleg in Berlin beunruhigt auch Katholiken außerhalb Berlins. Am gestrigen Sonntag war in allen Kirchen das Hohe Lied der Liebe der vorgegebene Predigttext, auch in St. Michael in der Münchner Fußgängerzone. „Ich konnte nicht über die Liebe predigen, ohne an die Vorfälle im Canisius-Kolleg in Berlin zu denken“, sagte Pater Hermann Breulmann am Sonntagnachmittag.
Breulmann ist heute Pater in der Jesuitenkirche in München. Von 1996 bis 2000 war er Rektor am Berliner Canisius-Kolleg und damit direkter Vorgänger des heutigen Rektors Klaus Mertes. Am Sonntagmorgen sprach Breulmann in St. Michael dann über Nähe und Distanz, auch über das Lehrer-Schüler-Verhältnis, in dem es keine falsch verstandene Nähe geben sollte.
Die Schlagzeilen vom Canisius-Kolleg in Berlin, an dem bis Anfang der 80er-Jahre mindestens 20 Schüler von zwei ehemaligen Lehrern sexuell missbraucht worden sein sollen, beunruhigten auch Münchner Eltern, sagt Breulmann. Der Schaden, der durch diesen Fall für die katholische Kirche und für den Jesuitenorden entstanden ist, sei nicht zu unterschätzen, sagte Pater Breulmann. „Das ist eine Delle, eine Wunde für den ganzen Orden.“
Dass Mertes die Vorfälle aufklären wolle, und dabei auch in Kauf nehme, den Ruf der Schule und des Ordens zu beschädigen, findet Breulmann gut. „Der Einzelne sollte immer vorgehen, nicht die Institution. Er habe mit Pater Mertes telefoniert, auch mit dem Provinzialoberen des Jesuiten-Ordens in München, Stefan Dartmann, der am heutigen Montag nach Berlin fliegt. Auch unter den ehemaligen Schülern des Canisius-Kollegs sei der Gesprächsbedarf hoch. Es hätten ihn einige seiner ehemaligen Schüler angerufen. Missbrauchsopfer kenne er aber keine. Er habe auch als Rektor „nicht mal Gerüchte“ über solche Fälle gehört.
Unklar ist auch, warum der Orden nach dem Geständnis nicht die Strafverfolgungsbehörden einschaltete. 19 Jahre wurde der Fall offensichtlich unter Verschluss gehalten. Wie jetzt bekannt wurde, hat Wolfgang S. bis heute in kirchlichen Organisationen gearbeitet, in denen er auch Kontakt zu Jugendlichen hatte. Zuletzt leitete er für den internationalen katholischen Sozialverband „Kolpingwerk“ ein Hotel für Praktikanten und Studenten in Santiago, der Hauptstadt von Chile.
In einem Mitteilungsblatt der Organisation schwärmt S. von seiner Arbeit in dem Wohnheim: „Hier begegnen sich Studenten aller Schichten aus verschiedenen Ländern.“ Durch den Kontakt mit Folterern und Opfern der Pinochet-Diktatur „war ich fast täglich mit meinem Spiegelbild als jahrelanger Kinderquäler konfrontiert“, zitiert der „Spiegel“ den früheren Sportlehrer. Das Kolpingwerk ist in 60 Ländern vertreten und hat über 450 000 Mitglieder. Von der Internetseite der Organisation ist das Foto von S. seit Kurzem verschwunden.
Berlins Erzbistumssprecher Stefan Förner stellte am Sonntag fest, dass nach Bekanntwerden der Missbrauchsfälle keine besonderen Kontrollen oder Maßnahmen in Berliner Schulen oder Gemeinden geplant seien. Eine durchgängige Sensibilisierung für Missbrauchsfälle sei in der Jugendarbeit der Gemeinden sowie in der Priesterausbildung gegeben. Im Fall der Gemeinde in Hohenschönhausen habe das gegriffen und der beschuldigte Pfarrer sei sofort von Jugendlichen getrennt worden, sagte Förner.
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