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Brandenburg: Eingetauschte Hilfe

Patrick Kizito aus Kenia und Flüchtlingsaktivist Tobias Becker haben die umstrittene Gutscheinpraxis für Asylbewerber im Landkreis Oberhavel mit einer Tauschbörse ausgehebelt – zum Ärger der Verwaltung

Von Matthias Matern

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Hennigsdorf - Vielen anderen Flüchtlingen hat Patrick Kizito das Leben in Hennigsdorf (Oberhavel) erleichtert, dafür hat sich seine eigene Situation verschlechtert. Seit er zusammen mit Tobias Becker von der Bürgerinitaitive „Willkommen in Oberhavel“ gegen das aus seiner Sicht diskriminierende Gutscheinsystem für Asylanten kämpft, gilt er in der Landkreisverwaltung als Aufmüpfiger, als Unruhestifter. Nachdem er 2011 für sein Engagement sogar vom damaligen Ministerpräsidenten Brandenburgs, Matthias Platzeck (SPD), mit dem „Band für Mut und Verständigung“ ausgezeichnet worden ist, habe sich die Situation nochmals verschlimmert, sagt der 32-jährige Kenianer. „Die sagen, ich soll nicht so viele Lügen erzählen.“ Dabei hat Kizito gar keinen Grund, es sich mit den deutschen Behörden zu verscherzen: Er will gerne hier bleiben, arbeiten und eine Familie gründen, aber sein Asylantrag wurde abgelehnt, nun will er dagegen vor Gericht ziehen.

Das Bemühen vieler Flüchtlinge um einen dauerhaften Aufenthalt aber wird durch das umstrittene Gutscheinsystem zusätzlich erschwert. Weder lassen sich damit Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln noch Anwälte bezahlen. Das bisschen Taschengeld, das pro Monat ausgezahlt wird, reicht hinten und vorne nicht. Derzeit sind es für Heimbewohner knapp 100 Euro. Ebenfalls nicht durch die Gutscheine abgedeckt sind rezeptfreie Medikamente wie Kopfschmerztabletten, Telefonkarten, Spielzeug für Kinder oder landestypische Grundnahrungsmittel. Auf Gutschein gibt es dagegen nur Lebensmittel aus dem Discountersortiment, Schreib-, Hygiene- und Reinigungsartikel, Wäsche sowie Hausrat von geringem Anschaffungswert, Bekleidung und Schuhe. Eingetauscht werden können die Gutscheine nur bei Vertragspartnern der Firma Sodexo, die die Gutscheine im Auftrag des Kreises ausgibt. Derzeit sind es im Kreis etwa 40 Geschäfte. Vor allem für Neuankömmlinge, die kein Deutsch sprechen, sei das Gutscheinsystem eine unangenehme Erfahrung, berichtet Kizito. „Man sieht die Leute an der Kasse sprechen und erklären, aber versteht sie nicht. Dauert es dann mal länger, gucken viele genervt. Das ist einfach diskriminierend.“

Wegen der Praxis, die Grundversorgung von Asylanten als einer der letzten Kreise im Land nach wie vor mit Gutscheinen statt mit Bargeld abzudecken, steht insbesondere SPD-Landrat Karl-Heinz Schröter seit Jahren in der Kritik. Selbst Appelle von höchster Stelle haben nicht gefruchtet. So hatte vor zwei Jahren etwa Brandenburgs Sozialminister Günter Baaske (SPD) den Kreisen empfohlen, das aus seiner Sicht diskriminierende Gutscheinsystem ad acta zu legen. 2012 erhielt Karl-Heinz Schröter für seine Unnachgiebigkeit vom Flüchtlingsrat Brandenburgs sogar den Negativpreis „Denkzettel“, bei Genossen in Potsdam soll er bereits als „persona non grata“ gelten. Der Landrat selbst schmettert die Kritik in der Regel mit Verweis auf das mittlerweile vom Bundesverfassunggericht kassierte Asylbewerberleistungsgesetz von 1993 ab, das vor allem Sachleistungen vorsieht. Sollte dies nicht möglich sein, könne die Hilfe auch in Form von Wertgutscheinen erfolgen. Nur in Ausnahmen sei auch die Auszahlung von Bargeld möglich.

Zwar hatten die Karlsruher Richter im Juli 2012 die Höhe der Leistungen als „evident unzureichend, um das menschenwürdige Existenzminimum zu gewährleisten“, kritisiert, am Gutscheinsytem aber festgehalten. Entsprechend waren Patrick Kizito und andere Hennigsdorfer Flüchtlinge Ende November 2013 mit einer Klage gegen die Gutscheinpraxis vor dem Neuruppiner Sozialgericht gescheitert.

Nach wie vor steht eine vom Bundesverfassunggericht angemahnte Neufassung des Asylbewerberleistungsgesetzes aus. Möglich, dass die Gutscheinpraxis irgendwann fällt. So lange aber wollten Tobias Becker und Patrick Kizito nicht warten. Mit einer Tauschbörse haben sie das System inzwischen ausgehebelt. Dabei können die Gutscheine entweder innerhalb einer von der Initiative „Willkommen in Oberhavel“ vermittelten direkten Partnerschaft den Flüchtlingen abgekauft werden oder aber ber Überweisung bestellt werden. Nach einer dreimonatigen Testphase war die Tauschbörse im September offiziell an den Start gegangen. Gleich zu Beginn hatte die Landkreisverwaltung versucht, den Handel zu unterbinden, indem sie das Einlösen der Gutscheine an die Vorlage eines entsprechenden Ausweises koppelte. Mit dem Ausstellen von Vollmachten haben Becker und Kizito auch diese Hürde genommen. „Mittlerweile sind etwa 20 Partnerschaften entstanden. Weitere 100 Personen tauschen über die Bank“, überschlägt Becker vom Verein „u.r.i. united against racism and isolation Hennigsdorf“. Allein im September seien Gutscheine im Wert von 6000 Euro eingetauscht worden. „Insgesamt waren es bis jetzt etwa 20 000 Euro“, sagt der 29-jährige Berliner.

Außer im Kreis Oberhavel werden nur noch in Oder-Spree Gutscheine ausgereicht. „Das ist etwas frustrierend. Mittlerweile hat uns selbst Bayern überholt. Die wollen jetzt komplett auf Bargeld umstellen“, erzählt Flüchtlingsaktivist Becker, der ursprünglich aus Würzburg kommt. Kizito glaubt, dass Oberhavel-Landrat Schröter einfach nicht mehr ohne Gesichtsverlust zurückrudern kann. Fremdenfeindlichkeit möchte er ihm nicht unterstellen. Mittlerweile ist Kizito seit knapp vier Jahren in Hennigsdorf, hat inzwischen einen sechsmonatigen Deutschkurs absolviert. Seine Heimat hat er – ohne gültigen Paß – aus Furcht vor einer kriminellen Gruppierung, der er sich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen angeblich guten Glaubens angeschlossen hatte, verlassen. Während seiner Flucht über Südafrika nach Deutschland habe er erfahren, dass sein Vater von der Gruppe ermordert worden sei. „Ich hatte überhaupt keine Vorstellung von Deutschland, wollte nur weg, egal wohin“, erinnert er sich heute. Zunächst sah es so aus, als könnte die zunehmende Aufmerksamkeit durch den Protest gegen das Gutscheinsystem ihm sogar helfen. Als einer der wenigen aus dem Hennigsdorfer Flüchtlingsheim bekam er eine kleine Wohnung in der Stadt zugesprochen.

Offenbar aber hat sich das Blatt gewendet. Becker zufolge darf Kizito zum Beispiel anders als viele andere Flüchtlinge nicht ohne Genehmigung nach Berlin fahren – etwa zu seinem Anwalt. „Kleine Schikanen“, nennt das der Berliner Aktivist. Möglicherweise spielt das für Kizito aber ohnehin kaum noch eine Rolle. Die Chancen für die Wideraufnahme eines Asylverfahrens stehen in der Regel schlecht. „Was ist,wenn es nicht klappt? Darüber will ich gar nicht nachdenken“, sagt er.

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