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Brandenburg: Ente in Scheiben

Umstrittener Leichenpräparator von Hagens eröffnet „Plastinarium“ in Guben / Kritik von Aktionsbündnis

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Guben - Über 250 Meter lang zieht sich der heruntergekommene rote Backsteinbau an der Gubener Uferstraße hin. Die Nebengebäude reichen bis an den deutsch-polnischen Grenzfluss Neiße heran. Durch die Fenster und Türen des teilweise seit 15 Jahren leer stehenden Komplexes der früheren Gubener Wollfabrik sind Hämmer und Bohrmaschinen zu hören. Schon am 17. November und damit deutlich früher als ursprünglich angekündigt will der umstrittene Leichenpräparator und Erfinder der „Körperwelten“-Ausstellungen Gunther von Hagens im Erdgeschoss eine bizarre Schauwerkstatt eröffnen.

Erst im Frühjahr hatte der 61-Jährige, der wegen seiner Zurschaustellung toter Menschen wie kaum ein anderer polarisiert, den Backsteinkomplex erworben. Seit Wochen arbeiten dort Bauleute und Handwerker. „Wir haben hier 30 Firmen im Einsatz, davon 25 aus Guben“, sagt der Plastinator. Bislang habe er 1,3 Millionen Euro in die Sanierung des Gebäudes investiert. Insgesamt sollen es rund 2,5 Millionen Euro werden.

Die Gubener Plastinate GmbH will millimeterdünne, plastinierte Körperscheiben von Mensch und Tier fertigen. „Wir beginnen mit Eulen, Hühnern, Pferdeköpfen“, sagt Hagens. Später will er auch solche Plastinate des menschlichen Körpers produzieren. Er hält ein kaum zwei Millimeter starkes Plastinat in die Höhe, das den Querschnitt einer Neiße-Ente zeigt. „Magen, Prostata und Beckenbodenmuskulatur sind zu erkennen“, weist er auf die durchsichtige Scheibe, die sich wie ein Stück Hartplastik anfühlt.

„Diese Plastinate werden in der ganzen Welt gebraucht“, glaubt der Anatom. Sie sollen hauptsächlich für Wissenschaft und Lehre eingesetzt werden, könnten aber beispielsweise auch in der Werbung Verwendung werden, sagt er. Die Jahresproduktion solle mittelfristig bei einer halben bis einer Million Scheiben liegen. Ab kommendem Jahr sollen in Guben auch Komplettpräparate von großen Tieren gefertigt werden, wie Hagens sagt. Es werde sich aber nur um einzelne Plastinate handeln, da die Herstellung sehr aufwändig sei.

Seit dieser Woche hat die Gubener Firma schon 45 Mitarbeiter, 200 bis 300 Beschäftigte sollen es mal werden. „Ich habe bisher über 700 Bewerbungen erhalten, ohne je eine Anzeige geschaltet zu haben“, sagt Hagens. Fachleute aus seinen chinesischen Fabriken sollen den Gubener Mitarbeitern anfangs bei ihrer Arbeit helfen. Ab nächstem Jahr will Hagens in dem Fabrikkomplex die Leichen von so genannten Körperspendern aus ganz Norddeutschland annehmen. Gegenwärtig gibt es nach seinen Angaben 6500 Menschen, die nach ihrem Tod ihre Körper dem Plastinator überlassen wollen. Die meisten kämen aus Deutschland, es seien aber auch 300 US-Bürger darunter.

In gut zwei Wochen öffnet sich die Schauwerkstatt, die Hagens „Plastinarium“ nennt, freitags bis sonntags den Besuchern. Diese würden dort zunächst mit Medizingeschichte und der Historie der „Körperwelten“-Ausstellungen vertraut gemacht, erläutert er. Dann können sie in der Werkstatt zuschauen, wie Plastinate gefertigt werden. In einem Schauraum sollen Skelette und Ganzkörperpräparate ausgestellt werden. Am Ende werde die dreiköpfige Pokerrunde sitzen, die eigens für den aktuellen James-Bond-Film „Casino Royale“ gefertigt wurde.

Die Meinungen über Hagens Tun in Guben gehen in der Stadt weiterhin auseinander. Ein Aktionsbündnis für Menschenwürde, dem Kirchenvertreter bis hin zu Mitgliedern der Linkspartei angehören, protestierte von Anfang an gegen die Ansiedlung. „Die Würde des Menschen endet nicht mit dem Tod“, sagt der Gubener Pfarrer Michael Domke. Er sehe es als problematisch an, mit dem Zurschaustellen präparierter Leichen Geld zu verdienen. Das sei ein Tabubruch. Er kündigt eine Mahnwache an. Es gebe auch Bemühungen, über die beiden großen Kirchen eine Verfassungsklage anzuschieben.

„Ich kann mit Kritik leben“, sagt Hagens, der von sich selbst sagt, ein Grenzgänger „zwischen Wissenschaft und Ästhetik“ zu sein.

Dennoch zeigt er sich sicher, dass die Mehrheit der Gubener hinter ihm steht. Er verweist auf eine von seinem Institut für Plastination in Auftrag gegebene Emnid-Umfrage vom Frühjahr, wonach rund 80 Prozent der Gubener die Ansiedlung befürworten. Jene Menschen, die bei ihm eine Anstellung fanden, begrüßen die Investition ohnehin: „Wir sind alle sehr froh, dass wir hier arbeiten können“, sagt der Mann an der Betriebswache und fügt hinzu: „Das Gebäude wäre ohne Hagens verfallen.“

Jörg Schreiber

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